Beim diesjährigen „Rundgang“, der traditionellen Sommerausstellung der Kunstakademie auf dem Stuttgarter Weißenhof, überwiegt das Prinzip der zur Form gewordenen Ironie.

Stuttgart - Sie können auch malen. Tun sie aber nicht. Zumindest in der Klasse von Christian Jankowski nehmen die Kunststudenten jetzt lieber Putzroboter. Füllt man den digitalen Haushaltshelfern statt Seifenlauge Farbe in den Tank, verschönern sie PVC-Gründe mit schlingernden Freistilformen im Stil des legendären Karl Otto Götz: Informel auf Knopfdruck.

 

Mögen die Bilder von morgen auch an die Bilder von gestern erinnern – ihre Inhalte sind von heute. Sowohl gegenwartsfroh als auch zeitkritisch engagiert präsentiert sich die kommende Künstlergeneration auf dem diesjährigen „Rundgang“ am Weißenhof. Am Freitagabend wurde die traditionelle Sommerausstellung der Kunstakademie eröffnet.

Schon mit ihrem bipolaren Motto hebt die Semesterschlussparade hervor, dass es in der Kunst auch darum geht, Widersprüche auszuhalten. „Los! Komm! Jetzt!“ und „Stopp!“ lauten die Parolen, die genau das auf den Punkt bringen, was den Campus-Parcours charakterisiert. Man läuft durch die Gänge, Klassensäle und Außenanlagen, lässt sich vom Besucherstrom unentwegt nach vorne treiben und weiß bald gar nicht mehr, wo einem angesichts des visuellen Überangebots die Pupillen stehen – bis man dann doch plötzlich vor einem bestimmten Werk das Gebot der Entschleunigung vernimmt.

Ein Etwas in versalzener Ursuppe

Zum Beispiel die zu einem assoziativ kommentierten Videofilm vereinten Fotografien in der Klasse von Ricarda Roggan. Oder jenen Selbsterfahrungsteich, den Gabriel Hensche und Julia Wirsching im Garten der Akademie ausgehoben haben. Ziel des interaktiven Projekts ist die maximal mögliche Ausschaltung aller menschlichen Sinne. Der Teilnehmer muss sich zuerst entkleiden, bekommt eine abgedunkelte Spezialbrille auf die Augen und verschwindet dann in einem Wasserbad, dessen Salzkonzentration ungefähr der des Toten Meeres entspricht. Mit dem Eintauchen beginnt eine Reise ans andere Ende der Evolution. Man wird zu einem blinden Etwas in versalzener Ursuppe, allein gelassen mit seinem Stoffwechsel.

Wer nach einer Süßwasserdusche wieder zurück in der Welt des Sehens, Hörens und Riechens ist, dem werden wahrscheinlich die Gestalten in zotteliger Camouflage-Kleidung auffallen, die sich vor dem Bildhauerbau im Schlamm wälzen, an Seilen hochklettern oder über Hindernisse steigen. Nicht von ungefähr erinnert die Gemeinschaftsarbeit der Klasse von Mariella Mosler an ein islamistisches Trainingscamp in Syrien, allerdings gehört zu dem paramilitärischen Abenteuerspielplatz auch eine improvisierte Kanzel. Von dort herab werden Lesungen über Kunstgeschichte gehalten – schließlich ist der Glaube an Bilder auch nur eine von vielen möglichen Ideologien im unüberschaubar gewordenen Pluralismus der heutigen Lebensmodelle.

Vom Irrsinn des Terrors ist es nicht mehr weit bis zur ähnlich irrsinnig agierenden Terrorbekämpfung – einem Komplex, mit dem sich Birgit Brenners Schüler befasst haben. Herzstück der Werkgruppe zum Thema Überwachung und gleichzeitig Hingucker des gesamten Rundgangs ist die Installation einer Überwachungsdrohne, die mit pinkfarbenem Plüsch überzogen wurde. Ein fliegendes Kontrollmonster, streichelweich wie ein Kuscheltier.

Stundenhotel für konzeptuelle Augenblicke

Es ist dieses Prinzip der zur Form gewordenen Ironie, das den Rundgang 2015 so erlebnisreich, so kurzweilig werden lässt. Da parkt der Feuerwehrwagen, den Kenneth Dow in ein Stundenhotel für konzeptuelle Augenblicke verwandelt, da liegen die Pflastersteine, die Elmar Mellert mit teerartig eingekochter Coca-Cola beschmiert, da sind auch Aleksandra Beekers Ansichtskarten von Kriegsschauplätzen in der Ukraine. Die Materialbasis der aufrüttelnd zynischen Arbeit bilden Fotofunde von Facebook oder Instagram.

Zu einer weniger bösen Form der Verfremdung findet dagegen Nuria Lepa mit den glutroten Eisschollen eines stahlkalten Polarmeers. Solche Landschaftsträume gibt es noch nicht auf Internetplattformen, nur in Acryl auf Leinwand. Denn manche, die malen können, tun es auch. Immer noch.

An diesem Wochenende
jeweils von 12–20 Uhr, Am Weißenhof 1.