Mit seinem zweitägigen Besuch in Athen will der deutsche Wirtschaftsminister zeigen, dass er einen Neuanfang in der europäischen Finanz- und Wirtschaftspolitik für notwendig hält. Die Worte des Wirtschaftsministers werden Finanzminister Schäuble nicht gefallen.

Athen - Der Empfang ist herzlich: Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) umarmt den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras. Gabriel scherzt und sagt, er hätte sich seine Krawatte sparen können. Tsipras ist im offenen Hemd erschienen. Die beiden Politiker kennen sich von den Vorbereitungstreffen sozialdemokratischer Regierungschefs und Vizekanzler vor den EU-Ratstagungen in Brüssel. Nun will Gabriel mit seinem zweitägigen Besuch in Athen unterstreichen, dass er einen Neuanfang in der europäischen Finanz- und Wirtschaftspolitik für notwendig hält.

 

Tsipras liefert dazu die Stichworte: „Ich hoffe, dass das Referendum in Großbritannien ein Weckruf für Europa ist.“ Die griechische Linksregierung verlangt seit Langem die Lockerung des Sparkurses. Dafür sieht sie nach dem Brexit-Schock steigende Chancen. „Wir müssen die Austerität ersetzen und das Wachstum und den Kampf gegen Arbeitslosigkeit auf die Agenda setzen“, verlangt Tsipras. Dem stimmt Gabriel zu.

Gabriel vermeidet Attacken gegen die Sparpolitik

Der deutsche Vizekanzler vermeidet zwar Attacken gegen die Sparpolitik in Europa, die er in den vergangenen Wochen mehrfach kritisiert hat. Gabriel gibt aber klar zu verstehen, dass irgendwann auch einmal Schluss sein müsse mit Sparauflagen für südeuropäische Euroländer. „Es reicht nicht zu sagen, spart an Löhnen, Renten und Sozialversicherungsbeiträgen“, lautet sei Credo. An den Schrauben der sozialen Sicherungssysteme in den Euroländern dürfe nicht weiter gedreht werden. „Es darf keine weiteren Kürzungen mehr geben“, sagt er.

In Griechenland werden solche Sätze dankbar aufgenommen. Der Andrang griechischer Medien während des Gabriel-Besuchs ist groß. Zusammen mit einer 40-köpfigen Unternehmerdelegation will der Wirtschaftsminister dafür sorgen, dass mehr private Investitionen das krisengeplagte Land erreichen. Gabriels Feststellung, dass der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht nur auf Finanzstabilität abzielt, sondern auch auf Wachstumsimpulse, ist zwar eine Binse. Es soll nun aber stärker über Wachstumsimpulse gesprochen werden.

Europa hält sein Versprechen nicht ein

In diesem Punkt sieht der Vizekanzler Verbindungslinien zur aktuellen Debatte über die Spaltung Europas. Ein zentrales Versprechen Europas bestehe darin, allen Bürgern Wohlstand zu bieten. Diese Zusage werde nicht eingelöst, lautet Gabriels Fazit. In Griechenland, wo die Jugendarbeitslosigkeit unverändert bei 50 Prozent liegt, müssten mit privaten Investitionen und Strukturreformen neue Jobs entstehen. Dass er mit seinen Worten im Widerspruch zur Sparpolitik von Finanzminister Wolfgang Schäuble steht, lässt Gabriel nicht gelten. „Die Stimmungslage in der Koalition hat sich deutlich geändert“, sagt Gabriel. Die Aggressivität, die bei der Verabschiedung des dritten Hilfspakets für Athen vor einem Jahr in der deutschen Politik feststellbar gewesen sei, sei verschwunden. Griechenland verdiene Anerkennung für die eingeleiteten Maßnahmen. „Die Agenda 2010 ist ein laues Lüftchen im Vergleich zu dem, was Griechenland mitmacht.“