Sonja Marohn hat nach 40 Jahren ihre Zeit im aktiven Modegeschehen beendet. Den Besen 66 wird sie weiter im stadtbekannten Haus an der Neuen Weinsteige mit ihrem Lebensgefährten betreiben.

Degerloch/S-Süd - Wenn sie einmal fremdgegangen ist, dann nur bei den Japanern, erzählt Sonja Marohn. Die Modemacher aus Fernost würden teils tolle Kleidungsstücke entwerfen. Ansonsten trage sie aber ausschließlich ihre selbst entworfene Kleidung, sagt die Designerin. „Sie ist individuell, aber gut tragbar. Man ist nie overdressed und nie underdressed“, beschreibt Sonja Marohn ihren Stil. Sie sei wohl der einzige Mensch, der sein Leben lang nie eine Jeans besessen habe, mutmaßt die 70-Jährige. „Viel zu eng und kratzig. Meine Hosen sind viel gemütlicher“, sagt sie. Bleibt abzuwarten, was Marohn in Zukunft trägt. Schon 2011 hat sie aufgehört zu produzieren. Nun hat sie auch ihren Lagerverkauf im berühmten Haus an der Neuen Weinsteige 66 aufgegeben.

 

An Ruhestand denke sie jedoch nicht. Inzwischen habe sie eine 30-Stunden-Woche. Das sei ruhig genug, sagt Marohn. Die Arbeit gehe auch ohne ihren Hauptberuf nicht aus. Da gebe es Immobilien, die sie vermietet, zweimal pro Jahr den Besen im Gewölbekeller – ihr Lebensgefährte besitzt Reben, unter anderem am Degerlocher Scharrenberg – und zahlreiche Veranstaltungen in selbigem wie beispielsweise Hochzeiten oder Geburtstage. Diesen Nachmittag bekomme sie in ihrem Wohnhaus in Degerloch noch Besuch von einer Finnin, erzählt Marohn bei einem Glas des eigenen Weins in ihrem Büro. Sie vermiete nämlich auch regelmäßig ihr Gästezimmer via Airbnb, ein Internetportal für die weltweite Buchung und Vermietung von privaten Unterkünften. „Man lernt so tolle Menschen kennen“, schwärmt die Designerin. Kaum zu glauben, dass man es mit einer Frau im besten Ruhestandsalter zu tun hat.

„Ich bin nicht böse.“

Traurig über das Ende ihrer 40-jährigen Karriere in der Modewelt sei sie nicht. „Es war eine schöne Zeit, eine tolle Zeit, aber die ist jetzt rum“, sagt Marohn. „Ich bin nicht böse.“ Die 90er-Jahre seien ihre Hochzeit gewesen, von 2003 an habe die Branche das Kränkeln angefangen, das Einkaufsverhalten habe sich verändert. Hätte sie ihre Kollektionen günstiger verkaufen können, wäre es vielleicht noch länger gut gegangen, doch dafür lege sie zu viel Wert auf Qualität. „Ich biete die gleiche Qualität wie Jil Sander oder Joop. Aber bei denen bezahlen die Kunden weiterhin“, sagt Marohn.

In die Branche rutschte die gebürtige Hessin durch Zufall. Mit 17 Jahren kam sie nach Stuttgart. Wegen der Liebe. Und weil sie von der großen Liebe schwanger war. Nach der Handelsschule und Anstellungen in einem Architekturbüro sowie einer Werbeagentur veränderte eine Reise nach Ibiza alles: In Deutschland trug Frau damals Faltenrock, Bluse und Blazer. Auf der Baleareninsel entdeckte Marohn andere Kleider. „Die waren nicht gut verarbeitet, aber bestechend schön. Diese Farben waren unglaublich, die Leute sind schier verrückt geworden“, schwärmt Marohn noch heute.

Modeatelier im einstigen Edelbordell

Mit einigen der Kleider im Koffer kehrte sie nach Deutschland zurück und vertrieb die Stücke. 1974 wagte sie den Schritt in die Selbstständigkeit. „Obwohl ich zu der Zeit bereits geschieden und alleinerziehende Mama von zwei Kindern war“, sagt sie. 40 Jahre später schüttelt sie immer noch den Kopf, ungläubig über die eigene Courage.

An die Weinsteige zog Marohn mit ihrem Atelier 1997. Zwei Jahre zuvor hatte ihr Partner das heruntergekommene Haus gekauft, das einst das berüchtigte Edelbordell „Sauna-Club 66“ beherbergte. Von edel konnte bei dem Etablissement laut Marohn gar keine Rede sein. Als sie das Haus betrat, sei sie geschockt gewesen: „Jede Sportclub-Sauna ist gemütlicher“, sagt sie. Ihr Partner – seines Zeichens Bauunternehmer – machte es sich zur Aufgabe, das Haus zu retten. Stockwerk für Stockwerk wurde renoviert und ausgebaut, das Atelier wuchs. Zuletzt arbeitete Marohn mit 30 Mitarbeitern.

Besen mit Kristalllüstern und vergoldeten Spiegelrahmen

Irgendwann kam ihrem Partner die Idee mit dem Wein. Und mit der Besenwirtschaft. Sonja Marohn hielt ihn für verrückt. Und sich selbst nicht für den klassischen Besen-Typ. Kurzerhand verlieh sie dem rustikalen Keller mit vergoldeten Spiegelrahmen und Kristalllüstern den nötigen Sonja-Marohn-Touch. Inzwischen ist sie längst begeistert. 2011 wollte sie sogar eine Konzession, um den Besen 66 zur festen Weinstube zu etablieren. Das hat aber nicht geklappt. „Ein Nachbar hat Einspruch eingelegt“, sagt sie.

Das renovierte Lebenswerk haben Marohn und ihr Partner nun zum Teil verkauft. Die einstigen Atelierräume werden zu Wohnungen umgebaut. Nur die zwei unteren Stockwerke behalten sie. Schon bald können dort wieder die Besen-Gäste ein- und ausgehen. Die Gastgeberin wird sich dann sicher noch öfter mit einem Glas Wein dazu gesellen. Eine 30-Stunden-Woche ist ja quasi wie Ruhestand.