Der SPD-Chef Sigmar Gabriel spürt im innerparteilichen Streit über ein Handelsabkommen der EU mit den USA, dass der Wind sich dreht. Auf einem kleinen Parteitag folgen ihm die Genossen zwar am Ende. Aber erstmals seit langem muss er sich wehren.

Berlin - SPD-Chef Sigmar Gabriel hat es am Ende dann doch wieder geschafft. Er hat auf einem Parteikonvent, einer Art kleiner Parteitag der SPD, im Streit über ein transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP) die Delegierten auf seine Seite gezogen. Das Abkommen zwischen der EU und den USA soll unter verschärften Bedingungen weiter verhandelt werden. Damit kann der Parteichef leben, der ja auch Wirtschaftsminister ist und ein solches Abkommen im Prinzip für eine gute Sache hält ist. Die Forderung, TTIP abzubrechen und neu vorzubereiten, kann er zurückweisen. Die Blamage bleibt ihm, der die Fortführung der TTIP-Verhandlungen im Koalitionsvertrag verankert hat, am Ende einer hitzigen Debatte also erspart. Aber das ist nur die eine Seite der Geschichte.

 

Die andere Seite ist, dass er an diesem Wochenende im Willy-Brandt-Haus spürt, wie seine Partei wieder nervös wird, aufmüpfig. Dass sie nicht mehr nur knurrt ob der konstant miesen Umfragewerte, sondern dass manche zu kläffen beginnen. Vor allem die Parteilinke begehrt auf. Nicht wenige begreifen Gabriels Drängen, sich verstärkt der Probleme von Mittelschicht und Mittelstand anzunehmen, als wirtschaftsliberale Provokation. Das Handelsabkommen ist deshalb mehr als nur eine Sachfrage. Mit dem Streit wird der lange Zeit unangefochtene Gabriel erstmals wieder zu einer Machtprobe herausgefordert.

Sigmar Gabriel kann auch kraftvoll zubeißen

Nun ist es so, dass sich Alphatiere wie er nicht nur aufs Knurren und Kläffen verstehen, sondern auch kraftvoll zubeißen können. Und so lautet für ihn die Devise in der Vorstandssitzung vor dem Konvent: Sigmar, fass! Er knöpft sich dem Vernehmen nach drei Linksausleger vor, die besonders eifrig die innerparteiliche Debatte befeuert haben: Ralf Stegner, den Parteivize aus dem hohen Norden, Jan Stöß, der als Landeschef in Berlin Regierender Bürgermeister werden will, und den Sprecher der Parlamentarischen Linken, Carsten Sieling. Gabriel wirft ihnen vor, sich auf Kosten der innerparteilichen Geschlossenheit profilieren zu wollen. Dabei würden die Drei mit Forderungen nach einem härteren Kurs in den Verhandlungen Differenzen beschreiben, die es gar nicht gebe.

Auf dem Konvent, bei dem Journalisten vorsichtshalber draußen bleiben müssen, wettert Gabriel Teilnehmern zufolge dann über eine „Kultur des Misstrauens“ gegenüber der Parteiführung. Als später einer der Gescholtenen Gabriel nahen sieht, zieht er sich zurück, sicher ist sicher, „sonst frisst der mich noch auf.“ In der folgenden Pressekonferenz regt sich Gabriel in Sachen Freihandel über Verschwörungstheorien auf, beklagt, dass im Zeitalter des Internets ganz allgemein zwar „viel gesendet, aber nicht mehr empfangen werde“. Das, so fügt Gabriel an, gelte auch für seine Partei.

Die Parteilinke übernimmt die Meinungsführerschaft

Mit dem Ergebnis kann er am Ende leben. Nur sieben der 200 Delegierten und 35 Vorstandsmitglieder stimmen im Konvent gegen den von Gabriel mitgetragenen Beschluss, drei enthalten sich. Gabriel hatte klugerweise den DGB mit ins Boot geholt. Wenige Tage vor dem Konvent hatte er gemeinsam mit DGB-Chef Reiner Hoffmann ein Papier veröffentlicht, in dem zwar rote Linien gezogen werden, das sich aber zugleich gegen einen Abbruch der Verhandlungen ausspricht. Dieses Papier wurde zur Grundlage des Beschlusses.

Aber auch die Parteilinke ist zufrieden. Sie hat Gabriel zumindest in dieser Frage die Meinungsführerschaft in der SPD aus der Hand geschlagen. Gabriel sieht das freilich anders, das sagt er jedenfalls. Er will in dem Streit über das Handelsabkommen keinen grundsätzlichen Richtungskampf in der SPD erkennen, sondern das Abbild einer Debatte, die in allen Teilen der Gesellschaft geführt werde und die wegen der anfänglichen Heimlichtuerei der EU-Kommission angstbesetzt sei.

Bis 2015 soll ein Programm zur Digitalisierung fertig sein

Gleichwohl durchkreuzt die Parteilinke mit ihrem Aufbegehren Gabriels Pläne. Sie verhindert, dass der Parteichef auf dem Konvent jenen Akzent setzen kann, der eigentlich die Berichterstattung prägen sollte. Vorbereitet war ein Papier zum digitalen Wandel. Bis zum Parteitag Ende 2015 soll ein Programm zur Digitalisierung geschrieben werden. Gabriels Rede, in der er die Genossen zu historischen Großtaten ermuntert, ist deshalb der einzige Programmpunkt des Konvents, der wie eine Art Werbeblock samt Aussprache als Live-Stream im Internet zu besichtigen ist.

Es sei an der SPD, nach dem Manchester-Kapitalismus im 19. Jahrhundert nun auch den „Silicon-Valley-Kapitalismus“ des 21. Jahrhunderts zu zähmen, sagt er in dieser Rede. Das Interesse, mit Gabriel an der Spitze die Menschen aus der Knechtschaft des digitalen Wandels zu führen, scheint aber begrenzt zu sein. Sonst müsste Sitzungsleiter Florian Pronold kaum mit der „Aussicht auf die anschließende Pause und das Essen“ die Delegierten ermahnen, nicht schon vor dem Debattenende zu den Futternäpfen zu drängen.