Die SPD finde Angela Merkels Kurs in der Asylpolitik sympathischer als große Teile ihrer eigenen Partei. Das sagte Parteichef Gabriel beim Landesparteitag in Mannheim. Statt „Wir schaffen das“ oder „Grenzen zu“ empfahl er als Devise „Realismus und Zuversicht“.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Mannheim - Der Parteichef sparte nicht mit Lob für den frisch wiedergewählten Landesvorsitzenden. Wirtschaftliche Dynamik und soziale Gerechtigkeit zu verbinden – das sei das „Markenzeichen“ von Nils Schmid, befand Sigmar Gabriel gleich mehrfach beim SPD-Landesparteitag in Mannheim: erst in seiner viel beklatschten Rede vor den gut 300 Delegierten, später noch einmal vor den Fernsehkameras. In Baden-Württemberg zeige sich besonders, wie gut Deutschland einst unter Gerhard Schröder daran getan habe, nicht nur noch auf Dienstleistungen, sondern weiter auf Industrie und Gewerbe zu setzen. Und für die Herausforderungen der Zukunft habe der baden-württembergische Wirtschafts- und Finanzminister „genau die richtigen Antworten entwickelt“. Nur mit wirtschaftlichem Erfolg und einer soliden Finanzpolitik könne man die bevorstehenden Aufgaben meistern.

 

Damit war Gabriel bereits bei dem Thema, das am Vortag auch die Rede von Schmid dominiert hatte: der Flüchtlingskrise. Wie keine andere Partei sei die SPD da gefragt. „Wir sind die Experten für gesellschaftlichen Zusammenhalt, niemand weiß mehr darüber als wir“, rief er in den Saal, „es sind sozialdemokratische Zeiten“. Seit einem Jahr habe man die Union in Berlin darauf hingewiesen, was da auf Deutschland zukomme; doch sie habe das Flüchtlingsthema einfach „nicht auf dem Schirm gehabt“, nicht wahrhaben wollen. Nun, da es mit aller Wucht hereinbricht, täten sich CDU und CSU schwer mit dem Kurs der Kanzlerin. Die Antworten von Angela Merkel seien „uns Sozialdemokraten sympathischer als weiten Teilen ihrer eigenen Partei“, meinte Gabriel. Ihrem „Wir schaffen das“ werde dort ein „Grenzen zu“ gegenübergestellt.

„Es gibt keine Zugbrücke“

Auf dieses doppelte Spiel, mahnte er, dürfe sich die SPD nicht einlassen. Es sei ohnehin eine Illusion, dass sich Deutschland oder Europa abschotten könnten: „Es gibt keine Zugbrücke, die man hochziehen könnte.“ Nur zu sagen „wir schaffen das“ reiche freilich auch nicht aus: die Bürger erwarteten gerade von der SPD Antworten, wie man es schaffen solle. Ihre Sorgen müsse man ernst nehmen, Tabuzonen dürften nicht errichtet werden. „Wir müssen auch denen zuhören, die nicht glauben, dass wir es schaffen“, forderte der SPD-Chef. Wichtig sei, den Menschen immer die Wahrheit zu sagen. Und dazu gehöre, dass es „keine schnellen Lösungen“ geben werde. „Zuversicht und Realismus“ – das sei die Devise der Sozialdemokraten.

Wie man es schaffen könne, dafür hatte Gabriel ein Beispiel parat. Man brauche Übersetzer nicht nur für die Sprache, sondern auch „Kultur-Dolmetscher“. Solche „Brückenbauer“, die Neuankömmlinge mit Deutschland vertraut machten, könnten besonders Menschen mit Migrationshintergrund sein. Überhaupt seien die Bürger die „wahren Helden der Integration“. Entscheidend für deren Erfolg ist für den SPD-Chef, „die Armen in Deutschland nicht auszuspielen gegen die Armen, die kommen“; das berge sozialen Sprengstoff. Deswegen dürfe etwa der Mindestlohn nicht in Frage gestellt werden, betonte er wie zuvor auch Nils Schmid. Wichtig sei aber auch ein handlungsfähiger Staat. Der dürfe nicht arm und desolat, sondern müsse modern und gut finanziert sein. Weniger Staat, mehr Wettbewerb – dieses Credo der Konservativen passe nicht mehr.

Absage Gabriels an Steuererhöhungen

Zuspruch bekam Gabriel in der Diskussion von der Vize-Landeschefin Hilde Mattheis, einer Vertreterin des linken Flügels. Man könne sich in der Tat keinen armen Staat leisten, die „Stärksten in der Gesellschaft“ müssten da in die Pflicht genommen werden. Die Parole „wir schaffen das“ sei eigentlich eine sozialdemokratische, meinte Mattheis: „Es tut mir richtig weh, dass wir das nicht selber gesagt haben.“ Doch der Parteichef reagierte leicht ungehalten. Man möge „Klartext reden“, es gehe Mattheis doch wieder um Steuererhöhungen. Mehrfach habe sich die SPD an der Wiedereinführung der Vermögenssteuer versucht, jedes Mal sei sie an den Problemen gescheitert, Privat- und Betriebsvermögen zu trennen. Auch solide Staatsfinanzen seien wichtig, sagte Gabriel an die Adresse der Linken: So wenig die „schwarze Null“ ein Ziel für sich sei, so wenig könne es das Ziel sein, „sie unbedingt zu reißen“. Nicht gelten ließ Gabriel auch die Kritik, sein Hinweis auf die Grenzen der Aufnahmefähigkeit sei populistisch: Es sei doch „völlig klar“, dass Deutschland nicht auf Dauer eine oder anderthalb Millionen Menschen aufnehmen könne: „das weiß doch jeder.“ Nils Schmid dankte Gabriel „für die Ehrlichkeit“ und bestätigte, die SPD werde „mehr denn je gebraucht“.

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