Im Minirock wollen die Teilnehmer des Stuttgarter "Slutwalks" am Samstag gegen sexuelle Gewalt demonstrieren. Die Demos gibt es weltweit.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Halbnackt oder in hautenger Kleidung wollen sie am Samstag durch die Stuttgarter Innenstadt ziehen: Die Schlampen des "Slutwalks" (Schlampenmärsche) planen eine Demonstration gegen die Verharmlosung sexueller Gewalt und die Schuldzuweisung an die Opfer. "Wir wollen ein Zeichen dafür setzen, dass jede rumlaufen kann, wie sie will. Ein sexy Outfit legitimiert keine sexuellen Übergriffe. Nur weil ich einen kurzen Rock anhabe, heißt das nicht, dass man mir an den Hintern fassen darf", sagt die 28-jährige Rebecca Springmann, eine der Organisatorinnen des Slutwalks in Stuttgart. Auf Facebook hat sie ein eigenes Profil für die Stuttgarter Schlampen eingerichtet, über 200 Fans hat sie so schon gesammelt. Die Demo startet um 16 Uhr in der Lauteschlagerstraße, das Ende ist für 19 Uhr auf dem Schlossplatz geplant. Rebecca Springmann rechnet damit, dass nicht nur Frauen teilnehmen. Auch Männer, Schwule wie Heteros, und Transsexuelle hätten ihre Teilnahme angekündigt.

 

Slutwalks gibt es seit Anfang des Jahres. Damals riet ein Polizist jungen Frauen an der Universität von Toronto, sich nicht wie Schlampen zu kleiden, um keine sexuellen Übergriffe zu provozieren. Aus Empörung darüber gingen hunderte kanadische Studentinnen in Miniröcken, Korsetts, Netzstrümpfen und Stöckelschuhen auf die Straße - auch solidarische Männer sind oftmals dabei. In nur vier Monaten ist aus der Initiative ein soziales Phänomen geworden, das sich über das Internet in allen Erdteilen ausbreitet - am 13. August ist in Washington der erste nationale "Slutwalk" der USA geplant. Am selben Tag sollen auch in verschiedenen deutschen Städten Demos dieser Art stattfinden, darunter eben Stuttgart, Berlin, Hamburg, Frankfurt und München.

Nein heißt nein

"Einen solchen Erfolg hätten wir nie für möglich gehalten", sagt Heather Jarvis, die im April den Protestmarsch in Toronto organisiert hat. Dazu aufgerufen hatte sie über Facebook und andere soziale Netzwerke. "Damals sagten wir: Wäre es nicht toll, wenn zumindest 100 Menschen kommen würden?", erinnert sich die 25 Jahre alte Studentin. "Dass es nun "Slutwalks" in aller Welt gibt, ist einfach unglaublich", sagt sie staunend. Tatsächlich haben bereits London, Mexiko-Stadt, Sydney, Boston, Los Angeles, Houston, Amsterdam, Stockholm, São Paulo, Neu Delhi oder auch Tegucigalpa in Honduras "Schlampenmärsche" erlebt. 2012 soll sogar einer in Teheran stattfinden.

Den Erfolg führt Jarvis auf die leicht verständliche Botschaft zurück: "Es ist verkehrt und verletzend, dem Opfer die Schuld an einem sexuellen Übergriff zu geben. Wir müssen im Umgang mit den Opfern mit der Wortwahl vorsichtig sein." Ähnlich äußert sich Samantha Wright, die den "Slutwalk" am 13. August in Washington organisiert. "Egal, welches Argument auch vorgebracht wird: Eine Vergewaltigung ist eine Vergewaltigung und nein heißt nein", sagt sie. "Wenn Du diese Linie überschreitest, ist es eine Vergewaltigung. Es gibt keine Rechtfertigung dafür", bekräftigt die 23 Jahre alte Sportstudentin.

Heftige Debatte

Trotz ihres Erfolgs lösen die "Slutwalks" bei Feministinnen auch eine heftige Debatte aus, teilweise stoßen sie sogar auf Ablehnung. "Ich kann verstehen, dass diese Protestmärsche versuchen, das Wort "Schlampe" vom Gift der Frauenhasser zu befreien. Das ist richtig und legitim", meinte die auf Frauenthemen spezialisierte Autorin Rebecca Traister in der Zeitung "New York Times". Sie kritisierte jedoch: "Dies in einer Art sexy Halloween-Kostümen zu tun, scheint mir aber weniger ein Sieg als eine Kapitulation vor den Erwartungen zu sein, mit denen junge Frauen bereits in der Gesellschaft konfrontiert werden." Die "Slutwalks" wirkten konfus und setzten Frauen genau den Angriffen aus, die sie eigentlich bekämpfen wollten, meinte Traister.

In der britischen Zeitung "Guardian" sprachen sich auch die Autorinnen Gail Dines und Wendy Murphy gegen die "Schlampenmärsche" aus. "Sie sind eine Verschwendung wertvoller feministischer Mittel", schrieben sie. "Die hässliche Realität wird sich nicht dadurch verändern lassen, dass Frauen dazu animiert werden, sich "schlampiger" zu geben." "Slutwalk"-Begründerin Jarvis widerspricht: Diese Demonstrationen hätten "die unglaubliche Fähigkeit", die Unterstützung für die Rechte der Frauen zu stärken, denn sie berührten den Nerv Zehntausender Menschen in aller Welt. "Es gibt jetzt viele Leute, die den Feminismus mit anderen Augen sehen und sich sagen: Hey, er kann wirklich fantastisch sein." Zeigen muss sich allerdings noch, ob die "Schlampenmärsche" über die derzeitigen Demos hinaus Bestand haben oder lediglich ein vorübergehendes Phänomen sind.