Für die Mediengruppe um das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ wird 2017 ein besonderes Jahr. Das Blatt hat Jubiläum, und der Verlag will sein Innovationstempo erhöhen.

Hamburg - Am 4. Januar vor 70 Jahren bringt Rudolf Augstein (1923-2002) in Deutschland erstmals ein Nachrichtenmagazin heraus. „Der Spiegel“ wird über die Jahrzehnte eine wichtige Medien-Stimme in der politischen Meinungsbildung. An der Spitze der Redaktion steht seit zwei Jahren Klaus Brinkbäumer (49). Mit ihm sprach die Deutsche Presse-Agentur über das Jubiläumsjahr, Herausforderungen im Bundestagswahlkampf und neue Produkte.

 
Herr Brinkbäumer, am 4. Januar jährt sich die Geburtsstunde des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ zum 70. Mal, Sie feiern Jubiläum. Was wünschen Sie sich für den Verlag im nächsten Jahr?
Bedeutenden Journalismus. Dass wir also weiterhin die großen politischen Geschichten oder Gespräche und die großen investigativen Berichte wie zuletzt „Football Leaks“ bei uns im „Spiegel“ haben.
Mit „Spiegel“-Jubiläen ist immer auch die Erinnerung an „Spiegel“-Gründer Rudolf Augstein verbunden. Unter seiner Ägide galt das Blatt als „Sturmgeschütz der Demokratie“, und Augsteins Leitspruch war „Sagen, was ist!“. Inwiefern sehen Sie sich heute mit dem Magazin beidem verpflichtet?
Sagen, was ist? Selbstverständlich. Das Wort „Sturmgeschütz“ ist mir zu militaristisch. Damit ist aber gemeint, Verteidiger der Demokratie zu sein. Das wollen und müssen wir meiner Ansicht nach noch viel mehr sein, insbesondere in Zeiten wie diesen, in denen Demokratie derart ernsthaft in Frage gestellt wird: durch Terrorismus, durch Rechtspopulisten, durch Angriffe auf Medien, durch „Lügenpresse“-Kampagnen. Das verlangt von uns Medien, dass wir uns genau dafür einsetzen: für die Pressefreiheit und die Demokratie.
Wie gut sind Sie gefeit davor, „Fake News“, also Falschinformationen, aufzusitzen?
Wir haben hervorragende Redakteure in den Fachressorts, wir haben eine Dokumentation und sehr gute Juristen. Dennoch: Fehlerfrei ist der „Spiegel“ nicht, darum haben wir die Korrekturspalte im Heft, und online vermerken wir Korrekturen sofort. Sind wir gefeit davor, dass uns jemals eine „Fake News“ durchrutscht? Nein, sind wir nicht. Aber dass uns bei der Bewertung eines Dokuments oder einer uns zugetragenen Information Fehler passieren, ist selten. Da funktioniert unsere Selbstkontrolle gut.
Was müssen Medien anders machen in publizistischen Zeiten, in denen wie jüngst bei den US-Wahlen die Medien zum Spielball wurden? Welche Lehren ziehen Sie daraus, gerade mit Blick auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr in Deutschland und den im Vorfeld geführten Meinungsumfragen?
Mit Umfragen vorsichtiger umzugehen, ist gewiss eine Lehre für uns. Es gab bei der Trump-Wahl einen wesentlichen Fehler, den wir beim „Spiegel“ nicht gemacht haben. Viele, vor allem amerikanische Medien haben Trump unterschätzt und nicht gedacht, dass er bis zum Ende erfolgreich sein könne. Sie haben ihn als Unterhaltungsstar aufgebaut und groß gemacht, weil er seit seiner Fernsehshow „The Apprentice“ genau das war: eine Berühmtheit, ein Quotengarant. Bis die ernsthaften Recherchen über sein Firmenimperium oder seinen Rassismus einsetzten, war er längst der republikanische Kandidat. Was lernen wir nun aus der Trump-Wahl für die Auseinandersetzung mit der AfD? Zwei Extreme sind für den „Spiegel“ ausgeschlossen: Dass wir die Partei gar nicht behandeln, ist keine Möglichkeit, weil sie ja existiert und gewählt wird. Sie nur zu verdammen ist ebenfalls keine Option, weil sie eine ernstzunehmende Partei ist. Wir werden recherchieren und uns kritisch und hart mit ihr auseinandersetzen.
Kann die Bundestagswahl 2017 für den Verlag ein Auflagenbringer werden? Die verkaufte Auflage des „Spiegel“ ist seit Herbst 2015 unter die Schwelle von 800 000 Exemplaren pro Erscheinungsintervall gerutscht. Das E-Paper stagniert bei rund 53 000 Exemplaren. Warum verliert „Der Spiegel“ so viele Leser?
