Der Schweizer Bertrand Piccard überquert mit dem Sonnenflieger Solar Impulse den Atlantik. Zu drei Vierteln hat er die Erde bereits umrundet – ohne ein einziges Gramm Kohlendioxid in die Atmosphäre zu pusten.

Stuttgart - Eigentlich hätte Bertrand Piccard allen Grund, nervös zu sein. Dem 58-jährigen Schweizer steht ein Abenteuer bevor, das selbst gestandenen Hasardeuren den Atem würde stocken lassen. Fünf bis sechs Tage lang wird Piccard ab diesem Sonntag 10 000 Meter über dem Atlantik schweben, in einem vier Quadratmeter großen Cockpit. Keine Druckkammer schützt ihn vor Hitze oder Kälte und sein Leichtflieger Solar Impulse 2 ist den Elemente so wehrlos ausgeliefert wie ein Einhandsegler auf hoher See.

 

Doch Piccard verströmt nicht einmal einen Funken von Furcht. Stattdessen glüht der drahtige Mann vor euphorischer Vorfreude. „Ich kann es kaum erwarten, bis es losgeht“, sagt er, in einen der Ikea-Sessel gelehnt, die provisorisch im Hangar Nummer 19 des New Yorker Kennedy-Flughafens zu einem temporären Wohnzimmer zusammengeschoben wurden.

Über der Sitzgruppe hängt eine der Tragflächen von Piccards Flieger, der sich 72 Meter breit durch die Halle spreizt. Das Flugzeug ist ein Wunderwerk der Ingenieurkunst: So groß wie eine Boeing 747, so leicht wie ein VW Passat und mit 17 000 Solarzellen bepackt. Zu knapp drei Vierteln hat es nun schon die Erde umrundet, knapp 30 000 Kilometer, vom Mittleren Osten über Ostasien, Hawaii und quer über den amerikanischen Kontinent, bevor es kürzlich in New York landete. Dabei wurde nicht ein einziges Gramm Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen.

Zwei Piloten lösen sich ab

Am Steuerknüppel löste sich Piccard dabei mit seinem Partner ab, dem Ingenieur und Unternehmer André Borschberg, der ebenfalls in den Hangar gekommen ist. Alle beide sind sich einig, dass da oben, in zehn Kilometer Höhe, bei Weitem die Glücksmomente überwiegen und die Ängste und Sorgen weit unter der Wolkendecke zurückbleiben. „Es ist vollkommen still“, sagt Piccard über das Fluggefühl mit der Solar Impulse. „Unter dir ist das Meer, und über dir ist die Sonne, und du denkst unweigerlich darüber nach, dass nur sie dir Kraft gibt und dich am Leben erhält. Es ist wirklich ein Wunder.“

André Borschberg, ein ausgebildeter Armeepilot und hartgesottener Geschäftsmann, gesteht sogar, dass es ihm da oben mehr als einmal die Tränen in die Augen getrieben habe. Nach zwei Tagen über dem Pazifik, einem Computerausfall, massivem Schlafdefizit und einem Streit mit seinem Bodenteam habe er sich plötzlich mitten im erhabensten Sonnenaufgang wiedergefunden, den ein Mensch wohl erleben kann. „Es war ein Glücksgefühl von einer unbeschreiblichen Intensität.“

Natürlich sind solche poetischen Augenblicke zwischen Himmel und Erde nicht die Hauptmotivation der beiden Abenteurer, auch wenn sie sicher motivieren wie kaum etwas anderes. Am Anfang ihrer Mission, die im März 2015 in Abu Dhabi begann und voraussichtlich in diesem Juli auf demselben Rollfeld in der Wüste wieder endet, stand ein weit handfesteres Bestreben. Geboren wurde der Gedanke zu der Mission im Jahr 2000, in einem Heißluftballon irgendwo über der Sahara. Piccard, der aus einer berühmten Abenteurerfamilie stammt, schwebte dem Ziel seiner ersten nachhaltigen Weltumrundung entgegen, doch sein Propangas ging beängstigend schnell zur Neige. Das nächste Mal, schwor er sich, werde er sich nicht mehr von irgendwelchen brennbaren Erdschätzen abhängig machen.

Derselbe Drang wie beim Großvater

Nicht lange danach nahmen Piccards erste Vorstellungen von einem Solargleiter Gestalt an. Dabei schwang derselbe Drang mit, der ihn schon in den Heißluftballon gebracht hatte; derselbe Drang, der seinen Großvater schon in den 1930er Jahren mit einem Ballon in die Stratosphäre und seinen Vater mit einem U-Boot in den Marianengraben getrieben hatte. Er wollte beweisen, dass etwas machbar ist, was gemeinhin als unmöglich gilt.

