Er ist länger im Amt als alle seine Vorgänger seit Willy Brandt: Sigmar Gabriel hat in fünf Jahren und 14 Tagen einiges erreicht als SPD-Vorsitzender. Dass seine Partei nicht aus dem Umfragetief kommt, kann ihn nicht beunruhigen, wie er in Stuttgart demonstriert.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Soll ich mal was Lustiges zu diesem Saal erzählen?“, hebt Sigmar Gabriel an, als er staugeplagt mit 20-minütiger Verspätung im Mozartsaal der Stuttgarter Liederhalle eintrifft. „Hier habe ich 1977 zum ersten Mal in meinem Leben die Internationale gesungen.“ Damals hielt der SPD-Chef Willy Brandt eine Rede. Seit dessen Abtritt ist Gabriel mit fünf Jahren und nun 14 Tagen der am längsten amtierende Parteivorsitzende der Sozialdemokraten – was er selbst aber weniger auf seine eigene Leistungsfähigkeit als vielmehr auf die „Verrücktheiten der SPD“ zurückführt.

 

Dabei ist es vor allem sein Verdienst, dass die Partei wieder großteils geeint dasteht. Dies gibt ihm die Gelassenheit, die Gabriel vor 750 Zuhörern beim „Treffpunkt Foyer“ der „Stuttgarter Nachrichten“ demonstriert. Obwohl die SPD in den Meinungsumfragen kaum über die 25,7 Prozent der Bundestagswahl hinauskommt, reagiert er auf die Fragen des stellvertretenden Chefredakteurs Wolfgang Molitor keineswegs gereizt. Das, wie er findet, „weitgehend entspannte Regieren“ mit der Union scheint dem Vizekanzler zu gefallen, auch wenn seine SPD wieder viele inhaltliche Punkte setzt, ohne mit wachsender Beliebtheit honoriert zu werden.

„Der Kalte Krieg ist vorbei“

Selbst dass die Linkspartei mit Bodo Ramelow bald einen Ministerpräsidenten stellen könnte, schreckt ihn nicht. Er sei kein Freund einer rot-rot-grünen Koalition in Thüringen, sagt Gabriel. „Doch wird es offensichtlich Zeit, dass beide Seiten im 21. Jahrhundert ankommen.“ Einerseits werde die Linkspartei lernen, was es heißt zu regieren – andererseits müssten ihre erbitterten Gegner erkennen, dass der Kalte Krieg vorbei sei. Die Linken seien „manchmal etwas schräg drauf, führen aber nicht den Untergang des Abendlandes herbei“.

Ein rot-rot-grünes Bündnis im Bund wird dadurch nicht wahrscheinlicher. Erst am Morgen hatte die Kanzlerin Moskau im Bundestag vorgeworfen, die territoriale Integrität der Ukraine zu missachten. Alle Abgeordneten hätten geklatscht, so Gabriel, die Linken nicht. Dies habe ihn entsetzt. Wenn sich die Linkspartei bis 2017 da nicht ändere, könne er mit ihr nicht regieren. Die SPD werde ihre Überzeugungen nicht um einer Machtperspektive willen aufgeben.

Mäßige Umfragewerte, weil „er nervt“

Die aktuellen Aufwallungen um seine Effizienz- und Klimapläne bringen Gabriel ebenso wenig aus der Ruhe. Atom- und Kohleausstieg ließen sich eben nicht zeitgleich schultern. Die Fehler wurden demnach alle vor seiner Zeit als Wirtschaftsminister gemacht: „In der Energiewende passt fast nichts zusammen“, urteilt er. Es sei nun die Aufgabe der großen Koalition, die Dinge ineinander greifen zu lassen.

Unlängst, so berichtet der Talkgast, habe er mit einem Freund über seine mittelmäßigen persönlichen Umfragewerte gesprochen. Dessen Erklärung habe gelautet: „Du nervst.“ Er komme aus einer Zeit, in der politischer Streit selbstverständlich gewesen sei, schlussfolgert Gabriel. In der heutigen „Wohlfühldemokratie“ wollten die Menschen jedoch weniger mit Konflikten belästigt werden. Macht er deswegen gegenüber der Industrie zu viele Zugeständnisse, wie Kritiker befinden? Zumindest an diesem Abend zeigt sich der einst so streitbare SPD-Chef ziemlich friedfertig.