Im Gegensatz zu China hat Indiens Hauptstadt Delhi kein Smog-Warnsystem. Dabei sind die Schadstoffwerte dort noch viel höher. Die Folgen sind fatal für die Gesundheit.

Delhi - Eigentlich neigen Delhis Oberste Richter nicht zur Dramatik. Doch nun platzte ihnen der Kragen. In Delhi zu wohnen, sei „ähnlich wie in einer Gaskammer zu leben”, machten sie ihrem Ärger Luft. Indiens 16 Millionen Einwohner zählende Hauptstadt erstickt im Smog. Im Gegensatz zu Peking, wo man vor wenigen Tagen erstmals wegen des Smogs Alarmstufe Rot ausrief, gibt es in Delhi jedoch nicht einmal ein öffentliches Warnsystem. Und das, obwohl Delhis Luft inzwischen noch schlechter ist.

 

Als der Luftqualitätsindex in Peking Anfang der Woche laut Medien den Wert 258 erreichte, lag dieser in Delhi um die gleiche Zeit laut US-Botschaft bereits bei 286. Besonders bei den krebserregenden Kleinstpartikeln von weniger als 2,5 Mikrometer Durchmesser liegt Delhi inzwischen weltweit vorne. An vielen Tagen sind die Werte so hoch, dass eigentlich die halbe Stadt sofort evakuiert werden müsste – und Medien nur noch von „Mörderluft” sprechen.

Doch seit Jahren sieht die Politik der Krise weitgehend tatenlos zu. Erst als Delhis Oberstes Gericht nun die Landesregierung zum Handeln verdonnerte, rang sich Delhis Regierungschef Arvind Kejriwal zu einem Maßnahmenpaket durch. Mit Fahrverboten soll nun der Privatverkehr halbiert werden. So sollen Delhis fast neun Millionen Privatautos, Mopeds und Motorräder vom 1. Januar 2016 an nur noch jeden zweiten Tag fahren dürfen – am Dienstag, Donnerstag und Samstag Fahrzeuge mit geraden Nummern, am Montag, Mittwoch und Freitag die mit ungeraden Nummern.

Fast 50 Prozent der Schüler haben Lungenschäden

Selbst Kejriwal spricht inzwischen von „Notstand” – die Folgen des Giftnebels für die Gesundheit sind fatal: Fast 50 Prozent aller Schüler haben laut Studien bereits irreversible Lungenschäden. Kleinkinder leiden an Raucherhusten. „Vergangene Woche hatte mein fünfjähriger Sohn William seine erste Asthmaattacke. Er nimmt nun Steroide, genauso wie ich und meine 14-jährige Tochter Eva”, schreibt der neue BBC-Korrespondent Justin Rowlatt, der erst im Frühjahr nach Delhi zog. Immer mehr Ärzte raten Familien sowie Lungen- und Herzkranken, am besten aus der Hauptstadt wegzuziehen.

Doch das Echo auf den Notfall-Plan der Landesregierung ist gespalten. Umweltaktivisten begrüßten das Modell, auch Indiens Chefrichter Tirath Singh Thakur stellte sich demonstrativ hinter die Fahrverbote. Er werde an den autofreien Tagen den Bus nehmen, erklärte Thakur. Kritiker warnen dagegen, das Modell werde grandios scheitern. Zwar verfügt die Metropole über eine Metro und Busse. Aber das öffentliche Nahverkehrsnetz ist bei weitem nicht so gut ausgebaut wie das von Peking. Für viele Menschen dürfte es schwierig werden, zur Arbeit zu kommen oder ihre Kinder zur Schule zu bringen. Frauen fürchten zudem um ihre Sicherheit. Die nächste Haltestelle ist oft weit weg, der Busverkehr erratisch.

Das System begünstigt die Reichen

Unklar ist auch, wie das System überwacht werden soll. Peking hatte Überwachungskameras aufgebaut, um die Fahrverbote zu kontrollieren. In Delhi soll dagegen die Polizei mögliche Sünder aus dem Verkehr ziehen. Dazu reichen die Kapazitäten der Polizei kaum aus. Das System begünstigt zudem die Reichen. Sie können sich einen zweiten Wagen mit einer anderen Nummer kaufen, um das Fahrverbot zu unterlaufen. Genau das ist auch in China geschehen.

Auch Kejriwal plagen Zweifel, ob das Modell in Indiens anarchischer Hauptstadt funktioniert. Die rotierenden Fahrverbote würden zunächst als 14-tägiger Versuch starten, so versuchte er, die Wogen zu glätten. „Wenn es zu viele Probleme gibt, können wir es stoppen.” Alternativen hatte er aber nicht parat. Dabei ist Besserung nicht in Sicht – im Gegenteil: Jeden Tag rollen 1 400 zusätzliche Autos auf Delhis Straßen.