Am Tag nach seiner Ankunft erfuhr er in einem Telefonat mit seiner Mutter, dass in der Nacht die algerische Antiterrorpolizei bei seinen Eltern aufgetaucht war, um ihn abzuholen. „Wir nannten sie nur die Ninjas, weil sie genauso vermummt waren. Wenn sie kamen, warst du schon so gut wie tot“, sagt Slimane Arroudj. Man warf ihm vor, gegen die innere Sicherheit verstoßen zu haben, verurteilte ihn in Abwesenheit zu 20 Jahren Gefängnis, suchte ihn steckbrieflich und setzte eine Belohnung aus.

 

Ohne Deutsch zu sprechen und ohne einen Bezug zu seinem Gastland zu haben, außer dass er ein Fan von Borussia Mönchengladbach war, kam Arroudj über Paris nach Erlangen, wo ihn ein Freund aufnahm. Eigentlich wollte er nur kurz zur Ruhe kommen, um zu überlegen, was zu tun sei. Doch dann stellte er einen Asylantrag. Nach ein paar Wochen in Zirndorf wurde er in ein Wohnheim mitten im Wald verlegt: „Als wir ankamen, waren zur Begrüßung der Bürgermeister, die Sozialarbeiterin und einige andere Leute gekommen, es gab belegte Brötchen. Für mich war das echt schön.“ Es sollte ein Schlüsselerlebnis sein, an das er sich immer wieder erinnert.

Heute steht er da und bemüht sich, Asylbewerbern ein ebenso herzliches Willkommen zu bereiten. Es hätte nicht zu ihm gepasst, wenn er im Wald sitzen geblieben wäre, um seiner Heimat nachzutrauern.

Er knüpfte damals gleich Kontakte, wurde bei Amnesty International aktiv, meldete sich beim französischen Kulturinstitut. In Kooperation mit Amnesty berichtete er in Regensburger, Würzburger, Erlanger Schulen über die algerische Geschichte seit dem Unabhängigkeitskrieg, erzählte bei einem freien Radiosender von seinem Land. Sein Asylantrag wurde ein ums andere Mal abgelehnt, obwohl er Papiere, Zeitungsberichte und das über ihn verhängte Urteil vorlegen konnte.

Das neue Zuhause in Schwaben

Die Abschiebung drohte, kam aber nicht, und als Slimane Arroudj im Jahr 1996 seine deutsche Freundin heiratete, zog er den Asylantrag zurück und erhielt stattdessen Reisedokumente für Staatenlose sowie eine Aufenthaltserlaubnis. Er arbeitete bei McDonald’s, was mit einer Kündigung und einem Arbeitsverbot in allen deutschen Filialen endete, nachdem er dort eine Gewerkschaft hatte gründen wollen. Als Arroudjs Frau in Murr eine Arbeitsstelle fand, verschlug es das Paar vor 15 Jahren nach Schwaben. Ein Glücksfall, wie er findet, „die Schwaben geben dir die Möglichkeit, mehr zu machen, wenn sie sehen, dass du auch mehr kannst. Nur mit der Bezahlung hapert es.“

Die Machthaber sahen die FFS alles andere als gern, im Gegensatz zu den anderen Parteien erhielt sie keine staatlichen Zuschüsse. Zensur und Ungerechtigkeiten bei der Verteilung der Zeitung waren an der Tagesordnung. Slimane Arroudj fand immer wieder Mittel und Wege, die Hindernisse zu umgehen, die ihnen in den Weg gelegt wurden, weshalb er des Öfteren festgenommen wurde. In der Zelle habe man ihn durch Beleidigungen und Schläge einschüchtern wollen, sagt er, was er damit quittiert habe, dass er die Misshandlungen in die Zeitung gebracht habe.

Im Dezember 1991 stoppte die Regierung Parlamentswahlen nach der ersten Runde, weil sich ein Sieg der Islamisten abzeichnete, im Januar 1992 kam es zum Staatsstreich und zur Militärregierung, der Ausnahmezustand wurde ausgerufen, politische Aktivitäten wurden untersagt. Von der Parteiarbeit ausgeschlossen, gründeten Slimane Arroudj und andere Aktivisten die Jugend- und Menschenrechtsorganisation RAJ (Rassemblement Actions Jeunesse), die noch heute existiert, von der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt wird und 1993 den Bremer Solidaritätspreis erhalten hat. Zum Zeitpunkt der Verleihung war ihr Mitbegründer Arroudj, der ahnte, welches Schicksal ihm drohte, bereits auf der Flucht. Ein Freund hatte ihm die Ausreise ins polnische Lodz organisiert.

Das Urteil: 20 Jahre Gefängnis

Am Tag nach seiner Ankunft erfuhr er in einem Telefonat mit seiner Mutter, dass in der Nacht die algerische Antiterrorpolizei bei seinen Eltern aufgetaucht war, um ihn abzuholen. „Wir nannten sie nur die Ninjas, weil sie genauso vermummt waren. Wenn sie kamen, warst du schon so gut wie tot“, sagt Slimane Arroudj. Man warf ihm vor, gegen die innere Sicherheit verstoßen zu haben, verurteilte ihn in Abwesenheit zu 20 Jahren Gefängnis, suchte ihn steckbrieflich und setzte eine Belohnung aus.

