Viel Spielraum Filialen zu schließen haben die Sparkassen nicht mehr. Warum er das so sieht, sagt Peter Schneider im Interview. Der Präsident des Sparkassenverbandes Baden-Württemberg wirbt dafür, dass die Politik die Sparförderung wieder attraktiver macht.

 
Herr Schneider, das neue Ausbildungsjahr steht vor der Tür. Würden Sie jungen Menschen zu einer Lehre als Bankkaufmann raten?
Ja. Ich sage das aus Überzeugung. Es ist eine Supergrundlage, auf der sich etwas aufbauen lässt – auch für andere Bereiche. Aber es wäre falsch zu sagen, alles geht weiter wie bisher. Wir können heute nicht mehr garantieren, dass eine Ausbildung bei uns automatisch zu einer Übernahme führt. Diese Sicherheit gibt es nicht mehr. Aber wer bereit ist, die Chancen zu sehen, die in der soliden Ausbildung liegen, dem rate ich dazu.
Die Zahl der Auszubildenden bei den Sparkassen im Land ist in den vergangenen fünf Jahren um 20 Prozent gesunken. Brauchen Sie keinen Nachwuchs mehr?
Doch, wir brauchen gute junge Leute mehr denn je. Unsere Sparkassen hatten in der Vergangenheit mit zehn Prozent eine sehr hohe Ausbildungsquote. Das war weit über dem Durchschnitt in der Wirtschaft. Zurzeit sinken die Ausbildungszahlen. Das hat zum einen natürlich Kostengründe. Aber zum anderen stellen wir uns auch die Frage: Wie viel Auszubildende brauchen wir noch in der Zukunft? Wie wird sich unser Geschäftsmodell entwickeln?
Weil Sie immer mehr Filialen schließen?
Nur mal angenommen, Bankdienstleistungen würden in Zukunft zu annähernd 100 Prozent digitalisiert. Und die Kunden würden keinen Wert mehr darauf legen, dass wir Finanzdienstleistungen in der Fläche mit persönlichen Ansprechpartnern anbieten, dass wir Steuern in Deutschland zahlen, unsere IT hier in Deutschland ist, dass wir Standards für Nachhaltigkeit einhalten und Girokonten für Flüchtlinge anbieten. Angenommen Kunden würden künftig nur die billigste Dienstleistung suchen – dann müsste sich unser heutiges Geschäftsmodell radikal verändern. Aber das ist eindeutig nicht meine Prognose.

Kunden wollen beides – Filiale und Online-Banking

Sie glauben an das Geschäftsmodell mit Flächenpräsenz und Bankdienstleistungen auf allen Kanälen – von persönlich bis digital?
Wir müssen digital top sein, wir müssen aber auch die direkte Welt des Bankgeschäfts in den Filialen bieten. Die Kunden wollen beides. Sie wollen die Möglichkeit haben, in bestimmten Lebenssituationen die Filiale aufzusuchen – etwa bei einer Hausfinanzierung oder bei der Altersvorsorge. Bankgeschäft wird noch anspruchsvoller werden. Dafür brauche ich Menschen, die alle Vertriebswege beherrschen. Aber ich brauche wohl nicht mehr so viele wie in der Vergangenheit.
Wie viel Spielraum für Filialschließungen sehen Sie noch?
Nicht mehr viel. Wir haben die Zahl der mit Mitarbeitern besetzten Filialen in den vergangenen fünf Jahren um über 15 Prozent zurückgefahren. Dieses Tempo dürfen wir nicht mehr fortsetzen. Wir dürfen uns nicht so weit aus der Fläche zurückziehen, dass die Kunden den Vorteil nicht mehr erkennen, bei einer Sparkasse zu sein.
Die Erträge der Sparkassen sind unter Druck. Die Reaktion ist Kosten sparen. Reicht das?
Wir geraten angesichts der Niedrigzinssituation in den nächsten drei Jahren nicht in existenzielle Nöte, aber der Zinsertrag wird von Jahr zu Jahr weniger. Die Zinsspanne – vereinfacht gesagt die Spanne zwischen den Zinsen, die wir für die Spargelder bezahlen und den Zinsen, die wir für Kredite bekommen – wird immer kleiner. Unser kostenintensives Geschäftsmodell in seiner ganzen Bandbreite können wir auf Dauer mit dieser Zinssituation nicht halten. Wir brauchen auf mittlere bis lange Sicht wieder eine normale Zinswelt.

Negativzinsen für normale Sparer verhindern

Was ist die normale Zinswelt?
Das heißt für mich, gut zwei Prozentpunkte über dem heutigen Zinsniveau. Vor allem brauchen wir keinen Negativzins auf unsere Einlagen bei der Europäischen Zentralbank. Kalkulatorisch müssten wir heute schon von jedem Kunden, der Geld zu uns bringt, Negativzinsen verlangen. Aber das wäre das Ende unseres Geschäftsmodells. Wir heißen Sparkassen und nicht Entreicherungskassen. Darum müssen wir, solange es geht, Negativzinsen für normale Sparer verhindern. Sollte sich die Zinssituation nicht noch weiter verschärfen, gehe ich davon aus, dass wir es ohne Negativzinsen für die meisten Kunden schaffen.
Wird sich die Zinssituation in absehbarer Zeit ändern?
Es muss sich etwas ändern und ich erwarte es auch. Wir haben heute schon eine erhebliche Zinsdifferenz zu den USA. Ich glaube nicht, dass sich Europa auf Dauer durch eine zu offensive Geldpolitik von den USA absetzen kann. Im Moment sehe ich keinen entscheidenden Zinsimpuls, aber es wäre schon viel gewonnen, wenn die Zinsen in Europa nicht noch weiter sinken. Sollten sie noch weiter sinken, schiebt uns die EZB über den Abgrund. Drohen Negativzinsen, werden die Leute reagieren und ihr Geld von der Bank oder Sparkasse holen.
Die Finanzkrise ist im Kern immer noch eine Staatsschuldenkrise. Welchen Spielraum gibt es für Zinserhöhungen?
Nicht sehr viel. Die verschuldeten Staaten haben die Zeit bisher nicht ausreichend genutzt und ihre Strukturen zu wenig reformiert. Doch die Probleme, die man sich auf Dauer mit dieser Geldpolitik schafft, sind weitaus größer, als die Vorteile. Bewegung wird es in dieser Frage vermutlich erst geben, wenn es zu einem Wechsel an der Spitze der Europäischen Zentralbank kommt. Der Termin heißt für mich Herbst 2019.

