Pulverdingen mit seinen 65 Einwohnern ist übersichtlich, die Häuser sind durchnummeriert. In manchen scheppern die Gläser im Schrank, wenn der ICE durch die unterirdische Tunnelröhre fährt, die bei dem Flecken im Erdreich verläuft.

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Pulverdingen - Dass die Häuser in einem Ort gut durchnummeriert sind, heißt noch lange nicht, dass man alles auch sofort findet. „Fahren Sie ganz durch. Wir sind das letzte Haus“, sagt Renate Reichert (71) deshalb, wenn man sie zum ersten Mal besucht. Die Hausnummern in Pulverdingen folgen für Außenstehende offenbar keiner nachvollziehbaren Logik. Wer an dem Reichert’schen Gehöft vorbeifährt, landet auf einem Maisfeld. Denn der kleine Flecken ist umgeben von Landwirtschaftsflächen und viel Natur.

 

Die Straße, die zu dem Örtchen führt, biegt in rechtem Winkel von der B 10 ab. Würde da nicht ein Wegweiser und ein Hinweisschild auf einen Hofladen stehen, käme man nicht auf Idee, dass am Ende des Weges 65 Menschen leben. Wie an vielen vergleichbar kleinen Orten werden keine neuen Bauplätze ausgewiesen. In Pulverdingen bleibt man unter sich – von ein paar Mietern abgesehen. Ein Dompteur, der in Pulverdingen mit seinen Tigern regelmäßig das Winterlager aufgeschlagen hatte, hat seinen Beruf aufgeben und Pulverdingen den Rücken gekehrt. Die Tiger sind Vergangenheit. Ihr Brüllen, das man bis weit in den Ort gehört hat, ist verstummt.

Bei Schnee macht zur Not der Bulldog den Weg frei

Die Bundesstraße freilich, die hört man in Pulverdingen deutlich. Trotzdem sagt Gustav Reichert (75): „Wir leben hier im Paradies.“ Keine Abgase, kein Durchgangsverkehr. Wenn der Schnee zu hoch lag, hat er seine Kinder einst mit dem Bulldog in die Schule gefahren. Ein Landwirt hat eben passende Gerätschaften. Reichert schiebt noch einen Satz hinterher, der keinen Zweifel daran lässt, wie sehr er sich hier verwurzelt fühlt. „Hier geh’ ich erst in der Kiste wieder weg.“

Gustav Reichert hat einen anschaulichen Beleg, warum er sich so zugehörig fühlt. Im Eingangsbereich seines Hauses hängt ein gerahmtes Blatt, das die Bewohner Pulverdingens auflistet. Das Geburtsjahr eines Vorfahren mit Namen Jost ist da mit der Jahreszahl 1659 notiert. „Wir leben hier in der neunten Generation“, sagt Reichert. Das wunderschöne Haus gleich vis-à-vis hat sein Urgroßvater gebaut. Die Sandsteine sind aus dem Maulbronner Steinbruch. Die Eltern haben es vor langer Zeit verkauft. Pulverdingen, das ist der Ort, an den viele Landwirte gegangen sind, weil es hier Flächen gab. Gustav Reicherts Vater fing hier 1948, als er aus der Kriegsgefangenschaft zurück kam, neu an.