Ein Rundgang über die weltgrößte Spielwarenmesse in Nürnberg zeigt, wie unterschiedlich das Thema von den Herstellern interpretiert wird.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Nürnberg - Etwa einen Kilometer vor dem Ziel – Höhe Media-Markt Nürnberg-Langwasser – überquert ein fränkischer Schulbub den Zebrastreifen. Es wäre hilfreich, wenn der einen Aufkleber auf dem Ranzen haben würde. Aufschrift: Letztes Kind vor der Messe. So hätte man sich etwas besser auf eine unerwartete Situation einstellen können. Da wird in Nürnberg von Mittwoch bis kommenden Montag ein 170 000 Quadratmeter großes Kinderparadies aufgebaut und der Großteil der Zielgruppe muss draußen bleiben. Eintritt erst ab 16 Jahren. Zum Vergleich: Auf der Stuttgarter Heimtiermesse „Animal“ dürfen Hunde mitgebracht werden.

 

Die Spielwarenmesse richtet sich ausschließlich an ein Fachpublikum, was in diesem Fall die Händler und Einkäufer sind. Dieses harte Einlasspolitik führt zu skurrilen Szenen. Da sitzt der mit Stil ergraute italienische Geschäftsmann und grault verträumt der Starwars-Zottelfigur Chewbacca das Fell, während nebenan ein Zauberer der japanischen Geschäftsreisegruppe das Kindermagierset „Gold Edition“ vorführt. Da könnte man auf die Idee kommen, dass Spielwaren gar nicht unbedingt für Kinder gemacht werden, sondern vor allem den Eltern gefallen sollen. Schließlich haben die Erwachsenen die nötige Kaufkraft. Dieser These widerspricht Silke Ruoff, die Sprecherin des Stuttgarter Herstellers Kosmos: „Wenn dem Kind das Geschenk nicht gefällt, kaufen die Eltern nichts mehr bei uns. Es wäre deshalb nicht besonders weitsichtig, sich bei der Entwicklung vor allem an den Erwachsenen zur orientieren.“

Jetzt aber der Reihe nach. Wer sich in Nürnberg auf den Rundgang durch die zwölf Hallen macht, in denen 2871 Aussteller aus 63 Ländern 70 000 Spielzeug-Neuheiten präsentieren, landet zunächst einmal in einer ganz eigenen Welt: in der Welt der Modelleisenbahn. Hier verläuft die Freizeit in geordneten Bahnen, meistens in Normalspur H0. Die bevorzugt auch Horst Seehofer, der unlängst seine heimische Anlage vor laufender Kamera in seinem Hobbykeller vorgeführt hat. Über das schlichte Gelände, durch welches das bayerische Ministerpräsidenten-Gleis führt, dürften Profis allerdings nur müde lächeln. So wie der japanische Fotograf Tomoyuki Hashizume, der für ein Spielwaren-Magazin knipst – hoch konzentriert und mit Stativ. Auch in Fernost würden sich vor allem erwachsene Männer für Modelleisenbahnen interessieren, erfährt man von ihm.

Viel Holz, viel Filz, viel Geschmack

Vor den Ständen von Faller, Fleischmann und Märklin stehen allerdings weniger Händler als vielmehr die zutrittsberechtigten Mitglieder der Modellbahnclubs. Und die sorgen mit Fachfragen dafür, dass es dem Messestandpersonal nicht langweilig wird.

Ein völlig anderes Bild nur ein paar Schritte weiter. Hier kommt eine alte Messeweisheit besonders schön zur Geltung: Wo die Augen Halt finden, bleiben die Füße stehen. Unübersichtliche Ramschstände gibt es hier nicht. Die Halle für Holzspielzeug und Kunsthandwerk ist ein Festsaal für jedes ambitionierte Eltern-Kind-Projekt. Hier ein Marionetten-Theater, dort die Kreiselmanufaktur und da die Kugelbahnen. Viel Holz, viel Filz, viel Geschmack. Und mittendrin Deutschlands Grande Puppen-Dame Käthe Kruse mit dem aktuellen Angebot. Traditionsmarken, zu denen natürlich auch Steiff gehört, sind beim Käufer gefragt wie eh und je. Wenn schon die Großeltern mit diesen Spielwarefirmen aufgewachsen sind, darf es auch für die Nachkommen ruhig ein bisschen teurer sein. An den Kindern wird nicht gespart, wovon die Branche kontinuierlich profitiert. 2016 ist der Gesamtumsatz auf dem deutschen Spielzeugmarkt über die Drei-Millionen-Euro-Marke geklettert. Und da sind die Online-Spiel-Geschäfte noch gar nicht eingerechnet. Bei den Puppen- und Holzspielzeugherstellern greift dagegen der Nostalgie-Effekt. Das ist der Lohn der Kontinuität für jene Firmen, die teilweise seit mehr als 100 Jahren am Markt sind.

