Auf dem Neckar ist am Wochenende ein spektakulärer Transport geglückt: Eine 35 Tonnen schwere Brücke wurde von einem Schlepper auf dem Fluss vom Berger Steg aus nach Gaisburg gebracht.

Stuttgart - Wie gewaltige Arme einer Figur aus Stahl ragen zwei Kräne in den Himmel über dem Cannstatter Wasen. Am späten Samstagmittag zaubern Wolken und Licht einen kupferfarbenen Sonnenuntergang über dem Neckar. Doch dafür haben die Mitarbeiter des auf Schwertransporte spezialisierten Unternehmens keinen Blick. An Seilen gesichert balancieren sie über eine 90 Meter breite Brücke und befestigen an dieser faustgroße Haken. Auf dem Weg, der am Neckarufer entlangführt, unterbrechen Jogger und Radfahrer ihre Runden, sie verharren, um einem Spektakel zuzusehen.

 

Gleich sollen die Schwerlastkräne die Brücke in die Luft heben, vom Ufer aus auf den Neckar schwenken, dann auf vier Pontons absenken, die als Schwimmkörper für die Brücke dienen. Läuft alles nach Plan, wird in der Nacht zum Sonntag der Neckar für die normale Schifffahrt gesperrt, ein Schlepper soll die schwimmende Brücke an ihren Bestimmungsort bringen – sie wird unmittelbar neben der Gaisburger Brücke montiert. Die Aktion verlangt Präzision und Power, am Neckarufer ist an diesem Samstag eine Mensch-Maschine-Koproduktion zu besichtigen.

Die Kabel sichern die Stromversorgung für den Neckarpark

Dabei kommt es nicht nur auf die Logistik an, sondern auch auf den Inhalt der Brücke: In der Brücke befinden sich Röhren und in den Röhren Kabel. Die Netze BW, ein Unternehmen des Stromversorgers EnBW, braucht die Kabel – die Leitungen sollen die Stromversorgung des Neckarparks, des Daimler-Areals, der Veranstaltungshallen und der geplanten Wohnquartiere sichern. Schon heute hat das Areal einen großen Energiehunger, wenn die Wohnquartiere fertig gestellt sein werden, wird dieser Appetit weiter wachsen. Die Netze BW investieren 3,7 Millionen Euro in das Projekt – das Geld fließt nicht nur in die Installation der Kabelbrücke, es werden zudem unterirdische Leitungen verlegt. Die Leitungen führen vom im Bau befindlichen Umspannwerk in der Talstraße im Osten hinüber auf die andere Seite des Neckars in die Cannstatter Mercedesstraße.

Anderthalb Jahre haben die Planungen für das Projekt gedauert, erzählt Alexander Kustos von der Netze BW. Zuletzt wurden die Pontons angeliefert, ins Wasser gelassen und festgezurrt. Die Brücke wurde auf dem Wasengelände unmittelbar neben den Zelten des Weltweihnachtscirkusses in Einzelteilen angeliefert und vor Ort zusammengebaut. Die Flussfahrt der schwimmenden Kabelbrücke war notwendig geworden, weil Spezialisten eine andere Option für die Verlegung der Kabel ausgeschlossen hatten: die Unterwasserlösung.

Unter dem Neckar wäre es unmöglich gewesen

Laut den ersten Plänen hätten die Kabel unter dem Neckar verlegt werden sollen, erzählt Kustos, doch dieser Lösungsweg erwies sich als Sackgasse. „Wir hätten dort in der Kernzone für das Mineralwasserschutzgebiet arbeiten müssen“, sagt Kustos. Bei den notwendigen Bohrungen wäre die Gipskeuperschicht möglicherweise verletzt worden, die das Mineral- vom Neckarwasser trennt. Die entsprechenden Auflagen machten den Plan zunichte, so kam es zur Idee einer Kabelbrücke, die in Höhe, Breite und Länge so gestaltet wurde, dass sie im „Schatten“ der Gaisburger Brücke möglichst wenig auffällt.

Die beiden Kranführer am Neckar geben ihre Befehle synchron, plötzlich schwebt die Kabelbrücke in der Luft, die beiden Schwerlastkräne heben sie ihrem Ziel näher, dem Abstellplatz auf den vier Pontons. Im Dämmerlicht senkt sich die Brücke über dem Neckar und landet exakt auf dem für sie vorgesehenen Platz. Jetzt ist Geduld gefragt, noch ist die Strecke auf dem Neckar nicht frei, ein paar Stunden muss der Schlepper abwarten, bevor das letzte Frachtschiff den Flussabschnitt am Berger Steg passiert hat.

Um 21.40 Uhr nimmt der Schlepper Fahrt auf, es geht flussaufwärts, beinahe lautlos gleitet die schwimmende Brücke einen knappen Kilometer auf dem Neckar voran. An der Gaisburger Brücke werfen Scheinwerfer gleißendes Licht auf den Fluss – wie in einem Wasserballett dreht der Schlepper die schwimmende Kabelbrücke, wieder geht es um Zentimeter, als sie auf den für sie errichteten Fundamenten abgelassen und befestigt wird. Es ist 2 Uhr nachts, Stuttgart schläft, die neue Brücke steht – und alles ist nach Plan gelaufen.