Zurzeit gibt es viele Anfragen wegen Spechten beim Nabu in Stuttgart. Hausbesitzer haben ihre Mühe mit den Tieren. Doch der Abschuss ist verboten – die Tiere sind streng geschützt.

Stuttgart - Sonntagmorgen, endlich Zeit zum Ausschlafen. Plötzlich klopft es. Schnell und forsch. Das Geräusch erinnert irgendwie an einen Presslufthammer. Doch Bauarbeiten am Sonntag? Wer nach der Lärmquelle sucht, findet sie oft an der Hausfassade. Dort nämlich sitzt der possierliche Specht – und begehrt lautstark Einlass. Das sorgt für Verdruss, nicht nur bei zu früh Geweckten. Fassaden haben für gewöhnlich nämlich keine Spechttüren. Und so baut sich das hübsche Vogeltier einfach selbst eine. Das passiert nicht immer und überall - aber es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Hausbesitzern, die mit dem Stopfen und Spachteln der Außenwände alle Hände voll zu tun haben.

 

„Eines Abends hat es wie blöd gehämmert“, berichtet Ulrich Wecker, der Stuttgarter Geschäftsführer von Haus und Grund, aus eigener leidvoller Erfahrung. Richtig laut sei es gewesen, dabei liege ihre Wohnung im Erdgeschoss, während der Specht sich oben an der Traufkante zu schaffen machte. „Das hallt wie irre. So ein Gebäude ist ja ein riesiger Resonanzkörper“, sagt Wecker.

Lampen vertreiben die Tiere nicht

Erst im Jahr 2009 sei das Haus gedämmt worden, berichtet Wecker. Als Einladung an den Specht war das nicht gemeint, er hat es aber so aufgefasst. Zwei Tage lang sei herausgerissenes Styroporzeug herumgeflogen. „Dann saß er frech und gemütlich oben drin und hat sich gefreut.“ Zuerst hätten sie ihn mit „Flutlicht“ vertreiben wollen, sprich mit gleißendem Dauerleuchten der Lampe mit Bewegungsmelder. Doch das habe das Tierchen total kalt gelassen. Also bediente sich Wecker einer Sprache, die der gefiederte Hausbesetzer verstand: Er hängte einen Plastik-Raben an die Dachrinne. Das wirkt! Kurze Zeit später konnte das vom Specht geschlagene Loch gekittet werden.

Aber warum sind die Spitzschnäbel überhaupt in der Großstadt aktiv? Der Naturschutzbund Baden-Württemberg (Nabu) hat darauf eine plausible Antwort: Die Vögel finden zwar in der begrünten Umgebung der Siedlungen ausreichend Insekten als Nahrung, doch was ihnen fehlt sind alte und morsche Bäume, um ihre Höhlen zu bauen. „Landen Spechte an mit Styropor eingekleideten Fassaden, gaukelt der hohle Klang wärmegedämmter Häuser den Tieren Totholz vor“, erklärt Nabu-Sprecherin Anke Beisswänger. Vor allem an den Ecken der Häuser bauen sie gern und suchen nach Nahrung.

Im Stuttgarter Raum werden vergleichsweise viele Picidae oder Spechtvögel gezählt. Helfer der Nabu-Mitmachaktion „Stunde der Gartenvögel“ entdeckten Buntspechte in jedem zweiten Garten, Grünspechte immerhin noch in jedem vierten. In Siedlungsgebieten seien die geschützten Tiere in der Tat zunehmend zu finden, ist auch die Einschätzung von Richard Schneider, stellvertretender Leiter des Nabu-Vogelschutzzentrums in Mössingen. „Hier gibt es Hinweise für eine Zunahme im Brutbestand um rund 25 Prozent beim Grünspecht und zehn Prozent beim Buntspecht.“ Altbausanierung sei „ganz interessant für beide Arten“, sagt er. Sie hätten die wärmeisolierenden Fassaden als Brutplätze entdeckt. Das könne ein Grund für ihre Zunahme sein. Und jetzt im Frühjahr sind sie natürlich besonderes aktiv.

Auch Bienen kämpfen gegen die Räuber

Während Häuslebesitzer sich so verstärkt mit den gefiederten Untermietern auseinandersetzen müssen, haben auch Bienenfreunde ihre Müh’ mit dem lieben Federvieh. Vor allem im Winter, wenn Schnee und Frost die Nahrungssuche erschweren, sind die gelb-braunen Honiginsekten eine willkommene Abwechslung auf dem Speiseplan von manchem Specht.

„Ich habe sie bei Schnee regelmäßig da“, berichtet Bettina Ziegelmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Landesanstalt für Bienenkunde an der Uni Hohenheim und selbst Imkerin. Die Vögel würden nicht nur den Bienenbestand reduzieren, sondern dazu auch noch Löcher in die Kästen hauen, die aufwändig repariert werden müssen. „Sie wissen genau, wo die Bienen sitzen und wo sie ansetzen müssen.“

Sie habe versucht, die Vögel mit einer spiegelnden CD zu verscheuchen, doch das hätten die Tiere recht schnell durchschaut. Jetzt greift sie zu einem Vogelnetz, mit dem man auch Fruchtbäume schützt. Wichtig sei allerdings, auf ausreichend Abstand zwischen Netz und Kasten zu achten, sonst könnten sich die Tiere am Netz festhalten und hätten ein noch leichteres Spiel.

Beim Nabu Stuttgart gab es im Jahr 2015 vergleichsweise viele Anfragen zu Spechten, hieß es. So ärgerlich die Vögel manchmal auch sein mögen: Sie stehen unter Schutz. Abschießen oder Einfangen ist verboten. „Wer einen Specht beobachtet, wie er am eigenen Heim zu hacken beginnt, sollte ihn durch Klatschen, Rufen oder laute Geräusche stören. Die Tiere mögen Ruhe beim Bau ihrer Höhlen“, sagt Volker Weiß vom Nabu Baden-Württemberg. Hilfreich könne auch eine Vogelscheuche an der Fassade sein, die sich idealerweise bewege und Töne erzeuge. Langfristig biete Fassadenbegrünung etwas Schutz - außerdem stärkerer, glatter Putz, an dem sich die Langschnäbel nicht so gut festhalten können.

Wecker und sein Specht haben sich mittlerweile arrangiert. In seinem Garten sei das Tier nach wie vor ein willkommener Gast, sagt der Haus-und-Grund-Geschäftsführer. Aber die Fassade ist für den Vogel tabu: „Da oben darf er nicht mehr sitzen.“