Vom Zeitlos-Segment führt der Messe-Rundgang in die neue Spielzeugwelt, in der Drohnen eine immer größere Rolle spielen. Die Fluggeräte werden dann aber lieber Quadrocopter genannt, um eine kindgerechte Distanz zur militärischen Verwandtschaft herzustellen.

„Nur wer in Nürnberg ist, weiß was morgen gespielt wird“, bewirbt der deutsche Verbandsgeschäftsfüher Willy Fischel die Innovationskraft, die von der weltgrößten Spielwarenmesse ausgeht. Hier sollen Trends erkannt und gesetzt werden. Technikspiele, die sich vor allem an Mädchen richten, Entspannungsspiele und das Thema Sammeln und Tauschen hat der Veranstalter als zeitgeistig erachtet. Doch in einer Branche mit einem grenzenlosen Spektrum lassen sich Trends nur sehr schwer erkennen – ähnlich wie in der Filmindustrie: Obwohl der Film „La La Land“ mit Lob und Preisen überhäuft wird, ist nicht davon auszugehen, dass Musicalfilme die Zukunft bedeuten.

Das Kino wird allerdings ein immer wichtiger Partner der Spielwarenindustrie. So ist die Computeranimationsfirma Dreamworks zu einem Mischkonzern geworden, der verstärkt auf Spielzeug setzt. Aus einem Haus gibt es neben den Filmen auch die entsprechenden Figuren. Aktuell fährt man mit den Trolls-Zwergen mehrgleisig. Eine immer größere Bedeutung für die Branche bekommt auch der Lizenzhandel. In Nürnberg lächelt aus allen Ecken Disneys Eiskönigin, die von unzähligen Herstellern in allen Variationen produziert wird. Durch Filmmehrteiler wird das Geschäft zusätzlich angekurbelt.

Weiter geht es vorbei am Bereich für edukative Spiele, despektierlich wie unpädagogisch „Hall of Schlauberger“ genannt, in das Messerandgebiet. Hier sind Ausstellungsstücke zu bestaunen, die man nicht unbedingt in einem Kinderzimmer vermutet – zum Beispiel Modellbaupanzer mit 30,5-Zentimeter-Mörser, die den Namen „Bär“, „Karl“ oder „Tiger“ tragen. Hier fühlt man sich plötzlich ganz weit weg von der Birkenwaldlandschaft des Kuscheltierproduzenten Sigikid – dem vielleicht schönsten Stand der Messe. In Halle 7 dagegen steht die Royal Air Force des Herstellers Oxford der Sowjetarmee der russischen Firma Zvezda gegenüber. Schnell weg hier, bevor es gefährlich wird.

Einfach mal dem Duracell-Hasen hinterher, der hier schon seit Stunden durch die Messehallen hoppelt. Der wird allerdings nicht von Batterien angetrieben, sondern mutmaßlich von einem Studenten, der ins rosa Kostüm geschlüpft ist.

Das Brettspiel lebt

Und schon ist man im Reich der Brett- und Gesellschaftsspiele angekommen. Diese immer wieder tot gesagte Spielform ist so lebendig wie eh und je. „Wer den Begriff vom guten alten Brettspiel bemüht, hat die Entwicklung komplett verschlafen“, sagt der Schweizer Fachjournalist Synes Ernst. Bereits in den 80er-Jahren habe sich das Segment neu erfunden und danach Beeindruckendes wie „Siedler“, „Carcassonne, „Codenames“, „Hanabi“ oder „7 Wonders“ hervorgebracht.

Offenbar betrachten viele Kinder und Jugendliche das Brettspiel als lohnenswerten Gegenpol zum Zocken an der Konsole oder am Tablet. Und es scheint auch weiterhin ein gemeinsames Interesse von Eltern und Kindern zu geben, zusammen zu spielen. Auch die Klassiker Schach und Mühle. Auffallend viele hochwertig und kunstvoll hergestellte Bretter und Figuren sind in Nürnberg zu sehen.

Am Ende des Messe-Rundgangs steht das Fazit: die Spielzeugwelt ist schwarz-weiß, bunt, traditionell, modern, kriegerisch, friedlich, kuschelig und technisiert. Kurz gesagt: abwechslungsreich.