Als Flüchtlinge aus dem Piemont haben 242 Waldenser vor mehr als 300 Jahren zwischen Rutesheim und Heimsheim Asyl in Perouse gefunden. Ihre Nachkommen pflegen die Traditionen und halten Kontakt zur alten Heimat.

Perouse - Die Menschen heißen hier Vinçon, Baral, Charrier, Mouris, Servay, Simondet und Baret. Und wenn man rund ums Dorf unterwegs ist, trifft man auf so eigenartige Flurnamen wie „A la Prisa“, „Premier Ordon“, „Grand Ordon“, „Pinadelle“, „Vallon“ und „Asartas“. Doch in Frankreich ist man nicht, auch wenn der Ort Perouse heißt – es ist die einzige Waldensergemeinde im Landreis Böblingen.

 

Mit etwa 1250 Einwohnern gehört der Ort zu den kleinsten im Kreis Böblingen und hat eine bewegte Geschichte. Dieser Flecken Erde, drei Kilometer westlich von Rutesheim, der einst zu Heimsheim gehörte, ist zur neuen Heimat von 242 Glaubensflüchtlingen geworden. Am 13. Juni 1699 waren sie als Asylbewerber über die Schweiz aus dem Piemont, dem Herzogtum Savoyen, in das Herzogtum Württemberg gekommen. Ihre neue Siedlung nannten sie Perouse nach Perosa Argentina im unteren Tal des Chisone, heute Italien, dem Ort, den sie als Flüchtlinge verlassen hatten.

Sie kamen als Flüchtlinge

„Die Menschen leben auch hier in der Gegenwart, mit den Freuden und Sorgen, die das Leben mit sich bringt“, sagt Horst Schradi, der dem Arbeitskreis „Geschichte vor Ort“ angehört. „Aber die waldensische Tradition und das Wissen, welch hohes Gut die Freiheit ist, schwingt immer mit“, sagt er. Auch als „Halbwaldenser“, denn die Familie der Mutter waren Nachkommen der Glaubensflüchtlinge, die den Ort gegründet haben, weiß er wovon er spricht.

„Es verwundert nicht, dass das große Waldenserfest 1999, als 300 Jahre seit der Ansiedlung gefeiert wurden, den Ort unwahrscheinlich zusammengebracht hat“, sagt der 75-Jährige. Es sei wie ein Ruck durch den CVJM mit seinem Posaunenchor, den Männergesangverein Liederlust, den örtlichen Sportverein und die evangelische Kirchengemeinde gegangen und ein sehr ausgeprägtes Wir-Gefühl entstanden. „Davon profitieren heute nicht nur die Alt-Perouser, sondern auch neu Hinzugezogene, sie fühlen sich schnell wohl – man kennt sich, man spricht miteinander, das macht den Wert eines so kleinen Ortes aus“, betont Horst Schradi überzeugt.

Kontakte in die alte Heimat

Das Jubiläum war auch neuer Impuls, um die Kontakte zur alten Heimat zu verstärken. Schradi gehört nämlich auch dem von Henry Schort geleiten Partnerschaftskomitee der Stadt Rutesheim an. Vorher hatte der Heimatforscher Erich Vincon enge Kontakte zu der evangelischen Kirche im piemontesischen Torre Pellice gepflegt. Das Komitee verstärkte von 2005 an die Kontakte zu Perosa Argentina, 2008 hat dies zu einen Freundschaftsvertrag geführt. Der wird voraussichtlich 2017, wenn Rutesheim sein 1250-jähriges Bestehen feiert, in einen offiziellen Partnerschaftsvertrag umgewandelt.

„Wo gibt es im Kreis Böblingen schon ein Freudenfeuer?“, spielt Schradi auf eine weitere Waldensertradition an. Unter dem Druck revolutionärer Ereignisse unterzeichnete König Karl Albert von Sardinien-Piemont am 17. Februar 1848 das sogenannte Emanzipationsedikt, mit dem er die bürgerlichen und politischen Rechte der Waldenser anerkannte. Zur Erinnerung zünden sie noch heute Freudenfeuer an.

