Am Freitag beginnt das Southside Festival, das die kleine Gemeinde Neuhausen ob Eck in ein Woodstock des wilden Südens verwandelt.  

Neuhausen ob Eck - Es regnet in Strömen, der schlammige Boden ist mit Müll bedeckt, die Temperatur gefühlt im zweistelligen Minusbereich. Aber all das kann einen Rockstar wie Danko Jones, den Mann, der bald "den Musikolymp erklimmen und auf all die Motherfucker runterschauen" wird (Danko Jones über Danko Jones), nicht von seiner Mission abhalten. Zu ohrenbetäubend lauter Musik hüpft der Sänger über eine Bühne. Zehntausende von Menschen davor hüpfen mit. So begeistert, dass der Matsch meterweit spritzt. Meist auf mich.

 

Denn ich bin auch da. Auf dem Southside Festival in Neuhausen ob Eck. Allerdings weder hüpfend noch freiwillig. Mein Freund Moritz ist Festival-Fan. Ich bin Fan von ihm, daher musste ich mitkommen. Leider bin ich die ungeeignetste Person, die je auf einem Rockfestival inklusive Campen, Dixie-Klos und Dosenravioli war: Mit 24 Jahren habe ich immer noch ein Poster von Robbie Williams am Schrank hängen. Außerdem mag ich kein Bier und besitze nur rosafarbene Gummistiefel, auf denen der Stadtplan von Hamburg abgebildet ist.

"Die gehen nicht", teilt Moritz mir mit, als wir am Mittwoch für das Southside packen. Was dagegen gut geht: zwei Gläser Nutella, drei Paletten Bier, vier Packungen Würstchen, fünf Rollen Toilettenpapier und eine Schottenmütze: unsere Ausrüstung für vier Tage Festival. Die auf drei schrumpfen, als wir am Abend den Wetterbericht schauen: Dort warnt ein Herr eindringlich davor, in diese Gegend der Schwäbischen Alb zu fahren. Da seien in der nächsten Nacht 50 Liter Niederschlag pro Quadratmeter zu erwarten. Ich quengele so lange, bis Moritz zustimmt, erst einen Tag später zu fahren.

Schon der Parkplatz versinkt in Schlamm

Meine Vorfreude steigert sich auch nicht, als wir beim Southside Festival eintreffen. Denn schon der Parkplatz, eine riesige Wiese, versinkt im Schlamm. Von dort sind es noch einmal zehn matschige Minuten Fußweg bis zu den Zeltplätzen. Das hört sich wenig an, ist es aber nicht, wenn man dabei Zelt, Reisetasche, Proviant, Klapp-stühle, Grill und Kühltasche unter den Arm geklemmt hat. Wir schwanken los.

Das Festival findet auf einem im Grünen gelegenen ehemaligen Militärflugplatz statt. Die Landebahn dient als "Hauptstraße", von der links und rechts elf Zeltplätze abgehen, dazu kommen drei Flächen für Wohnmobile. Am Ende der Landebahn befindet sich das eigentliche Festivalgelände, mit Fress- und Bierbuden, Sanitäterzelt und vier Bühnen. Aus der Ferne hören wir von dort Jack Johnson singen, während wir den letzten freien Fleck Erde auf dem Zeltplatz finden. Direkt neben ein paar Dixie-Klos. Wenigstens haben wir's dann nicht weit zur Toilette, sag ich mir und versuche, mich zu freuen. Klappt nicht. Klappt noch weniger, als ich unsere Nachbarn sehe: drei Jungs auf Klappstühlen vor ihrem Zelt. Zwei von ihnen trinken entspannt ein Fass Bier leer, der Dritte ist bereits dermaßen entspannt, dass sein Oberkörper in einem ungesund aussehenden Winkel seitlich weggekippt ist. Ich will heim!

Allerdings spielen gleich The Strokes. Eine von zwölf Bands, die auf dem Southside auftreten und deren Musik ich kenne. Insgesamt spielen an den drei Tagen 80 Bands. Anders gesagt: 68 davon haben bisher in meinem Leben keine Rolle gespielt. The Strokes aber schon, daher muss die Heimfahrt doch noch bis nach dem Konzert warten. Moritz und ich machen uns auf den Weg zur Bühne und kämpfen uns auf einen Platz vor, von dem aus man Sänger Casablancas schemenhaft erkennen kann. Der erscheint gemäß dem Rockstarklischee nicht nur komplett in Schwarz gekleidet, mit langen, leicht fettigen Haaren und Sonnenbrille, sondern zu Beginn auch etwas verwirrt; Er wünscht allen viel Spaß hier "at this... Thing". Dann fängt er an zu singen.

Seite 2: Das Festival ist eine einzige Ausnahmesituation

Und ich fange an, das Festival trotz aller Widrigkeiten zu mögen. Ich höre Casablancas zu, wie er über Ex-Freundinnen und Einsamkeit singt, als würde er seine innersten Gedanken mit uns teilen. Die Menschen um mich herum tanzen und jubeln. Mir geht spontan auf, warum das Festival überhaupt existiert: Dosenbier trinken und Dixie-Klos benutzen, das kann man auch im eigenen Garten. Aber dazu noch unter freiem Himmel mit zehntausenden anderen tagelang toller Livemusik lauschen und durch den Matsch tanzen, das geht nur hier.

