Schon jetzt sollen die Beamten des Doppelministeriums von Nils Schmid (SPD) die Koalitionsverhandlungen vorbereiten. Was im Ressort für Verwunderung sorgt, findet der Chef ganz normal.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Im Finanz- und Wirtschaftsministerium gehört Carsten Gilbert zu den engsten Mitarbeitern von Nils Schmid (beide SPD). Wie sein Chef wird er parteiintern der Gruppe der „Netzwerker“ zugerechnet, den pragmatischen, manche sagen auch: karrierebewussten Sozialdemokraten. In Stuttgart hat der aus dem Rhein-Neckar-Raum stammende Politikwissenschaftler, der zuvor in Berlin tätig war, rasch Karriere gemacht: erst war er Schmids Büroleiter, nun ist er Chef der Zentralstelle im Rang eines Ministerialrats. In dem Doppelressort gilt Gilbert als ebenso selbstbewusst – manchen auch zu selbstbewusst – wie politisch gewieft.

 

Umso mehr Erstaunen hat eine Mail ausgelöst, mit der sich der Schmid-Vertraute am vorigen Donnerstag um 9:49 Uhr an die Abteilungsleiter wandte. „Vorbereitung Koalitionsverhandlungen“ lautete der Betreff, die Wichtigkeit war mit „hoch“ angegeben. Nach der Landtagswahl am 13. März, eröffnete Gilbert den neun Ministerialdirigenten, darunter eine Frau, stünden die Koalitionsverhandlungen an. „Unabhängig davon, wer die zukünftige Landesregierung stellen wird“, sei für das Ministerium (Kurzform: MFW) „eine gute Vorbereitung sehr wichtig“.

Daher sollten schon zuvor Vorschläge „identifiziert und bewertet werden, die Themen des Hauses betreffen“. So lasse sich gewährleisten, dass die Bündnisgespräche „durch die Expertise des Hauses begleitet, Diskussionen in eine fachlich richtige Richtung gelenkt und Interessen des Hauses gewahrt werden“.

„Konkrete Formulierungshilfen“ erbeten

An die Abteilungsleiter erging daher die Aufforderung, die Wahlprogramme der vier Landtagsparteien von ihren Referaten prüfen zu lassen. Erwartet werde eine Zusammenstellung, welche Punkte fachlich „negativ zu bewerten sind“, wo ein „zu begrüßendes Ziel“ verfolgt werde, das man aber besser anders lösen sollte und welche für das Ministerium wichtigen Punkte in einzelnen oder allen Programmen fehlten. Beigefügt waren die Links zu den Programmen „der vier Parteien mit realistischen Chancen auf eine Regierungsbeteiligung“: CDU, Grüne, SPD und FDP.

Abgabeschluss für die Rückmeldungen: „Freitag, 10. März, Dienstschluss“. Gemeint ist wohl entweder Donnerstag oder der 11. März. Nach der Wahl am Sonntag darauf, verblieb Gilbert, seien die Vorschläge dann „unter Berücksichtigung der Verhandlungssituation gegebenenfalls zu präzisieren“. Nützlich seien dann insbesondere „konkrete Formulierungshilfen für den Koalitionsvertrag“.

Bei den Spitzenbeamten stieß der Auftrag in mehrerlei Hinsicht auf Verwunderung. Das lese sich ja so, folgerten sie, als ob die SPD sehr sicher sei, an den Koalitionsgesprächen teilzunehmen – mit wem auch immer. Wie offen man da wohl die Ansicht der Fachabteilungen nach oben melden könne? Zu bewerten wäre beispielsweise die Ankündigung von CDU und FDP, wieder ein eigenständiges Wirtschaftsministerium zu schaffen. Bis heute gilt die Zusammenlegung mit dem Finanzressort intern als wenig glücklich. Aber kann man das dem SPD-Chef schreiben, der sich unbedingt ein „Superressort“ schmieden wollte?

Rückmeldungen für alle Parteien?

Auch dass nun Dutzende Referate die Parteiprogramme durchforsten sollten, erschien den Ministerialen merkwürdig: Das sei doch eigentlich Aufgabe der einschlägigen Stabsbereiche und nicht der Fachebene. Leicht amüsiert wurde auch vermerkt, wie vertrauensselig Gilbert die – teils noch aus CDU-Zeiten stammenden – Ministerialdirigenten anschrieb. Seine Mail landete jedenfalls prompt bei der StZ.

Es gebe ja auch nichts zu verbergen, sagt der Sprecher Nils Schmids. Dass sich ein Ressort für Koalitionsgespräche wappne, sei ein ganz normaler Vorgang. Die Rückmeldungen seien keineswegs exklusiv für die SPD, sondern stünden allen verhandelnden Parteien zur Verfügung – „wer auch immer das sein mag“. Es gehe schließlich um fachliche Aspekte, zum Beispiel die Folgen bestimmter Vorhaben für den Haushalt. Der Anstoß sei zwar nicht vom Minister gekommen, aber vom Amtschef. Einen Rüffel des Chefs scheint Carsten Gilbert demnach nicht befürchten zu müssen.