Elisabeth und Willy Sattler haben ein altes Tagebuch gerettet. Es erzählt von den Ereignissen, die sich beim Kriegsende im April 1945 im Spiegelberger Teilort Kurzach zugetragen haben.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Spiegelberg/Aspach - Sie hat nur noch vage Erinnerungen an die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs – kein Wunder, denn Elisabeth Sattler war damals noch ein kleines Kind. Eins indes weiß die heute 74-jährige Frau noch ganz genau: „Wir haben in einem Erdloch im Wald bei Kurzach gelebt.“ Fast die ganze Familie habe Mitte April im letzten Kriegsjahr 1945 eine Zeit lang in diesem Unterschlupf zugebracht.

 

Wenn Frau Sattler, die heute zusammen mit ihrem Mann Willy in Kleinaspach lebt, genau wissen will, wie der Zweite Weltkrieg in Kurzach – einem Teilort von Spiegelberg – zu Ende gegangen ist, dann kann sie vieles detailliert nachlesen. Die Sattlers besitzen nämlich ein altes Tagebuch, das Albrecht Krauß anno dazumal geführt hat. Willy Sattler hat sich die Mühe gemacht und die nur schwer zu entziffernde Handschrift des Herrn Krauß, der damals in Kurzach – einem Nest im Schwäbischen Wald – gelebt hat, Zeile für Zeile abgetippt.

15. April 1945: Dieser Sonntag habe „eine wohltuende Ruhepause“ gebracht, schreibt Albrecht Krauß. Doch der Gottesdienst sei ausgefallen, „da sich das feindliche Geschützfeuer in Prevorst schon fühlbar machte“. Einen Tag später notiert der emsige Tagebuchschreiber, dass seine „lieben Hausleute“ – die Großeltern von Elisabeth Sattler – in einer Waldschlucht außerhalb von Kurzach ein Erdloch „mit Blechplatten darüber“ gegraben hätten. Dieser Unterschlupf biete zwar keinen Schutz vor einem Volltreffer, wohl aber Schutz vor Granatsplittern sowie vor dem Regen.

Im benachbarten Gronau habe er „erste Spuren des Krieges“ gesehen: zerschossene Häuser und „Leute auf der Wanderschaft in die Bunker“. Und in Beilstein „begegneten uns Rot-Kreuz-Wagen und Flüchtlinge“. Krauß beschreibt rauchende Trümmer und züngelnde Flammen.

17. April: „Am Nachmittag brachte man zwei Wägen voll Sachen in den Wald und ins Erdloch.“ Bis Mitternacht habe er „dem Krachen“ der Geschützte gelauscht. Am 18. April notiert Albrecht Krauß: „Auszug in den Wald, ein Fest für die Kinder.“ Eins dieser Kinder war die kleine Elisabeth. Im Haus in Kurzach schlafen jetzt nur noch ganz wenige Personen, fast alle Bewohner sind ins Erdloch geflüchtet.

19. April: „Es bereitet sich etwas vor. Die Panzer müssen schon etwa 700 Meter oberhalb von Kurzach am Kreuzweg stehen.“ Krauß indes bleibt in Kurzach und notiert „mächtiges Krachen und Einschläge“. Ihm wird schnell klar: „Ich muss die gute Stube räumen“, denn ein Treffer würde ihn „unfehlbar erledigen“. Einer der ersten Schüsse ist ein Volltreffer: Das kaum 50 Meter entfernte Backhaus des Adlerwirts ist zerstört. Albrecht Krauß springt in des Nachbars Miste. Das Granatfeuer hört auf, und die ersten amerikanischen Panzer erreichen Kurzach. „Ich stand in der Kellertüre und winkte mit einem weißen Taschentuch“. Nach kaum einer Viertelstunde rücken die Amerikaner zunächst ab.

20. April: Früh morgens marschiert Krauß zum Erdloch im Wald und notiert: „Sie waren alle wohlauf.“ Später findet er einen Gefallenen, „einen blutjungen Menschen, durch Kopfschuss von einem Scharfschützen weggerafft“. Dann kommen „schon wieder die Amis“, verlangen etwas zu essen. Krauß berichtet, dass er sich mit einem der Amerikaner „ganz gemütlich“ unterhalten habe, über alles mögliche, etwa über Roosevelts Tod.

Ein Hauptmann indes schnauzt Krauß an, nach einer halben Stunde setzt sich der US-Trupp plötzlich wieder in Bewegung und verlässt Kurzach. Schließlich werden die Erwachsenen und die Kinder, die im Erdloch untergekommen sind, zurückgeholt in den Ort und Albrecht Krauß schreibt auf: „Der Krieg war über uns hinweg gegangen. Seitdem kamen nur noch einzelne Amis, um nach dem Weg oder nach Schnaps zu fragen, dann hörte auch das auf.“