Erste Gespräche über eine neue Koalition im Land bleiben noch ohne handfestes Ergebnis. Strobl setzt derweil eine Duftmarke.

Stuttgart - Ein feuchter Wind fegt über die weitläufige Terrasse des Hauses der Architekten. Bistrotische stehen einsam und traurig herum; niemand sucht den Blick auf die Dächer der Stadt, der sich von der Balustrade in bester Halbhöhenlage dem beglückten Auge darbietet. Schön hier, auch wenn es Stuttgart ist und kalt, und nicht etwa Lissabon, durch das einst melancholische Dichter streiften wie Fernando Pessoa, voller Unruhe im Herzen.

 

Dichter sitzen drinnen im Haus der Architekten nicht. Doch erscheint es am Mittwochmittag wie durchtränkt von Melancholie. Sozialdemokraten schnaufen ernsten Sinnes die Wendeltreppe hinauf. Die Unruhe des Wahlkampfs ist dem lähmenden Schock des Wahlergebnisses gewichen. Im Egon-Eiermann-Saal treffen die Leute um SPD-Landeschef Nils Schmid auf die Verhandlungstruppe um Winfried Kretschmann, den Ministerpräsidenten. Entlang zweier Tischreihen sitzen sie sich gegenüber, ihre Plätze sind überflüssigerweise mit Namensschildern versehen. Man kennt sich doch. Vor Kretschmann dampft eine Tasse Tee, Schmid holt sich Spätzle mit Soße vom Buffet. Sogar einen Happen Fisch legt er sich auf den Teller.

Wie vor fünf Jahren

Gab es das nicht alles schon? Ja doch, vor fünf Jahren begannen Grüne und Rote an eben diesem Ort ihre Koalitionsverhandlungen. Grün-Rot hatte 2011 gegen die CDU von Stefan Mappus eine Mehrheit erlangt. Doch diesmal wird es bei diesem einen Sondierungsgesprächen bleiben, so lange die FDP auf ihrem Nein zu einer Ampelkoalition beharrt. „Wir hätten uns die Rückkehr unter besseren Bedingungen gewünscht“, sagt SPD-Landeschef Schmid. Aber 12,7 Prozent sind zu wenig für die Fortsetzung von Grün-Rot, trotz der 30,3 Prozent, die Kretschmann seinen Grünen bescherte. Es klingt nach Abschied, als Kretschmann der SPD für die Zusammenarbeit dankt.

Oder glimmt in den grün-roten Herzen noch ein Hoffnungsfunke? Wenn sie sich gelben Ideen öffnen, gibt es dann noch die Aussicht auf eine Ampel? Kretschmann und Schmid öffnen sich weit. Er sehe keine unüberwindlichen Hindernisse für ein Bündnis mit der FDP, sagt Kretschmann. Sagt Schmid. Sagen Grüne und SPD. Ja, man darf sagen: so warm wie jetzt empfanden sie noch nie für die Liberalen. „Wir sind umfassend gesprächsbereit, mit der FDP über alle landespolitischen Themen zu reden“, beteuert Schmid. Was natürlich die Frage aufwirft, weshalb die SPD nicht mit der CDU über alle landespolitischen Themen zu reden bereit ist. Jedenfalls nicht in der Absicht, eine Koalition zu bilden. In der Finanz- und Wirtschaftspolitik zum Beispiel fänden SPD und CDU leicht zueinander. „Sind ja auch beides sozialdemokratische Parteien“, würde der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sagen, wenn er denn im Haus der Abgeordneten wäre. Ist er aber nicht.

Mögliche neue Freunde?

