Bei der Bundestagswahl sollen auch Reformen der Agenda-Zeit kassiert werden. Weil sie so erfolgreich waren, könne man sie jetzt wieder zurücknehmen, heißt es. So will die Partei in der Krankenversicherung zurück zur paritätischen Finanzierung.

Berlin - Die Umfragen im Keller, die Basis in Unruhe, der Parteichef umstritten. Die SPD ist in keiner guten Verfassung. Jetzt ziehen die Genossen Konsequenzen. Der Fahrplan zur Bundestagswahl 2017 liegt vor. Die Parteiführung setzt auf Erkennbarkeit und auf die Mitwirkung der Mitglieder. Schon jetzt ist klar, was folgen wird: ein deutlicher Ruck nach links.

 

Parteichef Sigmar Gabriel, der mangels Konkurrenz einzig realistischer Kandidat ist, hat diesen bereits eingeläutet, nachdem er nach 2013 als Wirtschaftsminister zunächst eigentlich einen sozialliberalen Mittekurs eingeschlagen hatte. Bei der Rente konterte er den Vorstoß von CSU-Chef Horst Seehofer, gegen Altersarmut vorgehen zu wollen, mit der Ansage, dieses Thema bei der Bundestagswahl zur Abstimmung zu stellen. Womit er frühere SPD-Entscheidungen wie die Absenkung des Rentenniveaus in Frage stellt. Auch bei TTIP veränderte Gabriel die Tonart, nachdem er über Monate als Wirtschaftsminister in Konfrontation mit dem linken Flügel seiner Partei so tat, als verknüpfe er TTIP mit seiner politischen Zukunft. Mittlerweile schließt er ein Scheitern nicht mehr aus.

Wie bei der Rente, so stellt die SPD auch bei den gesetzlichen Krankenkassen frühere Entscheidungen in Frage. Fraktionschef Thomas Oppermann, der gemeinsam mit Generalsekretärin Katarina Barley und Familienministerin Manuela Schwesig die Programmkommission leiten wird, kündigte an, dass die SPD für eine „Rückkehr zur paritätischen Krankenversicherung“ streiten werde, zu gleichen Teilen finanziert von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Auch dieser Kurswechsel wird nicht einfach zu vermitteln sein. Die Abschaffung der paritätischen Finanzierung verantwortete die sozialdemokratische Gesundheitsministerin Ulla Schmidt.

Oppermann versucht, eine Rückabwicklung mit dem Erfolg der Reformen unter Kanzler Gerhard Schröder zu rechtfertigen. Die Jahre nach der Agenda-Zeit seien „so positiv gelaufen, dass wir von dieser Regelung weg können“, sagte Oppermann. Das Beispiel zeige, „dass schmerzhafte Reformen auch mal die Grundlage sind für Entlastungsreformen.“

Ex-US-Präsident Bill Clinton steht Pate

Zielgruppe sollen laut Oppermann jene sein, „die hart arbeiten und sich an die Regeln halten.“ So hatte das der ehemalige US-Präsident Bill Clinton formuliert und so soll es auch in der Kampagne der SPD widerhallen. Die Mitglieder sollen dabei mitreden. Sieben Arbeitsgruppen sollen die Grundlagen für die Programmarbeit liefern. Auf vier Regionalkonferenzen, beginnend am 25. Juni in Bonn, werden Mitglieder dazu Position beziehen können. Im Herbst soll das Gespräch mit Verbänden gesucht werden. Auch eine Bürgerkonferenz ist vorgesehen, die Interessierten ohne Parteibuch offen steht. Schließlich soll es zu einzelnen Fragen Mitgliederbefragungen geben, deren Ergebnis verbindlich ist. Zwar sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley, dass noch nicht klar sei, wie die Themen der Abstimmungen festlegt würden. Man kann aber davon ausgehen, dass die Partei nicht über Fahrradwege, sondern über Herzensanliegen wie Rente, Gesundheit oder Steuern befragt werden will.

Für Gabriel, der wohl Anfang 2017 zum Kanzlerkandidaten ausgerufen werden soll, ist das ein riskantes Manöver. Denn die Kampagne von Peer Steinbrück krankte 2013 daran, dass der Kandidat nicht zum damaligen stramm linken Umverteilungsprogramm passte. Gabriel hatte daraus die Konsequenz gezogen, Steuererhöhungen auszuschließen. Er gedenke nicht, so seine Argumentation, nach zwei verlorenen Umverteilungswahlkämpfen ein drittes Mal gegen die Wand zu fahren.

In der Partei gibt es aber große Sympathie dafür, das Gerechtigkeitsthema erneut mit Steuerfragen (Spitzensteuer, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer) zu verknüpfen, zumal die sozialen Wohltaten, die womöglich versprochen werden, auch bezahlt werden wollen. Andererseits ist der Parteispitze trotz des Risikos, überstimmt zu werden, klar geworden, dass der Unmut der Basis ohne Partizipation und Teilhabe kaum mehr kontrollierbar ist. Im Juni 2017 wird deshalb auf einem Wahlparteitag die Partei endgültig entscheiden, wo die Reise bei der Wahl hingeht. Und auch: mit wem.