Je konkreter die Planung wurde, desto mehr entdeckte Piccard jedoch auch das politische Potenzial seines grenzenlosen Optimismus, seines ungebremsten Glaubens an die Machbarkeit. So ist er heute davon überzeugt, dass unsere Energie- und Umweltprobleme „schnell und einfach zu lösen sind, wenn man nur will“. Das Einzige, was dazu nötig sei, sei derselbe Abenteurergeist, der ihn mit seinem Gleiter beflügelt: „Man muss nur den Mut haben, etwas wirklich Neuartiges auszuprobieren.“

Für Piccard ist die Solar Impulse Werbe-Vehikel für die Machbarkeit der Energiewende. Er hält Reden bei Konferenzen, lädt Politiker zur Besichtigung des Flugzeugs ein, berät die EU-Kommission und ist Goodwillbotschafter der UN. Wie überzeugend er dabei ist, hat er mit der Finanzierung der Solar Impulse bewiesen. 170 Millionen Dollar hat er dafür aufgetrieben und das mit eher windigen Argumenten: „Ich sage den Firmen: Unsere Idee ist verrückt, ich habe keine Ahnung, ob wir Erfolg damit haben. Ich kann Ihnen nur zusichern, dass Sie mit uns gemeinsam auf eine spannende Reise gehen.“

Unternehmertypen als Partner

Das hat genau diejenigen Unternehmertypen angestachelt, die Piccard ansprechen wollte: Typen wie Sundar Pichai von Google, Ulrich Spiesshofer vom Solarkonzern ABB. Und Typen wie André Borschberg, der keinen Augenblick zögerte, als Piccard vor knapp zehn Jahren auf ihn zutrat und ihn fragte, ob er nicht sein Partner sein wolle.

Auch Borschberg ist einer, der Grenzen nicht gerne akzeptiert. Er schwärmt von Unternehmertypen wie Elon Musk und von Luftfahrtpionieren wie den Wright-Brüdern. „Denen hat damals auch die ganze Fachwelt vorgerechnet, dass Fliegen unmöglich ist.“ Jetzt ist er selbst dabei, sich gemeinsam mit Piccard in die Reihe der großen Flugpioniere einzureihen. Doch noch mag er nicht feiern, „das verbietet schon alleine der Aberglauben“. Und so konzentriert er sich einstweilen auf seinen letzten Flug, wahrscheinlich von irgendwo von Südeuropa aus bis nach Ägypten. „Vielleicht darf ich ja über die Pyramiden segeln“, sagt er. Und dabei muss er schon wieder ein wenig mit der Rührung ringen.

Probleme mit den Batterien

Überhitzung Auf dem mehr als 8000 Kilometer langen Flug über den Pazifik von Japan nach Hawaii hatte der Sonnenflieger Solar Impulse II Ende Juni 2015 mit gravierenden Problemen zu kämpfen: Die Batterien überhitzten.

Ursache
Noch während das Solarflugzeug auf der Startbahn im japanischen Nagoya stand, hätten „harsche“ Bedingungen geherrscht, berichtete das Solar-Impulse-Team damals in seinem Blog. Daher entschied man sich zu einem Testflug, bevor es in Richtung Hawaii gehen sollte. Das Problem: „Beim Design des Batteriesystems wurde die Möglichkeit eines Testflugs gefolgt von einem Missionsflug ohne Zeitintervall für eine Abkühlung der Batterien nicht in Betracht gezogen“, hieß es.

Steigrate
Zu Flugbeginn war noch in der Nähe von Nagoya eine „sehr hohe Steigrate“ erforderlich. Dabei sind wohl die schweren Schäden am Batteriesystem entstanden, weil die Akkus zu heiß wurden. Hinzu kam, dass die Isolierung offenbar so perfekt war, dass die Kühlung bei Höchstleistung nicht mehr ausreichend war.

Reparatur
Während des Flugs nach Hawaii wurden die Probleme genau beobachtet. Die steilen Aufstiege lassen sich aber auch nach dem Schaden nicht vermeiden, weil sie als notwendig für die „optimale Energiegewinnung“ erachtet werden. Dazu zählt, zunächst schnell eine große Höhe zu erreichen, um danach bei einem sehr langsamen Sinkflug Energie zu sparen. Insgesamt habe das Flugzeug aber gut funktioniert, hieß es. Nach dem wegen der Reparatur des Batteriesystems langen Zwangsaufenthalt auf Hawaii ging es Ende April 2016 weiter.