Die Staatsgalerie Stuttgart zeigt wichtige zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler aus der Sammlung in der Sonderschau „Künstlerräume“.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Eigentlich ist er ein kultivierter Mann und seriöser Wissenschaftler. Dann aber bekommt der erfolgreiche Nuklearphysiker bei einem missglückten Experiment Gammastrahlen ab – und aus dem zivilisierten Forscher wird: Hulk. Ein Monster, ein viehischer Kraftprotz. Roh und ungehobelt brechen die Aggressionen aus ihm heraus. Aber steckt nicht in uns allen ein wildes Tier?

 

Jeff Koons hat den „Hulk“, die Titelfigur eines Comics aus den Sechzigerjahren zum Hauptmotiv seines Gemälde „Jungle“ (2005) gemacht, auf dem die Bestie das Maul grimmig aufreißt – und doch nicht mehr als ein aufblasbares Schwimmtierchen ist. Das riesige Bild, erworben von den Freunden der Staatsgalerie Stuttgart, ist eines der zentralen zeitgenössischen Werke der Staatsgalerie – und von diesem Wochenende an endlich wieder zu sehen bei einer Sonderschau. Denn es steht schon wieder eine Sanierung an – diesmal muss an dem Flügel der Alten Staatsgalerie, in der die Kunst nach 1960 untergebracht ist, das Dach geflickt werden. Mit der Ausstellung „Künstlerräume“ macht man aus der Not eine Tugend und hat 13 zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler in die Stirling-Halle umgezogen, wo jeweils eine Handvoll ihrer Arbeiten in separaten Kojen präsentiert werden, meist das, was die Staatsgalerie eben von den Künstlern besitzt.

Neuerwerbungen von Katharina Grosse

Großzügig und luftig sind die Werke nun verteilt, die mitunter gigantische Dimensionen haben: Fast vier auf fünfeinhalb Meter misst das titellose Gemälde (2013) von Katharina Grosse, die die Malerei selbst zum Thema macht. Raffiniert gehen die gesprayten Farbflächen ineinander über und greifen die Bildebenen ineinander, sodass sie nicht mehr eindeutig zugeordnet werden können. Die Staatsgalerie kann nun auch stolz sein auf eigene, neu erworbene Papierarbeiten. Als Katharina Grosse dagegen im vergangenen Jahr den Oskar-Schlemmer-Preis erhielt, mit dem Künstler ausgezeichnet werden, die einen Bezug zu Baden-Württemberg haben, konnte die Staatsgalerie als eines der ersten Häuser im Land noch mit keiner eigenen Arbeit von Grosse aufwarten.

Mit den „Künstlerräumen“ will die Staatsgalerie nun einen Diskurs eröffnen über „die zukünftige Rolle und die anstehenden Aufgaben eines Kunstmuseums der Gegenwart“, wie es im Begleitheft heißt. Das ist etwas hochgegriffen, denn letztlich werden die verschiedenen künstlerischen Positionen traditionell in isolierten Kojen vorgestellt. Weder werden Bezüge zwischen den Arbeiten und Stilen erstellt noch die museale Praxis reflektiert.

Rosa schimmerndes Licht schnöder Baumarktlampen

Aber die Unterteilung in Kabinette erhöht die Konzentration, und die Kuratorin Ina Conzen schafft es, auch die teils kleinen Bestände gut zur Geltung zu bringen. So füllt eine Lichtarbeit von Dan Flavin einen eigenen Raum. Der amerikanische Minimalist hat nicht mehr als zwei Leuchtstoffröhren unterschiedlicher Länge und Farbe an die Wand gehängt – und liefert mit dem dezenten rosa Schimmern der schnöden Baumarktlampen eine heutige, profane Antwort auf das goldene Gotteslicht der mittelalterlichen Malerei.

Es wäre auch spannend gewesen, sich nur auf die jüngeren Positionen zu konzentrieren und zu vergleichen, wie heute Künstler versuchen, komplexe Bildräume zu erschaffen. Während Katharina Grosse in der Abstraktion heterogene Räume höchst virtuos miteinander verzahnt, collagiert Neo Rauch gegenständliche Motive zu surrealen Szenarien jenseits der Ratio. In „Ordnungshüter“ von 2008 prallen in einem eigenwillig aufgebrochenen Gastraum eines Restaurants Ideologen aufeinander, die mit Buch, Knüppel, Fahne, Bomben die Welt verbessern wollen. Die Schau hat aber auch ältere Meister ins Boot geholt und präsentiert die Strichmännchen von A.R. Penck oder Bilder von Georg Baselitz, der ja auch schon bemüht war, die Sehgewohnheiten zu durchbrechen, indem er Störelemente in seine Malerei einbaute – und die Motive ab Mitte der siebziger Jahre auf den Kopf stellte. Aber auch in seinen früheren Bildern suchte er bereits nach Irritationen – und hat in „Ein Grüner zerrissen“ aus dem Jahr 1967 die Darstellung von einem Jägersmann mit Hund mit weißen Streifen durchfurcht, als sei das Motiv zerrissen und neu zusammengesetzt worden.

Diesmal kommen auch Künstlerinnen zum Zuge

Ina Conzen war bei den „Künstlerräumen“ bemüht, das zu vermeiden, was im Museumsbetrieb selbstverständlich ist: dass die Frauen unterschlagen werden. Diesmal sind unter den 13 Positionen immerhin sechs Künstlerinnen, etwa Rosemarie Trockel, die die weibliche Lebenswelt in den künstlerischen Kontext überführt, Strickmaschen riesig vergrößert und fotografiert, die Leinwand mit einem Strickstoff überzieht oder Herdplatten auf einem weißen Eisenbild verteilt – und mit diesen Punkten ironisch auf die Konkrete Kunst anspielt.

Nach langer Pause im Depot ist nun endlich auch wieder Katharina Fritschs „Warengestell mit Madonnen“ (1987 bis 1989) ausgestellt, auf dem gelbe Gipsmadonnen akkurat aufgereiht sind wie im Souvenirshop einer Pilgerstätte, in der der Kommerz den Madonnenkult erobert hat. Eine seltener gezeigte Künstlerin ist dagegen die Stuttgarterin Ingrid Hartlieb, die in den vergangenen Jahren zahllose Skizzenbücher gefüllt hat mit architektonischen Motiven und freien und abstrakten Formen – weil Zeichnen „anschauliches Denken“ sei, so Hartlieb. „Ich zeichne um zu sehen, was ich denke.“