Kim Funk-Fritsch ist vor einem Jahr mit ihrer Familie und ein paar Schafen nach Stuttgart gekommen.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Stuttgart-Möhringen - Auf dem Waldfriedhof sind Hunde verboten. Davon, dass dort keine Esel willkommen sind, steht am Eingangstor nichts. Also geht Kim Funk-Fritsch mit ihrem treuen grauen Gefährten namens Fritzi einfach hinein. Funk-Fritsch will zu der Jungfrau mit den Tränenschalen. „Diese Skulptur ist wunderschön, aber ihre Botschaft sehr traurig“, sagt Funk-Fritsch. Ein Pritschenwagen der Stadtgärtnerei nähert sich. Doch der befürchtete Anpfiff bleibt aus. Stattdessen fragt der Fahrer mit einem breiten Grinsen und in gebrochenem Deutsch durch das geöffnete Fenster: „Wo du Esel her?“ Funk-Fritsch lacht: „Der wohnt in Sonnenberg“, lautet die Antwort. Die Tierheilpraktikerin kennt Situationen wie diese. „Wenn du mit einem Esel unterwegs bist, bist du überall willkommen. Die Menschen lieben Esel“, sagt sie.

 

Dass sie damit recht hat, zeigt sich nur wenige Meter weiter. Direkt an der Seilbahnstation stehen ein kleiner runder Tisch und drei Klappstühle. Die Frau aus dem kleinen Blumenladen serviert dort Kaffee. Kim Funk-Fritsch packt eine Tischdecke aus. „Wir machen ein Picknick“, verkündet sie. Aus Fritzis Satteltaschen holt sie Hefezopf, Brezeln, Marmelade, Butter und Obst. Die Frage, ob das an einem fremden Tisch so einfach geht, erübrigt sich. Die Frau aus dem Laden begrüßt Funk-Fritsch lachend. Die beiden Damen kennen sich zumindest vom Sehen her. Schließlich kommen nicht viele mit einem Esel im Schlepptau regelmäßig dort vorbei.

Ein Esel mitten in der Großstadt ist wirklich etwas Besonderes

Es ist ein warmer Spätsommertag, und viele nutzen das schöne Wetter zu einem Spaziergang durch den Wald zwischen Degerloch, Sonnenberg und Kaltental. Und wer immer vorbeikommt, der bleibt beim Anblick des Grautiers verdutzt stehen. „Ist der echt?“ fragt ein älterer Mann. Und eine Frau gerät ins Grübeln: „Wieso finde ich Esel eigentlich hübscher als Pferde? Ich glaub, es sind die Ohren“, murmelt sie vor sich hin.

„Ein Esel mitten in der Großstadt, das ist wirklich etwas Besonderes. In Frankfurt wäre so etwas undenkbar, aber in Stuttgart geht das“, sagt Kim Funk-Fritsch. Und genau das sei es, was sie an dieser Stadt so liebe: dass es trotz der vielen Industrie noch so viel Natur gebe. Viele hätten ihr einen Vogel gezeigt, als sie vor gut einem Jahr beschloss, vom Allgäu zurück in ihre alte Heimat Stuttgart zu ziehen, wo sie zuvor 20 Jahre gelebt hatte. Denn für Funk-Fritsch stand fest, dass sie ihren Hof in Oberbayern nicht hinter sich lässt, ohne zumindest ein paar ihrer rund 60 Tiere mitzunehmen.

Bereut hat sie ihre Entscheidung nicht. Für sie war es ein Glücksfall, dass die Stadt ihr die Kressart-Streuobstwiese im Norden Sonnenbergs zur Pacht anbot. Seit Oktober teilt sich Fritzi den dortigen Stall mit einer kleinen Schafherde. Es sind gehörnte weiße Moorschnucken und Heidschnucken. Sie hören auf Namen wie Miss Marple, Wanda, Bianca und Momo. In diesem Frühjahr ist die Herde ein wenig gewachsen. Denn der Bock Paul hat ganze Arbeit geleistet. Der Schafnachwuchs heißt Carlos, Adolfo, Pünktchen und Anton.

„Sonneberg ist wie ein kleines Dorf“

Nach Stuttgart zurückgekehrt ist die Tierheilpraktikerin, weil ihre Tochter hier eine Lehre gemacht hat. Funk-Fritschs Mann ist sowieso immer gependelt. „Ich wäre die Woche über mit meinem Sohn allein auf dem Hof gewesen, und das wollte keiner“, sagt Funk-Fritsch. Nun wohnen alle zusammen in Sonnenberg. „Der Stadtteil ist wie ein kleines Dorf. Alles erinnert mich ein bisschen ans Allgäu“, sagt Funk-Fritsch. Sie hat die Tiere mit nach Stuttgart gebracht, die ihr besonders ans Herz gewachsen waren und von denen sie überzeugt war, dass sie sich auch in der Stadt wohlfühlen würden.

Was mit dem Rest der Herde geschehen ist? „Ich habe sie alle gut unterbekommen“, versichert Funk-Fritsch. Das ein odere andere Schaf sei aber auch in der Tiefkühltruhe gelandet. Da ist die Tiernärrin pragmatisch. Die Schafe hätten bei ihr ein gutes Leben gehabt. „Und weshalb soll ich Fleisch kaufen, wenn ich selbst das beste habe?“, fragt Funk-Fritsch. Für die übrigen Schafe und Fritzi gibt es womöglich noch in diesem Herbst eine Attraktion. Funk-Fritsch möchte zu einem Trekker-Treff auf ihrer Wiese im Kressart einladen. Denn nach wie vor ist sie Vorfrau des Porsche-Diesel-Clubs für die Region Allgäu-Bodensee. „Vielleicht machen wir eine kleine Ausfahrt. In jedem Fall wäre es lustig, sich mit alten Bekannten zu treffen“, sagt Funk-Fritsch in ihrer unbekümmerten Art.

Ein dumpfer Schlag bringt die Tierheilpraktikerin zurück ins Hier und Jetzt. Esel Fritzi hat so lang an den zum Verkauf gedachten Blumentöpfen mit Efeu gezerrt, bis sie heruntergefallen sind. Deutlicher hätte er nicht sagen können, dass er nun nach Hause will. Kim Funk-Fritsch packt zusammen und informiert die nette Dame im Blumenladen noch über das Malheur mit der Palette mit den Efeutöpfchen. Einen Anpfiff gibt es auch diesmal nicht.