Soll die SPD doch noch einmal mit CDU und CSU eine Regierung in Berlin bilden? Andreas Stoch, Fraktionschef in Baden-Württemberg, plädiert für Gespräche mit der Union – und stellt inhaltliche Bedingungen.

Stuttgart - Seit die Jamaika-Sondierungen von Union, FDP und Grünen gescheitert sind, richtet sich der Blick auf die Sozialdemokraten: Gilt weiterhin, dass für sie nur Opposition oder Neuwahlen in Frage kommen? Ein Gespräch mit dem Fraktionschef Andreas Stoch über neues Nachdenken, die Zukunft von SPD-Chef Martin Schulz und grün-schwarze Politik in Baden-Württemberg.

 
Herr Stoch, Ihr Parteichef Martin Schulz hat sofort nach dem Jamaika-Aus gesagt, die SPD bleibe bei ihrem Nein zu einer Großen Koalition. War diese schnelle, harte Festlegung richtig?
Die Festlegung stand noch unter dem Eindruck des Wahlabends. Und sie war Ausdruck der Überraschung über das Scheitern der Sondierungsverhandlungen. Im Moment findet in der SPD ein Nachdenken statt. Ein Nein zu einer Regierungsbeteiligung zieht die Frage nach sich: Was passiert dann? Neuwahlen halte ich als Antwort für wenig überzeugend. Unsere Verfassung lässt Neuwahlen nur als ultima ratio zu. Wir sollten prüfen, ob nicht doch eine Regierungsbeteiligung möglich ist. Wir dürfen nicht aus Prinzip Nein dazu sagen, sondern müssen über die Inhalte reden.
Halten Sie auch eine Minderheitsregierung für ein tragfähiges Modell?
Das Modell hat einen gewissen Charme, weil die SPD dann ihre Argumente im Parlament vorbringen könnte. Eine wesentliche Kritik an der großen Koalition war, dass viele Sachentscheidungen im Vorfeld der parlamentarischen Beratung entschieden wurden – eine wirkliche Debatte fand nicht mehr statt. Eine Minderheitsregierung müsste im Parlament in jeder Frage für Mehrheiten werben. Wegen der großen Verantwortung Deutschlands in der Welt könnte das aber nur eine vorübergehende Lösung sein.
Der schnelle Ruf nach Neuwahlen ist verbunden mit dem Namen Martin Schulz. Bekommen Sie vor dem Bundesparteitag noch eine Diskussion über den Vorsitzenden?
In der jetzigen Situation besteht die Gefahr, dass einfache Antworten gesucht werden wie die Forderung nach Personalaustausch. Die SPD steht zur ihrem Vorsitzenden Martin Schulz. Die Frage, wer die SPD in die nächste Wahl führt, trenne ich davon ab.
Worauf kommt es inhaltlich an, wenn die SPD noch einmal mit der Union zusammenarbeiten soll?
Wir müssen die ganz konkreten Fragen der Bürger beantworten. Wie schaffen die Menschen den beruflichen Übergang in die neue digitale Welt? Bildung und Fortbildung müssen einen großen Stellenwert bekommen. Gibt es genug und vor allem bezahlbaren Wohnraum? Das ist ein Schlüsselthema für die SPD. Wie reagieren wir auf die starke Zuwanderung? Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz und ein überzeugendes Integrationsprogramm. Die Reform der Renten- und Krankenversicherung sind zentral für Verhandlungen mit der Union. Die Parität in der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung muss auf jeden Fall wieder hergestellt werden.
Herr Kretschmann und Herr Strobl vermitteln den Eindruck, dass die Jamaika-Verhandlungen die Grünen und die CDU noch näher zueinander gebracht haben. Erleben Sie die beiden auch als bestens harmonierendes Duo?
Die gespielte Harmonie der beiden Herren kann nicht überdecken, dass zwischen den Grünen und der CDU in Baden-Württemberg große Unterschiede bei den Inhalten wie bei der politischen Kultur bestehen. Kretschmann allerdings führt die Koalition in Stuttgart so, dass sowohl Grüne als auch CDU jeweils ihr eigenes Wiesle mähen dürfen wie sie wollen – auch wenn das zu vielen Widersprüchen im Regierungshandeln führt.
Gilt das auch für den Landeshaushalt, über den im Dezember abgestimmt wird?
Grün-Schwarz hat im Koalitionsvertrag keine Prioritätenliste aufgestellt. Dank der guten Steuereinnahmen können sie alle Konflikte mit Geld zuschütten. Das aber hat nichts mit einer nachhaltigen Finanzpolitik zu tun.
Agieren Sie nicht genauso, wenn Sie ein Milliardenprogramm für die Kommunen fordern, die doch ebenfalls vom Steuerplus profitieren?
Die Kommunen profitieren auch, aber das rechtfertigt nicht, dass das Land ihnen im vergangenen Jahr 320 Millionen Euro genommen hat – das sind 30 Euro pro Einwohner. Allein Mannheim bräuchte für die Sanierung seiner Schulen 120 Millionen Euro. Für die Digitalisierung und eine Bildungsplattform benötigen die Schulen eine entsprechende Infrastruktur. Die kommunalen Landesverbände haben dem Land eine Partnerschaft angeboten, aber die Regierung hat es nicht geschafft, sich mit ihnen vor der Ausarbeitung des Haushalts zu verständigen. Damit wird das Land seiner Verantwortung nicht gerecht.
Sie wollen mittelfristig auch die Kindergartengebühren abschaffen. Wäre es nicht sinnvoller, die 120 Millionen pro beitragsfreiem Jahr zu nutzen, um Erzieherinnen besser zu qualifizieren und bezahlen?
Bei der Kleinkindbetreuung hatte das Land bis 2011 die rote Laterne - im Familienbild von CDU und FDP spielte die frühkindliche Bildung kaum eine Rolle. Grün-Rot hat binnen fünf Jahren die Zuschüsse fast versechsfacht – auf jetzt über 800 Millionen Euro. Dadurch sind viele neue Betreuungsplätze entstanden. Nun müssen wir über Qualitätsverbesserungen reden. Man sollte aber Qualität nicht gegen Entlastung ausspielen. Wir hören ständig, angesichts der guten Kassenlage müsse man den Bürgern etwas zurückgeben. Wenn man junge Familien mit Kindern entlastet, ist das das richtige Signal.
Sie wollen auch die Studiengebühren für Nicht-EU-Ausländer streichen und eine Milliarde Euro Schulden zurückzahlen. Wo nehmen Sie das Geld her?
Bei den aktuellen Beratungen im Finanzausschuss machen wir viele Einsparvorschläge. Wir haben aber auch strukturelle Überschüsse aus den vergangenen Jahren und Rücklagen von fast fünf Milliarden Euro. Die kann ich aufs Sparbuch legen oder zumindest zum Teil sinnvoll investieren.
Von 2020 an darf das Land keine neuen Schulden mehr machen. Ist es da nicht sinnvoll, Rücklagen zu bilden?
Die Schuldenbremse dient nicht dazu, Defizite mit Rücklagen auszugleichen, sondern keine neuen Schulden mehr zu machen. Aus meiner Sicht sollte die Landesregierung ehrgeiziger sein und nicht nur eine halbe, sondern eine Milliarde Euro tilgen.