Käse, Hackfleisch, Avocado, Schinken, Thunfisch, Hühnchen, Eier und so weiter – die Arepa ist der ideale Träger für nahezu jede Füllung.

Caracas - Wenn man täglich Hunderte davon macht, muss man natürlich nicht mehr hinschauen. Von der armdicken Teig-Wurst, die vor Elisabeth Puerta auf der polierten Granitplatte liegt, greift sie zwei Stücke ab und rollt sie mit beiden Händen zu perfekten Kugeln in Tennisball-Größe. Ein paar Mal pitsch-patsch gemacht, und aus den Kugeln werden fingerdicke Teigplatten von beeindruckender Ebenmäßigkeit, die sich nach und nach auf dem Backblech türmen. Und alles, ohne dass sie ein Mal hingesehen hat.

 

Fladen, das klingt nach labberig und formlos, aber das sind die „Arepas“ nicht, weder im Rohzustand, wenn sie sich vor Elisabeth Puerta häufen, noch wenn Luis Alarcón sie nach mehrmaligem Wenden vom Feuer holt. Dann tragen sie die dunklen Streifen-Markierungen der Grillstäbe, dann sind sie außen hellbraun und knusperig und innen weiß und weich. Fladen? Der venezolanische Dichter und Historiker Mariano Picón Salas (1901-1965) verherrlichte die Arepa als eine Art kulinarische Allegorie der Sonnenscheibe.

Maismehl, Wasser und Salz: Die Krönung der Kochkunst ist die Arepa nicht. Aber sie ist ein Volksnahrungsmittel von unendlichen Variationsmöglichkeiten. Zwar kann man das Grundrezept durch unterschiedliche Maissorten oder Beimengung anderer Mehle abwandeln. Aber zum Speisekarten füllenden, variantenreichen Gericht wird die Arepa erst, wenn Luis Alarcón sie vom Feuer holt. Dann wird sie aufgeschnitten und gefüllt. Dabei ist der kulinarischen Fantasie keine Grenze gesetzt.

Die Arepa ist der ideale Träger für fast jede Füllung

Elisabeth und Luis arbeiten im Restaurant „El Budare de la Castella“, eine der berühmten „Areperas“, wie die Arepa-Lokale in Caracas heißen. Es hat rund um die Uhr geöffnet, selbst in den frühen Morgenstunden fallen die Nachtschwärmer ein. Neben Sandwichs und anderer Gerichte werden 17 Sorten Arepas verkauft – an die 800 Stück an normalen Wochentagen, am Samstag oder Sonntag jeweils doppelt so viele.

Käse, Hackfleisch, Avocado, Schinken, Thunfisch, Hühnchen, Eier und so weiter – die Arepa ist der ideale Träger für nahezu jede Füllung. Zu den Klassikern gehört „Reina Pepiada“, eine Wucht aus Hühnchen, Mayonnaise, Senf, Avocado und Erbsen, die 1955 kreiert wurde, als die venezolanische Schönheitskönigin Susana Duijm zur Miss World gewählt wurde. „Dominó“ besteht aus weißem Käse und schwarzen Bohnen, „Rumbera“ aus Schweinshaxe und Gouda, „Rompe colchón“ aus Krabben, Tintenfisch und Muschelfleisch. Die Venezolaner sehen die Arepa als Nationalspeise an. Dabei sind die Kolumbianer genauso vernarrt in sie.

Gegessen wurde die Arepa schon bevor die Spanier im Norden Südamerikas aufkreuzten. Bis heute heißt „Erepa“ in einer der Indianersprachen Venezuelas „Mais“. Mais ist seit undenklichen Zeiten nicht nur der kulinarische, sondern der kulturelle Grundstock in der Region. In den Schöpfungsmythen Mittelamerikas spielt er eine zentrale Rolle. Die mexikanische Tortilla, wenngleich von in der Konsistenz eher einem Lappen gleichend, ist eine enge Verwandte der Arepa.

Im Restaurant geht das Maismehl nie aus

Früher war die Arepa ein Arme-Leute-Essen. Die Aristokratie aß Weizenmehl-Brot. Aber die Essgewohnheiten vermischten sich nach der Unabhängigkeit von Spanien vor 200 Jahren. In den bürgerlichen Haushalten verrichteten Sklaven, später Angestellte die Knochenarbeit: Am frühen Abend wurde der Mais gereinigt, eingeweicht, gestampft, damit sich die Schale löst, und anschließend gekocht. Am frühen Morgen mahlte man ihn und verarbeitete ihn zu Teig – der Tag konnte mit frischen Arepas beginnen. Im Laufe der Zeit wurden jede Menge mechanische Helferlein erfunden. Aber die Revolution der häuslichen Arepa-Produktion fällt ins Jahr 1961. Da brachte der Nahrungsmittel-Konzern Polar ein Fertig-Maismehl auf den Markt. „Harina P.A.N“ heißt die Marke bis heute. Die Großbuchstaben stehen für „Nationale Nahrungsmittel-Produktion“, aber jeder spricht sie wie eine Silbe. „Pan“ heißt Brot.

Wuchern, horten, hamstern – mit Mais wurde in Venezuela immer spekuliert. Heute ist der Polar-Konzern einer der Lieblingsfeinde der sozialistischen Regierung, die für einfaches Maismehl den Preis vorgibt. Der sei nicht kostendeckend, meinte Polar und erfand angereicherte und damit nicht preisgebundene Sorten. Daraufhin schrieb die Regierung Polar den Anteil an einfachem Maismehl an der Gesamtproduktion vor.

„Hier im Restaurant ist das Mehl nie knapp“, sagt Elisabeth Puerta in den Krach einer Teigmischmaschine hinein, die direkt neben ihr röhrt, „und privat musst du dafür endlos Schlange stehen“. Um die 1900 Bolívares kostet eine gefüllte Arepa bei „El Budare de la Castellana“ – zwei Euro, wenn man zum Schwarzmarktkurs tauscht. Wie ist das für Leute wie Elisabeth, also die Arbeiterklasse, für die der Sozialismus ja da sein sollte? „Furchtbar teuer natürlich“, sagt sie. Der offizielle Monatsmindestlohn in Venezuela beträgt fünfmal so viel wie eine Arepa bei „El Budare“ kostet.