Die Waldenser sind Kartoffel-Pioniere

Was die Waldenser als Bauern auszeichnet, ist ihre Pionierarbeit für den Kartoffelanbau im anfangs misstrauischen Württemberg. Und dies, bevor der preußische König Friedrich II. die Bedeutung der Knolle für die europäische Landwirtschaft entdeckte. Die Perouser Bauern sind seit Langem bekannt für ihren Krautanbau – dazu gibt es jährlich ein Sauerkrautfest.

„Wie dankbar wir Heimsheim dafür sind, dass wir auf ihrer Gemarkung Asyl und eine neue Heimat gefunden haben, haben wir vor einem Jahr bei den dortigen Schlossfestspielen gezeigt, als auch das Theaterstücks ,Die Stadt, der Graf und die Waldenser’ aufgeführt wurde“, sagt Horst Schradi. Die Heimsheimer haben nicht nur die bettelarmen Flüchtlinge sich ansiedeln lassen, sondern sie auch in den Anfängen unterstützen. Erst 1839 erkauften sich die Neuen das Markungsrecht und die Eigenständigkeit für fast 4000 Gulden.

Im Gemeinderat mit vier Stimmen vertreten

Mit Rutesheim hatten die Perouser über viele Jahren wenig zu tun. Doch sie waren um ihren Wald besorgt, wenn die Nachbarn dort unerlaubterweise Holz holten oder ihr Vieh weiden ließen. „Die Eingemeindung nach Rutesheim 1972 war ein Glücksfall“, sagt der langjährige parteilose Gemeinderat Horst Schradi überzeugt. Die unechte Teilortswahl garantiert dem Ort nämlich drei Plätze im Stadtrat – durch ein Überhangmandat stellt Perouse gegenwärtig sogar 4 von 20 Gemeinderäten.

Und die haben auch reichlich zu tun. Denn an der A 8 gelegen, zwischen Porsche in Weissach und Bosch in Malmsheim, ist auch in und rund um Perouse einiges los. „Der dichte Verkehr ist für viele eine Belastung und trübt die Idylle“, erläutert Schradi. Dabei habe sich im Ort viel getan. „Ich kann mich noch gut erinnern, wie es im Haus der Großmutter an der Hauptstraße immer dunkel wurde, wenn ein Lastwagen durch die enge Gasse fuhr.“ Doch die Umfahrung, die es als Geschenk zum 300-Jahr- Jubiläum gegeben hat und die Sanierung habe die Hauptstraße zu einem Kleinod werden lassen.

Nun ist der Perouser Osten dran. Für vier Millionen Euro will die Stadt nächstes Jahr die Kreisstraße nach Malmsheim vom Ort ein Stück wegverlegen und einen Lärmschutzwall bauen mit Lebensmittel-Discounter dahinter. „Das wird noch mehr Lebensqualität in den Ort bringen, doch letztendlich sind die Menschen entscheidend, ob man sich irgendwo wohlfühlt – und das kann ich für Perouse mit Fug und Recht behaupten“, sagt Schradi stolz.

Die Geschichte der Waldenser

Glaubensstark
Die Waldenserbewegung gilt als die älteste reformatorische Glaubensbewegung und wurde bereits im 12. Jahrhundert durch Petrus Waldes, einen Kaufmann aus Lyon und dessen Anhänger, gegründet. Gemäß ihrem Wahlspruch „Lux lucet in tenebris“ (Das Licht leuchtet in der Dunkelheit) verkündeten sie als Laienprediger, dass Jesus nicht auf der Seite von Reichtum und Macht, sondern bei den Armen zu finden sei. Trotz starker Verfolgung durch die Inquisitoren des Mittelalters gelang es den Waldensern, in den piemontesischen Alpen ein Rückzugsgebiet zu finden. Aus dem wurden sie jedoch Ende des 17. Jahrhunderts unter „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. teils vertrieben.

Flüchtlinge Die Aufnahme der Flüchtlinge, die sich unter Henri Arnaud auf den Weg gemacht hatten, geschah hierzulande nicht ohne Hintergedanken. Die Ländereien waren durch den Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) sowie die Einfälle französischer Heere während des Pfälzischen Erbfolgekrieges (1688 - 1697) stark entvölkert. So wurden in ihnen willkommene Kräfte zur Besiedelung gesehen.

Kartoffelbauern Die Waldenser waren Bauern. Ddie Seidenraupenzucht gab gewerbliche Impulse, aber bei der Einführung der Kartoffeln im Württembergischen haben die Waldenser Pionierarbeit geleistet. arno