Die Zahlen der Solarbranche sind erschreckend: Bei den Unternehmen brechen die Umsätze ein, Verluste sind an der Tagesordnung, die Schulden steigen. Kann die Politik helfen? Strafzölle wären ein Weg, aber der ist umstritten. Eine Analyse von Inge Nowak.

Stuttgart - Carsten Körnig findet selbst in dieser Situation noch etwas Positives: „Mittel- bis langfristig sind die Aussichten sehr gut. Immer mehr Länder springen auf den Zug auf.“ Die Worte sind Programm, Körnig ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft. Es stimmt ja auch. Die Öl-, Gas- und Kohlevorkommen sind endlich, die Sonne dagegen lässt sich quasi unbegrenzt anzapfen. Immer mehr Länder entdecken diese Quelle, um den wachsenden Energiehunger ihrer Bevölkerung zu decken.

 

Die Solarmärkte der Zukunft heißen Indien und China, Südafrika und Südamerika. Aber auch Südostasien und Teile der USA gehören dazu; die arabischen Länder dagegen eher nicht. Nur wo die Sonneneinstrahlung und gleichzeitig die Energiekosten hoch sind, werden sich neue Märkte entwickeln, sagt Thorsten Preugschas, Geschäftsführer des Duisburger Projektanbieters Soventix, voraus. In den arabischen Ländern sei Energie zu preiswert. Die nebenstehende Weltkarte zeigt die derzeitige Dominanz der eher sonnenarmen Region Europa.

Neue Märkte für die gebeutelte Branche?

Retten die „neuen“ Solarmärkte die geschundene deutsche Branche? Umsatzeinbrüche, hohe Verluste, steigende Schulden und immer mehr Pleiten – das waren die Schlagzeilen der vergangenen Monate. Beim Modulhersteller Solarworld sind die Erlöse in den ersten neun Monaten 2012 um 38 Prozent gesunken. Die Hamburger Conergy-Gruppe, die Solarprojekte konzipiert und errichtet, musste ein Umsatzminus von 39 Prozent vermelden, genauso viel die Bosch-Tochter Aleo Solar (allerdings für das gesamte Jahr). Und Sunways, Anbieter von Zellen und Modulen, sowie das angeschlagene Systemhaus Phoenix Solar erlitten bis Ende September gar Rückgänge von teilweise deutlich über 50 Prozent.

Es gibt viele Gründe für die Misere. Die Überkapazitäten auf dem Weltmarkt gehören dazu, die – je nachdem, wen man fragt – zwischen 70 und 100 Prozent etwa bei Modulen liegen sollen. Die Folge ist ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb. Ende vergangenen Jahres musste ein Kunde für eine Fotovoltaikanlage auf dem Dach noch knapp 2000 Euro (ohne Mehrwertsteuer) zahlen, das waren rund 20 Prozent weniger als ein Jahr zuvor und sogar 64 Prozent weniger als 2006, hat der Bundesverband Solarwirtschaft errechnet. Es gibt Werkschließungen – so hat der US-Solarriese First Solar sein Werk in Frankfurt/Oder mit 1200 Mitarbeitern dicht gemacht –, doch sie haben bisher kaum den Druck auf die Preise verringert. Aber zumindest haben sie die Kunden bei der Stange gehalten. Das Geschäft boomt. Im vergangenen Jahr wurden weltweit Solaranlagen mit einer Kapazität von 30 Gigawatt installiert; davon entfallen 7,6 Gigawatt auf Deutschland.

Das war’s mit Rekorden

Dies war aber wohl der letzte Rekord für lange Zeit. Bereits im vierten Quartal 2012 ist die Nachfrage nach Solaranlagen um stattliche 65 Prozent eingebrochen, hat der Bundesverband Solarwirtschaft errechnet. Als Hauptverdächtigen für die aus ihrer Sicht unbefriedigende Entwicklung hat die Branche Peter Altmaier ausgemacht. Mit seinen neuen Plänen, die Solarförderung noch weiter zu kürzen und von bestehenden Sonnenstromerzeugern gar einen Solidaritätsbeitrag zu verlangen, habe der Bundesumweltminister die potenziellen Verkäufer verunsichert. Der westeuropäische Absatzmarkt, in der Vergangenheit die Nummer eins, liegt mittlerweile quasi darnieder, urteilt Preugschas und denkt dabei nicht nur an die vielen Häuslebesitzer, sondern vor allem auch an größere Anlagen. Denn auch in Spanien (bereits seit einigen Jahren) und in Frankreich sprudeln die Fördergelder nicht mehr. Die Bundesregierung beteuert freilich (unverändert) ihre Verbundenheit zur Solarenergie; aber der jährliche Zubau sollte sich – Stichwort Energieeinspeisegesetz – auf 2,5 bis 3,5 Gigawatt pro Jahr beschränken.

Die Folge: kaum ein Solarunternehmen schreibt noch Gewinne, selbst Bosch nicht. Und die Schulden steigen. Vor Kurzem hat Solarworld eingeräumt, am Tropf seiner Gläubiger zu hängen; auf rund eine Milliarde Euro summieren sich die Verbindlichkeiten des Modulherstellers, der einen Schuldenschnitt anstrebt. Immer mehr Firmen melden Insolvenz an. Zuletzt war es der Modulhersteller Asola Solarpower in Erfurt. Davor waren es etwa der Anlagenbauer Centrotherm, der Modulhersteller Solon und der Zellenproduzent Q-Cells.

