Man könnte in diesem Verwechselspiel der Liebe akuelle, harte Akzente setzen und von Zwangsehe und Flucht erzählen. Doch Stephan Thoss nimmt bei seinem Einstand als Ballettchef in Mannheim Shakespeares „Sommernachtstraum“ beim Wort und zeigt Liebe in allen Schattierungen.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Stuttgart - „Ein Sommernachtstraum“ kurz vor Weihnachten? Die Wahl des Stücks, mit dem Stephan Thoss nun seinen Einstand als Ballettintendant in Mannheim gab, darf durchaus verwundern. Sicher, man könnte in diesem Verwechselspiel der Liebe aktuelle Akzente setzen und von Zwangsehe und Flucht erzählen – zumal im Tanz, der nicht Wort für Wort Shakespeare verpflichtet ist. Und tatsächlich dreht Thoss’ Bühnenbildner Kaspar Zwimpfer im Opernhaus des Nationaltheaters ein wenig urbanes Niemandsland herbei, das mit brennenden Fässern und einer kühl leuchtenden Straßenlampe den feinen Hof vom wild von oben herabwucherndem Wald trennt. Doch auch wenn Lysander und Hermia wie junge Globetrotter mit Schlafsack und Igluzelt ausgerüstet fliehen, nimmt Stephan Thoss die Komödie so wie sie ist und erzählt einzig und allein von der Liebe und ihren Schattierungen.

 

Er tut das mit einer Intensität, die einen dann doch nachdenklich macht. Und Gelegenheiten zum Grübeln bieten sich im Lauf von zweieinhalb Stunden und vieler getanzter Liebeleien leider einige. Ist die Willkür, mit der Oberon im Zauberwald Schicksale neu sortiert, ein Kommentar auf reale Kulturpolitik? Auf Kündigungen, Fusionen, nicht verlängerte Verträge? Stephan Thoss, der auf Einladung von Marcia Haydée in den 90ern in Stuttgart Ballette wie „Les Noces“ und „Distance“ schuf, war als Ballettchef in Kiel, Hannover und Wiesbaden tätig, um dann 2014 bei der Fusion zum Hessischen Staatsballett den kürzeren zu ziehen. Jetzt ist er in Mannheim Nachfolger von Kevin O’Day, der sich nun seinerseits, nachdem sein Vertrag nicht verlängert wurde, nach 14 Jahren am Nationaltheater auf der Suche nach einer neuen Aufgabe durch das Unterholz des Ballettwalds kämpfen muss.

Slapstick-starkes Trio

Bei Shakespeare gibt es ein Happy End, und Thoss tut alles, um es von Beginn an durchscheinen zu lassen. Was die Spannung dieses „Sommernachtstraums“ nicht ins Uferlose schießen lässt. So geraten Jamal Callender und Emma Kate Tilson als Oberon und Titania nur kurz in ein Beziehungstief – und stürzen sich dann umso wilder in neu entfachte Leidenschaft. Das Quartett der Verliebten, in loderndes Rot gekleidet, erhöht die Liebe im Tanz so schön, dass sie erst gar nicht in Frage steht. Den Puck hat Thoss klug mit dem Countertenor Alin Deleanu besetzt; wie der mit diebischer Freude Chaos stiftet, stimmgewaltig Fäden zieht und doch Gesten des Mitleids findet, begeistert das Mannheimer Publikum zu Recht.

Überhaupt gibt es bei der gut besuchten zweiten Vorstellung am Donnerstag keinen Moment des Fremdelns mit dem neuen Mann in Mannheim. Warum auch? Mit einem Handlungsballett kommt Thoss dem Publikumsgeschmack entgegen und sorgt mit einem slapstick-starken Trio um den Oberkomiker Zettel für heitere Momente. Auch Thoss’ atmosphärisch dichte Musikauswahl von Purcell über Britten bis Talbot kommt unter Leitung von Benjamin Reiners gut an. Getanzt wird, obwohl die Sparte nun nicht mehr Ballett heißt, mit einer dem Klassischen verpflichteten, höchst präzisen Ästhetik. So routiniert, so gefällig, so vorhersehbar und ganz frei von Widerständen und Überraschungen ist dieser „Sommernachtstraum“, dass das die eigentliche Sensation des Abends ist.

Nächste Vorstellungen am 4., 8. und 26. Dezember und sechs weitere bis zum 25. Juli