Stuttgarter Stadtfest, Esslinger Zwiebelfest und Ludwigsburger Weinlaube: Wie viele Feste verträgt die Region? Woher kommt die Festles-Schwemme? Und ist ein Ende des Fest-Trends in Sicht? Ingmar Volkmann hat sich ins Feiergetümmel gestürzt.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Das Dauerfesteln in Stuttgart und Umgebung schreitet unaufhaltsam voran. Früher konnte man die Straßen,– Stadtteil- und Stadtfeste an einer Hand abzählen. Heute kommt man vor lauter Marienplatz-, Henkers-, Bohnen- oder Heusteigviertelfest gar nicht mehr zum Viertelesschlotzen auf der Lieblingshocketse. Allein am vergangenen Wochenende feierten die Besucher auf dem Stuttgarter Sommerfest, dem Zwiebelfest in Esslingen und der Weinlaube in Ludwigsburg. Sind das nicht längst viel zu viele Feste ?

 

Das erste Fazit bei einem Spaziergang über das Sommerfest in der Landeshauptstadt und über die Weinlaube in der Barockstadt am Samstagabend lässt das Gegenteil vermuten: Beide Feste sind rappelvoll. Bei beiden Anlässen laufen die Besucher zu modischer Hochform auf. Die Ludwigsburger Weinlaube ist ein Laufsteg, der eindrucksvoll beweist, dass Leopardenprint und Spitzenoberteile bei den Damen und lachsfarbene Hemden bei den Herren in Ludwigsburg der letzte Schrei sind.

Austern schlürfen vor dem Rettungswagen

Die Weinlaube ist die etwas hippere Variante des Stuttgarter Weindorfs: Zwischen dem Stand von Collegium Wirtemberg und der Weinkellerei Hohenlohe sitzt man auf Holzpaletten mit Lederbezug. Das Austernschlürfen steht hoch im Kurs, zwei Besucher genießen ihre Feinkostmuscheln direkt vor dem Rettungswagen des Arbeiter-Samariter-Bundes. Ob sie der Frische der Austern misstrauen? Wichtigstes Werkzeug auf der Weinlaube: ein Weinglas mit Stil, das beim ersten Viertele mitgekauft wird. Danach wird das Glas von Stand zu Stand balanciert auf der Suche nach dem nächsten Schluck – so geht das amerikanische Refill-Prinzip auf Schwäbisch.

Samira Selmanovic ist kein großer Fan der Weinlaube: „Mir sind die Menschen hier zu aufgebrezelt.“ Ein Besuch der Weinlaube pro Ausgabe sei aber Pflicht, da es sonst kaum Alternativen in Ludwigsburg gebe. Selmanovic lebt in Ludwigsburg, arbeitet aber im Service des Stuttgarter Sterne-Restaurants 5. Sie ist also vom Fach, wie schätzt sie das gastronomische Angebot der Weinlaube ein? „In meinen Augen ist es alles ein wenig zu teuer, das ist es beim Sommerfest in Stuttgart aber auch.“ Während Selmanovic noch beide Feste miteinander vergleicht, müht sich die Gruppe Timewarp auf der Kreissparkassen-Bühne an einer Interpretation der englischen Band Coldplay ab, leider vergeblich, die Sonne geht mitfühlend unter, Zeit, nach Stuttgart zu fahren.

Die Besucher haben längst mit den Füßen abgestimmt

Der erste Eindruck auf dem Sommerfest um kurz nach 22 Uhr: klarer musikalischer Vorteil für Stuttgart. Nicht weil das Angebot rund um den Eckensee besser wäre. Im Zelt der Pizzeria Kälberer singt eine Coverband vom Griechischen Wein und erntet dafür mäßigen Applaus. Der musikalische Vorteil Stuttgarts ist der Tatsache geschuldet, dass eine vogelwilde Schlagzeugerin in Schottenrock und Netzstrumpfhosen zwischen dem Gloria Kino und der Boutique Only unglaubliche Dinge mit ihren Drums anstellt. Die Flaneure stehen und staunen.

Ansonsten fühlt sich das Sommerfest ein wenig an wie der Wasen mit weniger Dirndl und mehr Cocktails. Neben dem Stand des Europe Hotels ist kein Durchkommen, die Mischung aus Salsa und Sonnenblumen scheint anzukommen. Auf der Wiese rund um die Jubiläumssäule sitzt halb Stuttgart und hat scheinbar schon mit dem Füßen abgestimmt: für ein sommerliches Festgefühl in Stuttgart.

Experten rechnen mit einer Bereinigung des Angebots

Sind es also gar nicht zu viele Feste, entspricht die Vielzahl an Festen also vielmehr dem Zeitgeist? „Natürlich werden die Feste immer mehr, der Gast muss ja aber nicht bei jedem mit dabei sein. Dazu wird es eine Bereinigung geben, nicht alle werden durchhalten, einige werden wegfallen“, sagt Holger Looß vom Restaurant Empore. Looß’ Vater Dieter hat das Sommerfest 1991 mitgegründet, Holger Looß ist ebenfalls seit der ersten Auflage mit von der Partie. „Feste wie das Sommerfest oder die Weinlaube sorgen für einen Austausch zwischen den Städten. Viele Stuttgarter fahren zur Weinlaube, viele Ludwigsburger kommen dafür aufs Sommerfest“, sagt er.

Wie kam es aber zur Flut an Festen in der Region? Eine These zur Entstehung der Festvielfalt lautet, dass einige der Veranstaltungen als Reaktion auf die Feiereien der Vereine entstanden. Die ersten größeren Feste wie das Feuerbacher Kelterfest, das dieses Jahr vom 22. bis 24. August begangen wird, wurden von Vereinen veranstaltet. Irgendwann hatten es die Gastronomen satt, sich durch die Sommermonate zu hangeln, während die Vereine auf ihren Festen ein hübsches Taschengeld erwirtschafteten. „Das Sommerfest sollte sich vor allem abheben von den Rote-Wurst- und Biergarnitur-Festen“, sagt Holger Looß.

Nach dem Fest ist vor dem Fest: das Weindorf wartet

Und wie sehen die Vereine die geballte Festkonkurrenz der gastronomischen Profis? „Uns lässt das kalt, wir haben vor über 40 Jahren ja auch irgendwie angefangen“, sagt Helmut Wirth, der Vorsitzende des Wein,- Obst- und Gartenbauvereins Feuerbach, der das dortige Kelterfest organisiert. Die Vereine hätten es etwas schwerer, da sie mit Ehrenamtlichen und nicht mit Profis arbeiteten. „Ziel unseres Festes ist aber vor allem die bessere Vermarktung der Feuerbacher Weine und das funktioniert nach wie vor ausgezeichnet“, so Wirth. Fazit: Für die Veranstalter scheint das Dauerfesteln noch kein Problem darzustellen, für die Besucher auch nicht, sie pilgern in Scharen. Ein Ende ist nicht in Sicht: die Ludwigsburger Weinlaube dauert noch zwei Wochen, anschließend folgt das Stuttgarter Weindorf – und dann ist wieder Wasenzeit.