Ohnehin ist das gesamte Festival eine einzige Ausnahmesituation: das Campen in höchstens zwei Zentimeter voneinander entfernten Zelten führt zwar zu Platzangst, aber fördert das Gemeinschaftsgefühl. Die Besucher sind dauerbetrunken, aber freundlich. Als Moritz und ich versuchen, den Stoffhaufen, der unser Zelt sein soll, zusammenzubauen, steht plötzlich ein höchstens 17-Jähriger in Regenjacke vor uns, bietet uns Zigaretten und höflich seine Hilfe an: "Hey, ihr Idioten, ihr könnt ja gar nichts. Lasst mich mal machen." Dann beugt er sich über Heringe, Stäbe und Stangen, fuchtelt vier Minuten daran herum. Und unser Zelt steht! Als Lohn wünscht er sich ein Bier - und uns noch viel Spaß.

Den haben hier alle, auf ihre ganz persönliche Art: Ein Typ mit Cowboyhut läuft herum, schleift einen Zwei-Meter-Stoffhund durch den knöcheltiefen Schlamm und ruft: "Wer will den Hund mal streicheln?" Ein blonder Junge geht durch die Zeltgassen und fragt jedes Mädchen leise: "Was hältst du von zwanglosem Festival-Sex?" Dann geht er weiter, ohne eine Antwort abzuwarten. Vor dem Nachbarzelt sitzt ein verschlafen aussehender Rockfan im Massive-Attack-Pullover, putzt sich die Zähne, spült mit einem Schluck Wasser nach und spuckt alles vor sich auf den Rasen.

Tanzen geht nicht

Ich beschließe, auch Zähne zu putzen und mache mich auf zu den Waschzelten, motiviert von der Aussicht auf warmes Wasser. Bereue dies aber direkt, als ich ankomme: Duschen ist unmöglich, überall steht der Matsch. Dann eben zu den langen, wie Futtertröge aussehenden Waschbecken. Das Wasser steht bis zum Rand, mischt sich mit ausgespuckter Zahnpasta und auslaufenden Bierdosen - trotzdem stehen sich waschende Menschenmassen davor. Vollkommen absurd, dass hier alle verschlafen, dreckig, noch halb betrunken von der vorherigen Nacht genug Disziplin aufgebracht haben, sich die Zähne zu putzen. Meine Vorurteile vom harten Rocker, der sich die Haare höchstens alle vier Wochen mit einer Flasche Bier durchspült, geraten ins Wanken. Trotzdem vermeide ich fortan die spartanischen Waschmöglichkeiten. Meine Zähne überleben das Festival dank zuckerfreier Kaugummis.

Schließlich gibt es genug Musik, die wichtiger als Mundhygiene ist. Bei den Dropkick Murphys erwartet uns das bislang größte Gedränge, dazu auf der Bühne ein neunzig Minuten lang grimmig dreinschauender Sänger mit Muskelshirt, der seine Texte mehr schreit als singt. Das Kontrastprogramm gibt es einen Tag später bei Bonaparte, deren Konzert einer bunten, verrückten Zirkusshow ab 18 Jahren gleicht: Ein nur mit einem Pappmaché-Pferdekopf bekleideter Mann fuchtelt mit einem Spazierstock, neben ihm springt der Sänger mit zwei nackten Frauen im Arm herum, spielt den ersten Song "Do you want to party with the Bonaparte?" Alle wollen.

Tanzen geht nicht. Wegen der Kälte trage ich sieben Schichten Kleidung übereinander. Dadurch ist meine Jacke so eng geworden, dass ich die Arme kaum anheben kann. Ich sehe aus wie das Michelin-Männchen beim Versuch, Klimmzüge zu machen.

Für die Ehre von Danko Jones

Glücklicherweise gibt es noch Danko Jones. Sein Tanz beschränkt sich darauf, die Zunge so weit wie möglich rauszustrecken und bedrohliche Grimassen zu schneiden. Als das Publikum nicht so reagiert wie erwartet, klärt er erst mal auf: "Ich bin Danko Jones!" Niemand reagiert. Danko Jones erkennt, dass der Rockolymp noch ein Stückchen entfernt ist, dass das Festival aus übermüdeten Menschen besteht, die nach drei Tagen Zelten, Alkohol und Tanzen vielleicht noch gute Laune, aber keine Kraft mehr haben. "Leute", ruft Jones in den Sommerabend, "Leute, wenn ihr jetzt mal richtig abgeht...dann nehme ich die Jubelbilder in mein neues Video mit rein!"

Auf diesem Video wird man Folgendes sehen: zu ohrenbetäubend lauter Musik hüpft Danko Jones über eine Bühne. Zehntausende bestochene Menschen davor hüpfen mit. So begeistert, dass der Matsch meterweit spritzt - meist auf mich. Denn ich hüpfe mit. Für die Ehre von Danko Jones. Und für die des Southside Festivals.

Das Festival ist ausverkauft

Bands: Das Festival (17. bis 19. Juni 2011) ist bereits ausverkauft, vor Ort gibt es nur wenige Restkarten (ab 125 Euro). Insgesamt werden mehr als 50.000 Fans erwartet. Es spielen knapp 80 Bands, darunter die Foo Fighters, Incubus, die Arctic Monkeys und Clueso.

Wetter: Laut den Prognosen ist es am Freitag noch warm und sonnig, am Wochenende soll es kälter werden (10 bis 14 Grad) und regnen.

StZ-Online berichtet über drei drei Festivaltage mit Texten, Bildern und bei Twitter mit @StZ_Live. Jonathan Schneider twittert als Telekom t_reporter vom Festival.