Menschliche Annäherungsversuche zwischen Unionsvertretern, Liberalen und Grünen können die inhaltlichen Gräben bislang nicht zuschütten. Nun soll die „Zeit der Zugeständnisse“ folgen.

Berlin - Die Kanzlerin und ihre Verteidigungsministerin haben damit begonnen. Die CDU-Unterhändlerinnen Angela Merkel und Ursula von der Leyen waren die Ersten, die in den Sondierungsgesprächen mit CSU, FDP und Grünen im alten Berliner Reichstagspräsidentenpalais Ingwertee mit frischer Minze orderten – inzwischen trinkt die halbe Runde den gelb-grünen Aufguss. Lobend wird bei den kleinen Partnern erwähnt, dass sich ihre Farben darin nicht bis zur Unkenntlichkeit vermischen. Gesucht wird schließlich eine Bundesregierung, in der sich die Parteien noch selbst wiedererkennen.

 

Wie schwer das ist, haben die ersten zehn Sondierungstage in den Räumen der Parlamentarischen Gesellschaft gezeigt. Dem großen Krach in der Klima- und Flüchtlingspolitik am vorigen Donnerstag folgten ein Versöhnungstreffen der Parteichefs in der bayerischen Landesvertretung am Sonntag und ein produktiver Montag mit einigen greifbaren Ergebnissen zu Bildung und Digitalisierung. Die Zahl offener Fragen, die die Partner in ihren zu Papier gebrachten Wasserstandsmeldungen benennen, liegt deutlich höher. Oft sind sie sich nur darin einig, worüber sie noch sprechen müssen. Am Mittwoch stand mit „Wirtschaft und Verkehr“ wieder ein möglicher Jamaikakiller auf der Agenda.

CSU-Entwicklungsminister Gerd Müller hat mit der Grünen Agnieszka Brugger angestoßen

Wie es hinter verschlossenen Türen zugeht, lassen Gespräche mit Teilnehmern erahnen. Aus der ersten Phase gibt es nette Geschichten über unerwartete Gemeinsamkeiten: So hat etwa CSU-Entwicklungsminister Gerd Müller spontan mit der Grünen Agnieszka Brugger angestoßen und sie im Spaß zur Staatssekretärin gemacht, da sie lieber die versprochenen 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für Entwicklungshilfe ausgeben will statt zwei Prozent für Verteidigung. Da herzt die grüne Bayerin Claudia Roth den schwarzen bayerischen Sheriff Joachim Hermann, obwohl beide in der Zuwanderungsfrage Welten trennen. FDP-Vize Wolfgang Kubicki plädiert in großer Runde dafür, die Liberalen nicht als Partei der reichen Leute zu betrachten. Zu deren Freude signalisiert CSU-Chef Horst Seehofer bei einer Gelegenheit, dass er sich auch mit einer anlassgebundenen Vorratsdatenspeicherung leben könne, wenn die anlasslose nicht funktioniere.

Zur allgemeinen Heiterkeit führt es, als der schleswig-holsteinische Grüne Robert Habeck die Kanzlerin einmal als „Chefin“ bezeichnet. Sie, die sich noch nicht öffentlich zum Verlauf der Sondierungen geäußert hat, moderiert. Dass ihr Amt am Gelingen von Jamaika hängen könnte, merke man ihr dabei nicht an, berichten Teilnehmer. Sie beschreiben ihre Gesprächsführung als „ruhig“ und „entspannt“, sie lasse viel laufen, grätsche kaum dazwischen. So soll sie die Debatte über eigene Finanzmittel für die Eurozone dadurch beendet haben, dass auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron dies nicht mehr fordere.

Unionsinterne Wortgefechte zwischen CDU und CSU

Am Montagabend, als sich Grüne und Liberale über eine Formulierung zum Mindestlohn und dessen Entbürokratisierung stritten, beklagte sie Haarspalterei und schloss die Debatte. Mindestens einmal brach sie ab, als es zu unionsinternen Wortgefechten zwischen CDU und CSU kam. Es ist typisch für diese Sondierungsgespräche, dass die Schärfe der Auseinandersetzung vom Thema abhängt und damit auch die Koalitionen wechseln. Bei der inneren Sicherheit stehen FDP und Grüne ziemlich einig gegen die Union, in der Klima- und Flüchtlingspolitik, die an diesem Donnerstag erneut aufgerufen wird, sind sie erbitterte Gegner. Es wird moniert, dass bei den Liberalen alles auf den Vorsitzenden Christian Lindner zugeschnitten und mit seinen Parteifreunden schlecht zu verhandeln sei.

Intern hält die Umweltpartei den Liberalen vor, beim Asyl noch härtere Positionen zu vertreten als die CSU. Auch beim Klima wäre man sich allein mit der Union schnell einig. Spiegelverkehrt tönt es aus den Lagern der Schwarzen und Gelben, die eine ungeklärte Verhandlungsführung bei den Grünen andeuten. Häufig, heißt es, müssten Sitzungen unterbrochen werden für interne grüne Schaltkonferenzen, nach denen vorangegangene Annäherungen infrage stünden. Ob solche Andeutungen geeignet sind, die gerade von grüner Seite angemahnte Vertrauensbasis herzustellen, bleibt abzuwarten.

Die Aufwärmphase dieser Sondierung geht zu Ende

Einig sind sich die Teilnehmer zumindest darin, dass nun – da alle Themen einmal besprochen worden sind – die Aufwärmphase dieser Sondierung zu Ende geht. Bis zum 17. November, wenn CDU, CSU und FDP jeweils für sich über ein Ergebnispapier beraten wollen, das wiederum die Grünen ihrem Parteitag am 25. November vorlegen wollen, muss es nach allgemeinem Verständnis jetzt eine „Zeit der Zugeständnisse“ geben, damit jede Partei für sie wichtige Erfolge verbuchen kann.

Weitgehender Konsens herrscht darüber, dass heikle Kompromisse nicht in großer Runde mit 52 Teilnehmern, sondern nur unter den Parteichefs zu finden sein dürften. Die vier Generalsekretäre, bereits alle per Du, haben am Dienstag zusammengesessen, um die nächsten Wochen zu planen. Für die Nachtsitzungen wird es viel Ingwertee mit frischer Minze brauchen.