Ich stelle kein Desinteresse an Politik fest - und schon gar kein Desinteresse am „Spiegel“. Die gesamte Medienbranche steckt mitten im Strukturwandel. Der Auflagenverlust beim „Spiegel“ ist jedoch sanfter als bei Konkurrenten. Und wir gewinnen online Nutzer und haben damit über alle Verlagsprodukte hinweg mehr Leser als je zuvor: Mehr als 13 Millionen Menschen nutzen „Spiegel“-Inhalte - und die Zahl wächst stetig. Der „Spiegel“ ist unabhängig, und darum ist es unsere Aufgabe im Verlag, das Verhältnis von Einnahmen und Kosten gesund zu halten. Deswegen gibt es erstmals eine Spar-Agenda, deswegen müssen wir weitere Einnahmequellen erschließen: neue Produkte entwickeln und Erlöse ins Digitale verlagern. Ich bin fest davon überzeugt, dass dies möglich ist. Die „New York Times“ schafft das, das „Wall Street Journal“, die „Financial Times“. Und wir schaffen das auch.
Wird es dann nicht dringend Zeit, dass der Verlag für das Angebot „Spiegel Plus“ bei „Spiegel Online“ mehr Geld nimmt?
Seit Mitte des Jahres bieten wir mit „Spiegel Plus“ einzelne Artikel auf „Spiegel Online“ zum Verkauf an, dies war der erste Schritt. Wir lernen viel über die Bedürfnisse unserer Leser und arbeiten nun - wie angekündigt - daran, demnächst weitere Modelle anbieten zu können, zum Beispiel digitale Abo-Modelle. „Spiegel Plus“ wird im nächsten Jahr schlagkräftiger werden, und wir bereiten den Start weiterer Bezahlangebote vor, von „Spiegel Daily“ zum Beispiel, einer digitalen Tageszeitung.
Ihr Ziel ist es ohnehin, die Print-Redaktionen mit der Online-Redaktion enger zu verzahnen. Wie viel von dem, was Sie sich vorgenommen haben, haben Sie schon erreicht?
Die Partnerressorts von „Der Spiegel“, „Spiegel Online“ und Spiegel TV verzahnen sich und verbessern systematisch ihre Zusammenarbeit. Das Ziel ist es, unsere Publizistik auf allen Plattformen - Print, Website, Apps, TV-Sender, Social Media - zu choreografieren und möglichst viele Leser und Nutzer zu erreichen. Sehr positive Ergebnisse sind in der Berichterstattung sichtbar, zuletzt beim US-Wahlkampf und datenjournalistischen Projekten wie „Football Leaks“: Datenjournalisten, Dokumentare, TV-, Online- und Print-Kollegen aus drei Ressorts - Sport, Wirtschaft, Deutschland - haben perfekt zusammengespielt. Dass wir dann noch das Netzwerk EIC mit zwölf internationalen Partnern ins Laufen gebracht haben, so dass ein abgesicherter Datenaustausch möglich wurde, ist ein riesiger Fortschritt. 1993, als ich hier angefangen habe, war „Der Spiegel“ noch sehr starr getrennt in einzelne Ressorts.
Hat da die jüngste Abberufung des Online-Chefredakteurs Florian Harms nicht erneut für unnötige Turbulenzen gesorgt?
Für kleinere Turbulenzen sorgen Personalien ja immer, sie bringen uns aber nicht vom Kurs ab. Wir sind hier längst wieder dabei, über journalistische Projekte zu reden.
Diesbezüglich ist Ihr Ziel, im Verlag das Innovationstempo zu erhöhen. Aber was bringt es, jetzt ab 21. März 2017 einen weiteren Ableger wie „Spiegel Classic“ anzubieten, der betagtere Leser ansprechen soll?
„Spiegel Classic“ ist eines von vielen neuen Produkten, die wir in den letzten Monaten entwickelt haben. Aus der Marktforschung wissen wir, dass es eine Lücke für solch ein Heft gibt, das Themenschwerpunkte setzen wird und sich sehr klug an eine ältere Zielgruppe richten soll. Wir testen es, hängen die Erwartungen jedoch nicht allzu hoch. Was mir wichtig ist: Dass wir den „Spiegel“ und „Spiegel Online“ mit aller Kraft, Wucht und Entschlossenheit weiterführen und zusätzlich schnell sind im Ausprobieren. Das gelingt inzwischen, und das tut uns gut.
        

ZUR PERSON: Der Chefredakteur des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, Klaus Brinkbäumer, leitet die Redaktion seit zwei Jahren. Der 49-Jährige ist ein versierter Blattmacher, der seit 2011 – zunächst in der Funktion des Vize-Chefs - Themenauswahl und Gestaltung des Heftes bestimmt. Der aus Münster (Westfalen) stammende Journalist hatte 1993 beim „Spiegel“ als Reporter begonnen.