Dienstleistung kostet Geld

Welche Chancen räumen Sie Bundesbankpräsident Weidmann ein, dann an die Spitze der EZB zu rücken.
Ich denke, er wäre hervorragend geeignet für die Position des EZB-Präsidenten. Aber das wird eine Frage der europäischen Kräfteverhältnisse sein. Ich mache mir da keine Illusionen: Ein Zinsniveau wie vor zehn oder 15 Jahren werden wir so schnell nicht wiedersehen.
Viele Sparkassen drehen an der Gebührenschraube. Schicken Sie jüngere Kunden damit nicht zu Direktbanken?
Die Kunden haben ein hohes Verständnis für unsere Situation, unser Marktanteil im breiten Kundengeschäft ist mit 45 Prozent seit Jahren annähernd unverändert. Wer sagt, er biete vielfältigste Bankdienstleistungen zum kompletten Nulltarif an, der lügt. Er dreht dann an anderen Stellschrauben, die der Kunde nicht sofort sieht oder er bietet in einer Nische an und übernimmt keinerlei Risiko beispielsweise in der Unternehmensfinanzierung. Man muss doch ehrlicherweise sagen: Dienstleistung kostet Geld.
Aus anderen Bundesländern weiß man, dass Sparkassen-Vorstände üppig verdienen und sehr gute Pensionen beziehen. Gäbe es hier nicht Sparpotenzial?
Bei den Sparrunden in den Sparkassen sind auch Vorstände nicht ausgenommen. Viele Sparkassen haben in letzter Zeit die Anzahl ihrer Vorstände verringert. Zum Teil wurde auch bei einzelnen Vergütungsbestandteilen gekürzt und bei neuen Vorständen ist die Versorgung nicht mehr so wie in der Vergangenheit. Aber wir müssen uns auch am Markt und an den Gehältern der Wettbewerber orientieren. Wenn ich gute Leute an der Spitze der Institute will, darf ich das nicht außer Acht lassen.

Politik soll Sparerförderung wieder attraktiver machen

Ifo-Präsident Fuest fürchtet, 2017 könnte das schlechteste Jahr für Kleinsparer seit langem werden. Haben Sie für Sparer einen Tipp?
Wir werden in diesem Jahr eine Inflation haben, die deutlich über dem Sparzins liegt, das heißt: die Sparer werden schleichend enteignet. Natürlich können Sparer in Teilen in andere Anlagen gehen. Nur jeder siebte Kunde bei uns hat ein Aktiendepot, im Schnitt liegen dort Aktien im Wert von 50 000 Euro. Viel Geld in Aktien zu investieren ist für die Mehrzahl der Menschen gar nicht möglich. Es gibt ehrlicherweise keinen risikolosen Fluchtweg aus dieser Situation. Wir werben deshalb sehr dafür, dass die Politik die Sparförderung wieder attraktiver macht.
Das ist schon länger eine Forderung von Ihnen. Warum sollte die Politik das tun?
Der Staat ist der Hauptprofiteur der Nullzinspolitik. Er hat enorme Vorteile, er muss sehr viel weniger für seine Verschuldung zahlen. Es wäre nur recht und billig, ein kleines Stück davon an die Bürger zurückzugeben. Er könnte beispielsweise die Wohnbauförderung verbessern, wieder eine Sparprämie auflegen oder mehr Anreize für die Altersvorsorge setzen. Hier ließe sich mit fünf bis sieben Milliarden Euro unheimlich viel anstoßen. Jetzt kommen Wahlen und ich setze darauf, dass die Politik das Thema aufgreift.
Sie haben innerhalb kurzer Zeit drei Spitzenpositionen im Land neu besetzt – bei der LBBW, der Sparkassenversicherung und der LBS. Als Sparkassenpräsident sind Sie die Konstante. 2018 läuft Ihr Vertrag aus, werden Sie weitermachen?
Es ist mir angeboten worden, weiter zu machen und ich fühle mich fit genug, noch einmal anzutreten. Ich würde mich freuen, wenn die Verbandsversammlung, unser oberstes Gremium, bei der nächsten Sitzung am 24. Juli der Vertragsverlängerung zustimmt. Für eine Finanzgruppe wie für ein Wirtschaftsunternehmen ist Konstanz ein wichtiger Faktor und mein Erfahrungsschatz aus der Finanzkrise, die ja noch nicht überwunden ist, könnte sicher auch künftig sehr wertvoll sein. Ich bin nicht der Typ, der sich mit 59 verabschiedet und nur noch irgendwelchen Freizeitaktivitäten nachgeht. Das ist nicht meine Welt. Von anderen wird ja auch verlangt, dass sie bis 65 oder länger weitermachen. Und außerdem macht mir die Arbeit in der Sparkassenfamilie wirklich große Freude.