Statt dessen erwarten die Grünen – die SPD-Delegation hat sich inzwischen verabschiedet – ihre möglichen neuen Freunde von der CDU. Der CDU-Landesvorsitzende Thomas Strobl und Fraktionschef Guido Wolf haben sich angesagt. Es geht um Grün-Schwarz, eine Koalition, die sich viele Christdemokraten in der Variante Schwarz-Grün schon lange vorstellen konnten, manche auch wünschten. Aber Grün-Schwarz? Schwierig. Einem grünen Ministerpräsidenten sich unterzuordnen, erscheint der gefühlten Ministerpräsidentenpartei CDU extrem unattraktiv. Zumal die Christdemokraten befürchten, vom grünen Ministerpräsidenten ebenso ausgesaugt zu werden wie die SPD. Und dann hofft Guido Wolf ja immer noch – oder behauptet wenigstens, dies zu tun –, dass er selbst Regierungschef werden könnte.

Der Pforzheimer Bundestagsabgeordnete Gunther Krichbaum hatte schon die Idee, im Fall eines grün-schwarzen Bündnisses zur Mitte der Legislatur den grünen Ministerpräsidenten durch einen schwarzen zu ersetzen. Schließlich liege man beim Wahlergebnis nicht so ganz weit auseinander. Die Grünen lächeln müde, doch hatten sie nicht einst das Rotationsprinzip hochgehalten? „Das haben wir hinter uns gelassen“, sagen sie.

Am späten Nachmittag sieht sich das sechsköpfige Verhandlungsteam der Grünen der raumgreifenden achtköpfigen CDU-Führungsriege um Strobl und Wolf gegenüber. „Wir sind gespannt“, sagt Wolf. Er erscheint leger ohne Krawatte, aber voller Unruhe im Herzen. Kretschmann hingegen, bei der SPD noch hausväterlich gekleidet, trägt eine in grün-grau-schwarz gehaltene Krawatte. Schließlich ist er der Ministerpräsident. Vermutlich meint er, dass es nicht schaden könne, wenn die CDU das merkt. CDU-Landeschef Strobl bekennt sich ebenfalls zur Krawatte. Er trägt Jägergrün. „Regieren ist eine Stilfrage“, kommentiert er seine Wahl. Stand das nicht auf Kretschmanns Wahlplakat?

Aber der Wahlkampf ist ja vorbei. Und das, sagt CDU-Fraktionschef Wolf zwei Stunden später und um eine Verhandlungserfahrung reicher, sei soeben wohltuend zu bemerken gewesen. Die Ex-Kombattanten, die vielleicht bald Schwestern und Brüder sind, wirken dennoch geschlaucht, als sie die Wendeltreppe heruntersteigen. Ist was schiefgelaufen? Ist es nicht. Kretschmann spricht von einem guten Gespräch in „offener Atmosphäre“. Man habe sich „persönlich beschnuppert“. Eine etwas rätselhafte Aussage, schließlich kennen sich die meisten schon lange. „Ein guter Auftakt.“

Strobl setzt eine Duftmarke

Dabei ist zumindest formal noch offen, ob weitere Takte folgen werden. Die CDU-Granden, ansonsten doch stolz und selbstbewusst, wollen sich erst mit den Parteigremien besprechen. Das zeigt, wie fragil die Stimmungslage bei den Christdemokraten ist. Strobl, immerhin, setzt eine Duftmarke. „Wir führen Gespräche in dem Bewusstsein, dass es zu einer Koalition mit den Grünen kommen könnte“, sagt er. Fügt aber hinzu: „Dass wir auch mit anderen Gespräche führen, ist bekannt.“ Gemeint sind FDP und SPD.

Wolf, der bei der Landtagswahl gestrauchelte Spitzenkandidat, erkennt „hohe Hürden“ für ein Bündnis. Er nennt die Bildungspolitik, Verkehr und Infrastruktur, Innere Sicherheit. Und die persönlichen Ambitionen? Strobl sagt, erst käme das Land, dann die Interessen von Partei und Personen. So wird es sein. Am 12.Mai soll im Landtag der Ministerpräsident gewählt werden. Es kommen noch unruhige Tage. Herzen brennen, es geht um die Macht.