Konsolidierungsphase ist noch nicht abgeschlossen

Nicht immer gelingt ein Neustart. So hat der Insolvenzverwalter des Kraftwerksbauers Solar Millennium – der Insolvenzantrag wurde Ende 2011 gestellt – mittlerweile den größten Teil des Unternehmens verwertet, spricht verkauft. Nur die Anleger und Gläubiger hoffen noch, einen kleinen Teil ihrer eingesetzten Gelder wiederzusehen. Auch für den insolventen Modulhersteller Sovello in Bitterfeld, der einst 1200 Mitarbeiter beschäftigte, gibt es keine Zukunft. Beschäftigte anderer Unternehmen hatten mehr Glück: so hat der koreanische Mischkonzern Hanwha Q-Cells übernommen und damit mehr als 1200 Arbeitsplätze gesichert. Es geht freilich auch andersherum: SMA Solartechnology in Niestetal bei Kassel (5500 Mitarbeiter, 1,2 Milliarden Euro Umsatz in den ersten neuen Monaten 2012, 81 Millionen Euro Gewinn), nach eigenen Angaben Weltmarktführer bei Fotovoltaik-Wechselrichtern, hat sich die Mehrheit an der Jiangsu Zeversolar New Energy (450 Mitarbeiter) und damit den Zugang zum chinesischen Markt gesichert.

Was bringen Strafzölle?

Trotz solcher Lichtblicke: die Konsolidierungsphase ist nicht abgeschlossen, es wird weitere Opfer geben, darin sind sich die Experten einig. Wenn die US-Marktforscher von IHS Solar Service recht behalten, könnte es in diesem Jahr gar zu einem Massensterben kommen. Von den derzeit 500 produzierenden Fotovoltaikunternehmen weltweit werden demnach nur 150 das Ende des Jahres erleben. Im Jahr 2010 gab es weltweit noch 750 Hersteller rund um den Sonnenstrom. Besonders viele haben ihren Sitz in Deutschland – nach Angaben des Verbandes Solarwirtschaft sollen es 200 sein; hinzu kommt noch eine Vielzahl von Handwerksbetrieben.

Können die von Brüssel geplanten Strafzölle auf Billigsolaranlagen aus China ein Massensterben verhindern? Ja, sagen die Befürworter, weil damit die europäischen Kostennachteile, die teilweise durch die hohen Subventionen in China entstehen, kompensiert werden können. Damit könnten die mächtig unter Druck stehenden Preise wieder steigen, was gut für die Ertragslage der Unternehmen wäre. Befürworter solcher Zölle ist etwa Solarworld-Chef Frank Asbeck. Einfuhrzölle werden die Unternehmen nicht retten, sagen dagegen Kritiker wie Soventix-Chef Preugschas. Der Grund: die Produktion in Europa sei mindestens 20 bis 25 Prozent teurer als auf dem Weltmarkt. „Damit sind wir nicht in der Lage, Projekte für internationale Investoren umzusetzen“, argumentiert Preugschas. Das liegt nicht an den höheren deutschen Löhnen. Die Solarbranche ist hochautomatisiert, Lohnkosten spielen nicht mehr die entscheidende Rolle, versichert Verbandschef Körnig.

Es fehlt an Investitionen

Dass die Deutschen weiter ins Hintertreffen geraten, liegt an den Investitionen. In der Vergangenheit haben die erfolgsverwöhnten Firmen zu wenig in die Forschung und Entwicklung gesteckt; dank hoher Subventionen war die riesige Nachfrage ohnehin kaum zu bewältigen. Und mit wachsender Misere war kein Geld mehr da, um in neue, effizientere Maschinen und Anlagen zu investieren, erläutert Andreas Löschel, Leiter des Bereichs Umwelt- und Ressourcenökonomik am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Die Banken als Geldgeber geben sich immer stärker zugeknöpft. Dabei sind die Anlagen vorhanden, deutsche Unternehmen wie Centrotherm in Ulm und Manz in Reutlingen gelten als führend. Sie bestücken etwa chinesische Fabriken mit modernster Technik. Zwar leiden auch die Unternehmen der Volksrepublik unter der Marktlage – viele schreiben rote Zahlen, etliche sind vom Markt verschwunden –, aber Peking sichert, im Zweifel über die Staatsbanken, die Zukunft dieser als wichtig eingestuften Branche. Zusätzlich spricht für die Chinesen: sie haben den Wachstumsmarkt im eigenen Land.

Die Zukunft der deutschen Branche hängt nicht zuletzt am Geld. Geld für den Aufbau des Vertriebs in den Wachstumsmärkten, Geld für den Aufbau von Werken im billigeren Ausland, zählt Löschel auf. Und nicht zuletzt Geld für Forschung und Entwicklung sowie den Aufbau neuer Geschäftsmodelle. Stichworte sind dabei Stromspeicher, Wirkungsgrad der Zelle und das Strommanagement. Die Elektrizitätsnetze müssen so ausgelegt sein, dass sie große Mengen an Wind- oder Solarstrom, der nicht konstant auftritt, verkraften. Das bietet Platz für viele Neugründungen.