Die geringe Wahlbeteiligung bei der Bremen-Wahl hat die Parteien aufgeschreckt. Für SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel ist der Politikstil der Kanzlerin ein Grund für das sich verschärfende Phänomen.

Berlin - Der hessische Landeschef fordert Mut zu klaren Aussagen. Politiker dürften nicht zu Katalysatoren von Meinungsumfragen verkommen.

 
Herr Schäfer-Gümbel, die Mehrheit der Bremer ging nicht wählen. Weshalb?
Man muss es klar sagen, die Wahlbeteiligung ist eine Katastrophe. Viele haben offenbar gedacht, Rot-Grün gewinnt eh. Sinkende Wahlbeteiligung ist leider ein Trend, mit dem sich alle Parteien beschäftigen müssen. Die Konturen der Parteien müssen deutlicher gemacht werden. Nur wenn die Menschen Positionen unterscheiden können, wissen sie, dass sie eine Wahl haben. Unabhängig davon ist aber klar, dass die SPD trotzdem mit weitem Abstand stärkste Kraft ist und den Regierungsauftrag hat. Die Entscheidung von Bürgermeister Böhrnsen bedauere ich sehr.
Was tun gegen die Wahlverweigerung?
Mut zum Grundsätzlichen. Alternativen klar benennen. Politik muss Orientierung bieten und Ausdruck einer Haltung sein. Politiker dürfen nicht zu Katalysatoren von Meinungsumfragen verkommen.
Hat Angela Merkel mit ihrem Politikstil zur Wahlmüdigkeit beigetragen?
Die Entpolitisierung von Entscheidungen, so wie das Frau Merkel betreibt, ist Teil des Problems. Es würde helfen, wenn die CDU-Vorsitzende häufiger Positionen bezieht und sie auch hält. Aber Frau Merkel neigt zum „Aussitzen“. Dieser Führungsstil ist aber ein Auslaufmodell. Wer glaubt, dass wir unseren Wohlstand und den Erfolg unserer Volkswirtschaft durch „Aussitzen“ absichern, der irrt.
Die Kanzlerin ist beliebt…
…für eine Verlässlichkeit, die sie nicht immer bietet. Die Liste an Beispielen ist lang. Erst entscheidet die Kanzlerin den Ausstieg aus dem rot-grünen Atomausstieg und ruiniert damit milliardenschwere Investitionen, sechs Monate später wirft sie nach Fukushima wieder alles um. Schwarz-Gelb hat die Energiewende danach nie strukturiert gestaltet. Wir müssen jetzt das Chaos von Schwarz-Gelb aufräumen. Vor wenigen Monaten war für Frau Merkel der Solidaritätszuschlag noch zwingend notwendig. Nun will sie ihn bis 2030 abschmelzen. Im Wahlkampf lehnt die CDU-Chefin die Maut noch kategorisch ab, jetzt setzt sie die Maut durch. TTIP, das Freihandelsabkommen mit den USA, bringt sie zwar auf den Weg, aber zu einem positiven Ergebnis müssen wir es bringen. Der Stabilitätsanker dieser Bundesregierung ist die SPD.
In Hessen koalieren die Grünen mit der Union, selbst im roten Bremen reicht es nur knapp für ihre Wunschkoalition. Müssen Sie sich nicht eingestehen, dass Rot-Grün auf Bundesebene vom Tisch ist?
Es gibt überhaupt keinen Grund, die rot-grüne Option aufzugeben. Noch ein Jahr vor der Bundestagswahl hatte Rot-Grün in Umfragen eine Mehrheit. Das ist noch nicht einmal drei Jahre her. Warum sollte das nicht wieder möglich sein? Mit Rot-Grün ließe sich die soziale und ökologische Erneuerung unserer sozialen Marktwirtschaft konsequent umsetzen. Diese Grundorientierung können wir nicht einfach ablegen, nur weil die Umfragen gerade nicht passen. Klar ist aber auch, dass wir mit einem Ergebnis von um die 25 Prozent dieses Ziel nicht erreichen werden. Deshalb müssen wir bis 2017 gute Arbeit in der Regierung machen und zugleich unser Profil schärfen.
In der BND-Affäre verschärft die SPD den Ton. Glauben Sie, so punkten zu können?
Hier geht es nicht um Taktik. Hier geht es um das Vertrauen in unseren Rechtsstaat. Die Union trägt seit zehn Jahren die Verantwortung für die Geheimdienste. Deren Arbeit ist wichtig, aber sie müssen aufmerksam beaufsichtigt werden. Jetzt erfahren wir, dass es anscheinend nie die Bereitschaft der USA gegeben hat, ein No-Spy-Abkommen zu schließen, das Spionage unter Freunden ausschließt. Der ehemalige Kanzleramtschef Ronald Pofalla hat also entweder eigenmächtig oder aber im Auftrag der Kanzlerin die Unwahrheit gesagt. Das war eine Täuschung und die Wähler haben einen Anspruch darauf, von der Kanzlerin eine Erklärung dafür zu bekommen. Wir als SPD können ein unkontrolliertes Eigenleben der Nachrichtendienste nicht akzeptieren, das gegen deutsche Gesetze verstößt. Deswegen war es richtig, dass Sigmar Gabriel klar gemacht hat, dass das nicht geht. Das muss man auch in einer Regierungskonstellation sagen.
Gabriel fordert die Herausgabe der Suchkriterien, mit denen die NSA mit Hilfe des BND operierte. Was geschieht, wenn die Kanzlerin dem nicht nachkommt?
Wir brauchen eine vollständige Aufklärung. Dazu braucht man die Liste. Wir erwarten, dass diese Suchkriterien den zuständigen parlamentarischen Gremien zur Verfügung gestellt werden.