Laura Poitras erzählt in der Dokumentation „CitizenFour“ die Geschichte des Edward Snowden. Die politisch engagierte Filmemacherin schildert die Umstände, unter denen der Ex-Agenten sein Wissen preisgab und entwickelt damit ein empathisches Porträt.

Stuttgart - Es klingt wie ein Spionagethriller von John Le Carré: ein Agent des amerikanischen Geheimdienstes kann seine Arbeit nicht mehr mit dem eigenen Gewissen vereinbaren und packt aus! Vor der Weltöffentlichkeit berichtet dieser Mann von international wirksamen Abhörmethoden sowie einer umfassenden Überwachung, die im Prinzip jeden Bürger global betrifft. Neben dem amerikanischen Geheimdienst National Security Agency, kurz NSA, mischt auch das britische Government Communication Headquarter, GCHQ mit, die Angelegenheit wird zum Skandal mit unüberschaubaren Ausmaßen.

 

Die Geschichte ist wirklich geschehen. Im Dezember 2012 erhielt die politisch engagierte Filmemacherin Laura Poitras verschlüsselte E-Mails, der Absender nannte sich „CitizenFour“. Der Verfasser der E-Mails stellte Poitras in Aussicht, ihr geheime Dokumente zugänglich zu machen, die die Überwachungsstrategien der NSA im Zuge des „Patriot Act“ belegen. Nach weiterem Mail-Wechsel kommt es zu einem ersten Treffen: Neben Poitras ist der Journalist Glenn Greenwald eingeladen. Greenwald, ursprünglich Jurist, arbeitet als Kolumnist für die Zeitung „The Guardian“ und beschäftigt sich seit Längerem mit den zweifelhaften Aufklärungsmethoden der NSA. In einem Hotelzimmer in Hongkong treffen Greenwald und Poitras auf „CitizenFour“, der mit bürgerlichem Namen Edward Snowden heißt und zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 29 Jahre alt ist.

Am 9. Juni 2013, vier Tage, nachdem Glenn Greenwald die ersten Fakten zur NSA-Überwachung ohne Nennung seiner Quelle veröffentlicht hatte, bekannte sich Edward Snowden als verantwortlicher „Whistleblower“. Für die einen wurde er in diesem Moment zum Landesverräter, zu einem „Most wanted man“, weil er Geheimnisse publik machte, die nach Ansicht der Geheimdienste NSA und GCHQ die innere Sicherheit der Staaten gefährdeten. Für die anderen wurde der junge Mann zu einer Symbolfigur der Aufklärung im Internetzeitalter, die für die demokratischen Grundrechte der Bürger im Global Village einsteht und damit ihr eigenes, privates Wohl bewusst riskiert.

Der Film bietet ein Sachlichkeit bemühtes Porträt

Während Greenwald die Fakten journalistisch verarbeitete, schildert die Filmemacherin Laura Poitras mit ihrem Dokumentarfilm „CitizenFour“ die Umstände, unter denen Snowden sein Wissen preisgab und entwickelt ein empathisches, zugleich aber um Sachlichkeit bemühtes Porträt.

Am Anfang steht die anonyme Kommunikation der beiden, eine Frauenstimme liest die E-Mailbotschaften vor, die simultan auf einem Computerbildschirm erscheinen. Der Ton ist konspirativ, wenn von Verschlüsselungsmethoden die Rede ist, für Laien gar rätselhaft. Und vor allem klingt das zunächst ziemlich verrückt, fast paranoid. Dieses Verschwörerische zieht den Zuschauer jedoch sofort in Bann, schnell wird klar, dass diese Geschichte weit mehr ist als ein spannender Krimi.

Beim ersten Treffen im Hotel erscheint ein sehr junger, zurückhaltender Mann, der weder ins Raster eines paranoiden Verschwörungstheoretikers, noch eines übergelaufenen Agenten passt. Snowden wirkt zwar gefasst, die Nervosität ist ihm trotzdem anzumerken. Im Gespräch mit Glenn Greenwald, das Poitras mit ihrer Kamera begleitet, wird deutlich, dass es Snowden um die Sache geht, nicht um seine Person.

Eine Figur im internationalen Medienspektakel

Poitras gibt ihm viel Raum, seine Beweggründe zu erläutern, hält dabei aber auch respektvoll Abstand. Der Erzählfluss des Films ist ruhig und verweigert sich konsequent einer grellen Meinungsmache. Nach und nach entrollen sich die Ereignisse im chronologischen Ablauf. Dass Snowden mit der Preisgabe seiner Identität zu einer Figur im internationalen Medienspektakel werden wird, reflektieren Poitras und Greenwald wie auch Snowden selbst.

Das Hotelzimmer ist in dieser Phase Rückzugsort und Zelle zugleich. Das mulmige Gefühl, das Snowden und seine Begleiter überfällt, als plötzlich das Telefon und die Alarmanlage losschrillt, überträgt sich auf den Zuschauer. Im Kontrast zu dieser bedrückenden Enge schildert Poitras, was draußen vor sich geht. Sie begleitet zum Beispiel ihren Kollegen Glenn Greenwald, der seinen Ehemann David Miranda am Londoner Flughafen Heathrow abholt, nachdem dieser neun Stunden festgehalten und verhört worden war. In solchen Szenen macht der Film auf sehr berührende Weise klar, dass sich der Alltag nach den NSA-Enthüllungen auch für die Unterstützer Edward Snowdens radikal verändert hat.

Am Schluss zeigt Poitras den Whistleblower in seinem russischen Exil. Von außen schaut die Kamera in ein Fenster, Snowden und seine Freundin, die ihm an den unbekannten Ort gefolgt ist, kochen das Abendessen. Einerseits wirkt diese Szene friedlich, andererseits observiert die Kamera auch ihre Zielpersonen, ohne dass diese davon etwas merken. Ein starkes Bild, das stellvertretend für die Massenobservationen der Geheimdienste steht.

Laura Poitras Film ist ein wichtiges Zeitdokument, das die Ereignisse aus einer völlig anderen Sichtweise nachvollzieht und bekannte Fakten und Vorgänge neu bewertet. Außerdem macht „CitizenFour“ deutlich, dass Edward Snowden weniger ein Held, sondern vielmehr ein außerordentlich mutiger Bürger ist, dem die Öffentlichkeit viel zu verdanken hat.