Die Soziologin Jana Rückert-John weist darauf hin, dass Routinen und Gewohnheiten oft schuld an einer falschen Ernährung sind. Mittlerweile ist in Deutschland der übergewichtige Körper Normalität.

Rems-Murr: Sascha Sauer (sas)

Fellbach - Eine Frau liegt unter einem Riesenburger aus Fleisch und Käse begraben. Das unappetitliche Bild soll seine Betrachter für die Probleme des westlichen Ernährungsstils sensibilisieren. „Der Überfluss und nicht der Mangel an Lebensmitteln macht uns zu schaffen“, sagt Jana Rückert-John, Professorin für Soziologie an der Hochschule Fulda, die das Foto mit dem Riesenburger ihren Zuhörern zeigt.

 

Das Thema Ernährung ist in aller Munde. Deshalb hat das Kulturamt für seine 17. Veranstaltung im Beiprogramm der Triennale Kleinplastik Jana Rückert-John nach Fellbach geholt. Rund 30 Zuhörer sind am Donnerstagabend in den kleinen Saal des Rathauses gekommen, und für sie gab es Informationen satt.

Früher mussten die Menschen viel mehr Geld für Lebensmittel ausgeben

Mittlerweile ist in Deutschland der übergewichtige Körper Normalität und nicht mehr der schlanke. Das war noch bis vor wenigen Jahrzehnten kaum vorstellbar. In der Nachkriegszeit gehörte der Hunger so selbstverständlich zum Alltag wie Schwarzarbeit. In den 1950er- und 60er-Jahren wurde dann im Übermaß geschlemmt. „Fresswelle“, nennt Jana Rückert-John diese Zeit. So stieg der Pro-Kopf-Verbrauch von Schweinefleisch von 19 auf 30 Kilogramm im Jahr. Das Essen war teuer: In den 1950er-Jahren mussten die Menschen noch 44 Prozent des Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben.

Dann kamen der Kühlschrank und die Tiefkühlkost. Dazu schossen in den 1970er-Jahren plötzlich Imbissbuden wie Pilze aus dem Boden.Und das Essen wurde immer billiger. Heute werden in Deutschland nur noch 13,6 Prozent des Einkommens für Nahrungsmittel ausgegeben. Das ist nicht nur positiv: „Die mangelnde Wertschätzung der Lebensmittel ist ein großes Problem“, sagt Jana Rückert-John. Da werde einfach noch ein bisschen mehr als nötig in den Einkaufskorb gepackt.

Der Verzicht auf Fleisch führt zu mehr Export

Ihren Vortrag würzt die Soziologin mit direkten Worten: „Fleisch ist die größte Umweltsauerei“, sagt sie. So benötige man beispielsweise für die Produktion eines Kilogramms Rindfleisch 15 000 Liter Wasser. Wer aus ökologischen Gründen freiwillig auf Fleisch verzichtet, könne damit aber so gut wie nichts erreichen, sagt Jana Rückert-John. „Der Verzicht führt nicht zu einer geringeren Produktion, sondern das Fleisch wird dann einfach exportiert.“

Aber was versteht man unter nachhaltiger Ernährung? Dabei gehe es nicht nur um den Konsumenten oder um Ökologie, sondern um die ganze Kette, sagt die Referentin. Und die sei sehr komplex. So sei es beispielsweise nicht sozialverträglich, wenn jemand sein Haushaltsbudget mit teuren Bio-Produkten sprenge. Wer einen Beitrag zur Umwelt leisten möchte, dem empfiehlt Jana Rückert-John etwa mehr pflanzliche Lebensmittel statt Fleisch- und Milchprodukte zu essen.

Die Ernährungspraktiken umzustellen, ist aber gar nicht so einfach, denn die Ernährungsmuster werden früh geprägt, quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Meist gehe es bei Beratungen um eine Defizitorientierung, sagt die Soziologin. Der erhobene Zeigefinger sei aber nicht der richtige Weg. Häufig seien Routinen und Gewohnheiten schuld an der falschen Ernährung. So werde beispielsweise das Essen gesalzen, ohne es vorher zu probieren. „Wir handeln häufig wider besseres Wissens“, sagt Jana Rückert-John. Zudem müsse man die Strukturen verändern, im Kleinen könne das auch ein Cola-Automat sein, den man aus der Schule verbannt.

Ernährung ist ein privater Bereich

Doch Ernährung ist ein privater Bereich. Niemand lässt sich da gerne hineinreden. Auch Jana Rückert-John möchte ihren Zuhörern kein Essverhalten diktieren. Aber sie gibt einen Tipp: So könne man es mal als „Flexitarier“ probieren. Die ernähren sich hauptsächlich vegetarisch und gönnen sich nur ab und zu ein Schnitzel.