Hohenstein besteht seit jeher aus zwei Teilen. Früher lebten unten die Leibeigenen des Schlossherrn, der von oben über sie herrschte. Heute thront ein hochmodernes Forschungsinstitut über dem historischen Ortskern.

Hohenstein - Hohenstein hat zwei Gesichter. Im alten Ortskern des Bönnigheimer Stadtteils ist die Vergangenheit geradezu mit Händen zu greifen: Die heutigen Wohnhäuser unterhalb des Schlosses sind fast durchweg alte Nutzgebäude wie Scheunen, Ställe oder die Kelter, die im Lauf der Zeit umgenutzt wurden. Oben im Schloss hingegen befindet sich eine hochmoderne Textilforschungseinrichtung. Die renommierten Hohenstein-Institute, die sich ursprünglich nur in den historischen Gemäuern befanden, haben sich in den vergangenen Jahren immer weiter vergrößert – und hoch über dem alten Ortskern mehrere topmoderne Neubauten errichtet.

 

Wilhelm Flaig hat den Wandel des Ortes miterlebt. Der 82-Jährige ist im Alter von zwei Jahren in den Flecken gekommen, dort aufgewachsen und immer geblieben. Er fühlt sich noch als Hohensteiner, nicht als Bönnigheimer – obwohl der Teilort bereits 1972 eingemeindet wurde. Damals hat Flaig auch sein Engagement im Hohensteiner Gemeinderat aufgegeben, als Stadtrat für Bönnigheim wollte er nicht tätig sein. Dafür hat er sich umso mehr mit seinem Heimatort beschäftigt und kennt die Geschichte – samt der komplizierten Eigentumsverhältnisse des Schlosses – quasi auswendig.

Das Schloss thront über dem Ortskern

Das Schloss, das weit oben über dem alten Ortskern thront, ist der Dreh- und Angelpunkt von Hohenstein. Ohne dieses hätte es den Flecken in seiner heutigen Form nicht gegeben, ist Flaig überzeugt – auch wenn die Gegend bereits zur Zeit der Alemannen in der Antike und dem Frühmittelalter besiedelt gewesen sei. Irgendwann sei dann eine Ritterburg auf dem „hohen Stein“ gebaut worden, die 1250 erstmals in den Annalen erwähnt wurde. Burgbesitzer waren damals die Herren von Howenstein.

Als diese Linie 1443 ausgestorben war, übernahm Württemberg Dorf und Burg – allerdings nicht lange. Nach mehreren Eigentumswechseln fiel die Burg schließlich den Herren von Plieningen zu, die das inzwischen zur Ruine verkommene Gebäude 1593 kurzerhand abrissen und ein Schloss an dieselbe Stelle bauten. Doch das wurde hundert Jahre später in Folge des Pfälzischen Erbfolgekrieges niedergebrannt, aber kurz darauf schon wieder aufgebaut – dieses Mal im Renaissancestil.

Das Schloss als Interims-Uni

Nach einigen weiteren Besitzerwechseln fiel das Schloss nach dem Zweiten Weltkrieg den amerikanischen Besatzungsmächten zu, von denen es der Universitätsprofessor Otto Mecheels 1946 abkaufte. Wilhelm Flaig erinnert sich noch gut an diese Zeit. Mecheels habe damals in der Textilhochburg Mönchengladbach Studenten unterrichtet und sei nach dem Krieg mit seinem Mitarbeiterstamm zurück in seine Heimat Hohenstein gekommen. Im Schloss führte er seine Lehre fort – und brachte damit Leben in den Ort. „Die Studenten brauchten ja Zimmer“, sagt Flaig. „Jeder, der noch einen Raum entbehren konnte, hat diesen freigemacht“, erzählt er. Plötzlich habe es viele junge Leute im Ort gegeben – nicht wenige seien sogar langfristig geblieben, hätten in Hohenstein geheiratet und eine Familie gegründet.

Doch in den 60er Jahren änderte sich das wieder. Jürgen Mecheels, der Sohn des Gründers, baute die Hohenstein-Institute zu einem modernen Forschungs- und Dienstleistungszentrum aus. Studenten gab es nun kaum noch im Ort. Dennoch sei Hohenstein bis heute nicht so überaltert wie viele andere kleine Flecken, sagt Wilhelm Flaig. Das dürfte zum einen an den Instituten liegen, deren Mitarbeiter sich teilweise im Ort niedergelassen haben. Zum anderen gebe es hier Bauplätze zu einigermaßen erschwinglichen Preisen, erklärt Flaig. Und völlig abgeschieden ist der Flecken trotz allem nicht: Mindestens einmal in der Stunde fährt ein Bus, der die Bürger nach Bönnigheim oder nach Kirchheim/Neckar bringt.

Der Wein hat eine große Rolle hier gespielt

Schon in früheren Zeiten gab es eine enge Bindung an Kirchheim: Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts habe Hohenstein kirchlich zu dem Neckarort gehört, erzählt Wilhelm Flaig. Doch weil Hohenstein immer größer geworden sei, hätten die Schlossherren für ihre Leibeigenen im Dorf 1601 eine eigene Kirche gebaut. Das verursachte zunächst Zwist, weil die Schlossherren den Kirchheimer Pfarrer, der bislang den Gottesdienst für die Hohensteiner gehalten hatte, nicht mehr dafür bezahlen wollten. Daraufhin verweigerte der Pfarrer den Dienst in der neuen Kirche – die sich daher nach Hofen, heute ebenfalls ein Stadtteil von Bönnigheim, orientierte. Mangels Friedhof wurden die Hohensteiner jedoch noch bis 1672 in Kirchheim beerdigt, dann bekamen sie ihre eigene Fläche für die letzte Ruhestätte.

Ursprünglich war der Ort in der fruchtbaren Neckarschlaufe landwirtschaftlich geprägt. „Der Wein hat immer eine große Rolle gespielt“, sagt Wilhelm Flaig. Selbst das Kloster Maulbronn habe hier seine Reben gezogen, um einen guten Tropfen daraus keltern zu können. Doch auch diese Strukturen hätten sich geändert: Während es nach dem Zweiten Weltkrieg noch 38 Landwirte in Hohenstein gegeben habe, seien es jetzt gerade einmal drei. „Aber trotzdem liegt kein Acker brach“, betont Flaig. Mit den Maschinen sei die Arbeit eben weitaus effektiver. Er selbst setzt jedoch weniger auf Wein – sein großes Hobby ist die Herstellung von Kräuterschnäpsen und -likören. Aber auch damit ist er genau richtig in der Gegend: Das Schwäbische Schnapsmuseum in Bönnigheim dürfte in seiner Art einzigartig sein. Nicht zuletzt wegen Wilhelm Flaig – denn der 82-Jährige ist Gründungsmitglied gewesen und engagiert sich noch heute in dem Museum.