Ohne Deutsch zu sprechen und ohne einen Bezug zu seinem Gastland zu haben, außer dass er ein Fan von Borussia Mönchengladbach war, kam Arroudj über Paris nach Erlangen, wo ihn ein Freund aufnahm. Eigentlich wollte er nur kurz zur Ruhe kommen, um zu überlegen, was zu tun sei. Doch dann stellte er einen Asylantrag. Nach ein paar Wochen in Zirndorf wurde er in ein Wohnheim mitten im Wald verlegt: „Als wir ankamen, waren zur Begrüßung der Bürgermeister, die Sozialarbeiterin und einige andere Leute gekommen, es gab belegte Brötchen. Für mich war das echt schön.“ Es sollte ein Schlüsselerlebnis sein, an das er sich immer wieder erinnert.

Heute steht er da und bemüht sich, Asylbewerbern ein ebenso herzliches Willkommen zu bereiten. Es hätte nicht zu ihm gepasst, wenn er im Wald sitzen geblieben wäre, um seiner Heimat nachzutrauern.

Er knüpfte damals gleich Kontakte, wurde bei Amnesty International aktiv, meldete sich beim französischen Kulturinstitut. In Kooperation mit Amnesty berichtete er in Regensburger, Würzburger, Erlanger Schulen über die algerische Geschichte seit dem Unabhängigkeitskrieg, erzählte bei einem freien Radiosender von seinem Land. Sein Asylantrag wurde ein ums andere Mal abgelehnt, obwohl er Papiere, Zeitungsberichte und das über ihn verhängte Urteil vorlegen konnte.

Das neue Zuhause in Schwaben

Die Abschiebung drohte, kam aber nicht, und als Slimane Arroudj im Jahr 1996 seine deutsche Freundin heiratete, zog er den Asylantrag zurück und erhielt stattdessen Reisedokumente für Staatenlose sowie eine Aufenthaltserlaubnis. Er arbeitete bei McDonald’s, was mit einer Kündigung und einem Arbeitsverbot in allen deutschen Filialen endete, nachdem er dort eine Gewerkschaft hatte gründen wollen. Als Arroudjs Frau in Murr eine Arbeitsstelle fand, verschlug es das Paar vor 15 Jahren nach Schwaben. Ein Glücksfall, wie er findet, „die Schwaben geben dir die Möglichkeit, mehr zu machen, wenn sie sehen, dass du auch mehr kannst. Nur mit der Bezahlung hapert es.“

Er kam bei einer Zeitarbeitsfirma als Lagerverwalter unter, stieg dort nach einem Jahr zum Personaldisponenten auf. Und abends kellnerte er in der Marbacher Kneipe Café Provinz, wo er „eine Menge netter Menschen kennenlernte“ und so immer stärker in die Stadt hineinwuchs. Allerdings ging seine Ehe in die Brüche, und er tat sich schwer, eine neue Beziehung zu finden. „Es gab viele Frauen, die mit mir ausgingen, aber keine, die einen schlecht verdienenden Ausländer zum Mann haben wollte.“ Inzwischen ist er mit einer Algerierin verheiratet, einer Juristin, die als Lehrerin arbeitete, als Arroudj sie kennenlernte. Sie haben drei Kinder.

In Algerien ist er seit 2002 rehabilitiert, so dass er einmal im Jahr hinfahren kann, um seine Familie zu besuchen. Besorgt beobachtet er die politische Entwicklung dort: „Es kann jederzeit etwas passieren.“ Er hat Angst vor Unruhen und Bürgerkrieg und kritisiert, dass der Westen den Islamismus nicht wirklich bekämpfe, sondern nur am (Öl-)Reichtum dieser Länder interessiert sei. Ein Zurück gebe es angesichts der instabilen Lage für ihn wohl nicht.

Längst hat er einen deutschen Pass und ist hier zu Hause. Schon als er zum ersten Mal nach Marbach kam, habe er gewusst, dass er hier bleiben wolle, sagt Slimane Arroudj. Er spielte Theater und Fußball, eröffnete einen Laden mit Lebensmitteln und Kunsthandwerk aus seiner Heimat und nach zehn Jahren das Chez Slimane. Im vergangenen Jahr trat er für Puls, die Parteiunabhängige Liste Solidarität, bei den Marbacher Gemeinderatswahlen an und kam dank eines Ausgleichsmandats gleich in das Gremium.

Zwei Tage lang ein Fest der Kulturen

Seit vielen Jahren organisiert er in Zusammenarbeit mit dem Marbacher Kulturamt die Reihe „Internationale Nächte“, bei denen jeweils ein Land musikalisch und kulinarisch im Mittelpunkt steht. Zum Zehn-Jahres-Jubiläum gab es im vergangenen Jahr ein eintägiges „Fête de la Musique“. Es wurde ein derart großer Erfolg, dass es nun wiederholt wird und sogar zwei Tage dauert.

Wenn Slimane Arroudj außerhalb der Öffnungszeiten im Chez Slimane neben dem Kachelofen sitzt, mit der Hand über den glatt polierten Tisch streicht, an seiner Zigarette zieht und seinen Blick hinüber zu  Schillers Geburtshaus wandern lässt, merkt man, dass er in Marbach zu Hause ist. Im Mai wurde er 50 Jahre alt, ein Fest hat er nicht veranstaltet, doch es hatte sich herumgesprochen, und Menschen jeglicher Herkunft kamen in sein Restaurant, um ihm zu gratulieren. „Hier bin ich total angenommen“, sagt Arroudj. „Das Leben in Marbach ist für mich einfacher, denn hier bin ich so akzeptiert, wie ich bin.“