Der Esslinger Musikautor Günter Ramsauer bespricht in seinem halb autobiografischen Buch „Songs to Remember“ bedeutungsschwere Songzeilen und pubertäre Peinlichkeiten aus den Siebzigern. Gerade deshalb ist das Buch auch für die Generation Spotify interessant.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Esslingen - Die folgenden Zeilen zum Buch „Songs to Remember“ des Esslinger Musikenthusiasten und -kritikers Günter Ramsauer sind von und aus der Sicht eines 30-Jährigen geschrieben. Diese Information ist wichtig, denn der im Eigenverlag erschienene Band wählt einen besonderen Blick auf die (Musik-)Welt. Menschen, die wie der Autor Günter Ramsauer in den Fünfzigern oder Sechzigern geboren wurden und 15 bis 25 Jahre später musiksozialisiert wurden, dürfte der Blick sehr vertraut sein. Wer seinen Musikgeschmack in Zeiten des Internets (mit allen, besonders von der Technik bedingten Folgen) ausgebildet hat, mag einen anderen Blick gewohnt sein. Für beide Gruppen ist ein Blick in Ramsauers Buch interessant.

 

Der Band ist halb-autobiografisch, Ramsauer versteckt sich hinter dem Teilzeitpunker und Protagonisten Gert Ramschweiner und dessen „Zwischenwelt“. Das mag dem Autor geholfen haben, manches sehr intime Detail aufzuschreiben; für das, was Ramsauer zur Musik zu sagen hat, ist es nicht relevant.

Denn Ramsauer hat viel zu sagen zur Musik der Sechziger und Siebziger; gewiss nicht nur dazu, wie ein Blick auf seine Website und seinen Newsletter mit Kurzbesprechungen aktueller Platten sofort zeigt. Das aber soll erst in einem zweiten Band abgearbeitet werden; aktuell ist der erste Band verfügbar – eben „Songs to Remember Vol. 1“, von dem Ramsauer dieser Tage die zweite Auflage drucken lässt.

Unsere Rebellion: zehn Sekunden Punk

Wer also unter den Bedingungen allgemeiner Verfügbarkeit fast jeglicher jemals veröffentlichter Musik und auch sonst in wesentlich weltgewandteren Zeiten aufwächst, wird von Ramsauer an einen ganz unbekannten Ort gebeamt. Ramsauer wuchs auf in einer Zeit, in der man teilweise wochenlang auf diese eine Import-LP wartete, sofern das Geld dafür überhaupt reichte. In der die Van-Morrison-Platte das Tor zu einer Welt darstellte, die vom Kleinbürgerlichen in württembergischen Städten wie Langenau, Ulm oder auch Stuttgart so weit weg erschien – und die Hörern wie Ramsauer doch so viel zu sagen hatte. Damals war es noch Rebellion, wenn der Kumpel und Kellner im Stammcafé mal für ein paar Sekunden Punk auflegte und vorsichtig am Lautstärkeregler drehte.

Vor allem war es eine Zeit, in der man wesentlich mehr Zeit hatte, um wesentlich weniger Platten zu hören. Wer statt Millionen Songs auf Spotify nur seine paar Platten und dazu ein paar Mixtapes hat, hört genauer hin, oder hört bestimmte Songs jedenfalls ziemlich oft. Beschäftigt sich intensiv mit dem Texten und erkennt Parallelen zum eigenen Leben.

Genau das beschreibt Günter Ramsauer alias Gert Ramschweiner, dessen Coming-of-Age das Buch anhand biografischer Stationen und zahlreicher Songs begleitet. Irgendwann zieht der Protagonist nach Stuttgart, wo er sich zwischen Fortbildung, WG, Röhre und Palast der Republik bewegt – immer einen bestimmten Sound im Ohr, es werden ständig Songtexte zitiert. Zufälligkeiten wirken wie Schicksal, und man überlegt als Leser, wie oft man schon selbst Textzeilen als unmittelbare Beschreibung und Erweiterung des eigenen Lebens wahrgenommen hat.

Die Achtziger kommen im zweiten Band

Das alles zusammengenommen ergibt mit den zahlreichen Fußnoten ein hübsches Kompendium, das nachzuhören wesentlich länger dauert als die insgesamt 179 Seiten Buch zu lesen. Neben dem bereits erwähnten Van Morrison kommen The Undertones vor, die übrigens am 4. November im Stuttgarter Club Universum spielen; immer wieder geht es um Nico, außerdem Alan Vega von Suicide oder um Jane Birkin und die Frage, ob so eine Künstlerin überhaupt singen können muss. Ganz am Ende formuliert Ramsauer zum Joy-Division-Klassiker „Love will tear us apart“ sein „Plädoyer für ein viel geschmähtes Jahrzehnt“. Gemeint sind die Achtziger, die Ramsauer ohne „modische Geschmacklosigkeiten oder den Mainstream“ beschreiben will.

Auf diese Sichtweise, die es erst im zweiten Band von „Songs to Remember“ geben wird, darf man gespannt sein. Solange sollten Musikhörer der Generationen Napster und Spotify sich mal eine Welt vorstellen, in der Musik nicht allgegenwärtig ist. Leser jenseits der 30 dürfen sich auf viele Ausrufe à la „Ja, so war das damals!“ freuen und sollten ihre Plattensammlung griffbereit haben, um die ganzen Songs auch anzuhören. Oder, falls die Plattensammlung aufgelöst oder nicht vollständig ist, sich ein Spotify-Konto zulegen.