In der Spionage-Affäre um den Bundesnachrichtendienst mangelt es bisher an Fakten – aber keineswegs an Vorwürfen und Spekulationen. Auch von Landesverrat ist die Rede.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Hat der Bundesnachrichtendienst den USA bei der Spionage in Europa geholfen? Seit nunmehr zwölf Tagen treibt diese Frage die Republik um. Bisher gibt es zwar jede Menge Rücktrittsforderungen, aber keine handfesten Beweise für ein konkretes Fehlverhalten. Schon wird über eine bessere Kontrolle der Geheimdienste diskutiert. Die Aufklärung wäre vordringlich, kommt aber nur zäh voran.

 

Was ist der Kern der Affäre?

Seit zehn Jahren arbeitet der BND mit US-Geheimdiensten bei Überwachung der Telekommunikation zusammen. Die Datenströme werden nach bestimmten Suchkriterien („Selektoren“) durchkämmt. Hunderttausende solcher Suchkriterien kommen von der Nationnal Security Agency (NSA). Nicht alle von ihnen decken sich mit dem Auftragsprofil des BND. Der darf keine deutschen Bürger oder deutsche Unternehmen bespitzeln. Schon 2005 ist ihm aber offenbar aufgefallen, dass einige der NSA-Selektoren auf Ziele in Europa ausgerichtet sind. 2008 hat der BND das Bundeskanzleramt informiert, dass solche Selektoren mittels einer Filtertechnik aussortiert würden. Im Laufe der Jahre sammelten sich in der Datei der abgelehnten Suchbegriffe 40 000 Stichworte an. Nach den Enthüllungen von Edward Snowden wurde noch einmal nachkontrolliert. Dabei stießen BND-Mitarbeiter auf weitere 12 000 fragwürdige Suchbegriffe. Unklar ist bisher, wen genau die NSA im Visier hatte, ob der BND wissentlich oder aufgrund mangelhafter Kontrolle bei der US-Spionage gegen Ziele in Europa mitgewirkt hat – und ob es dabei tatsächlich um Wirtschaftsspionage ging.

Wer trägt Verantwortung?

Die Aufsicht über den BND liegt beim Kanzleramt. Die Affäre reicht zurück bis in die Zeit, als der jetzige Innenminister Thomas de Maizière dort Chef war. Im Fokus stehen auch seine Nachfolger Ronald Pofalla und Peter Altmaier. Letzterer hat vor knapp zwei Wochen die zuständigen Instanzen des Parlaments infomiert. Im Kanzleramt gibt es einen Geheimdienstbeauftragten: aktuell und auch schon 2008 war das der CSU-Mann Klaus-Dieter Fritsche. De Maizière wird vorgeworfen, nicht frühzeitig auf effektive Vorkehrungen gegen eine US-Spionage mittels BND gedrungen zu haben. Zudem soll er bei Fragen aus dem Bundestag nach Hinweisen auf Wirtschaftsspionage die Unwahrheit gesagt haben. Der Minister weist das zurück. 2008 hätten ihm keine „konkreten belastbaren Erkenntnisse über Missbräuche der NSA“ vorgelegen, sondern Hinweise aus dem BND, „eine bestimmte Form der Zusammenarbeit mit der NSA gerade nicht zu vertiefen, um Missbräuchen vorzubeugen“. Der amtierende BND-Präsident Gerhard Schindler sagt zu dem Verdacht, seine Behörde habe Landesverrat betrieben: „Dieser Vorwurf ist schlicht und einfach abwegig.“

Wie geht es jetzt weiter?

Am Mittwoch wird de Maizière vor dem Parlamentarischen Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste aussagen. Das Organ verlangt Einblick in die Liste der NSA-Selektoren, die Spionagezwecken gedient haben sollen. Das Kanzleramt will sich in dieser Frage aber zunächst mit der US-Regierung abstimmen – was internationalen Gepflogenheiten bei der Kooperation von Geheimdiensten entspricht. Kurzfristig werden die heiklen Listen wohl nicht vorgelegt. Sicherheitsexperten bezweifeln, dass die Parlamentarier sie komplett zu Gesicht bekommen werden. Am Donnerstag hat der NSA-Untersuchungsausschuss zwei BND-Experten als Zeugen geladen, die für die Kontrolle der Selektoren zuständig sind.

Wie kann die Kontrolle der Geheimdienste besser werden?

Das obliegt dem Parlament. Es hat dafür ein eigenes Gremium mit neun Mitgliedern aus allen Fraktionen eingerichtet. Seit Jahren gibt es eine Debatte darüber, ob diese Kontrolle effektiv genug ist. Aus der Union kommt die Forderung, einen Geheimdienstbeauftragten nach dem Vorbild des Datenschutzbeauftragten zu installieren. Das war bisher aber nicht mehrheitsfähig. Vor einem Jahr hat das Kontrollgremium eine Task Force eingerichtet und dafür drei neue Stellen geschaffen. Zur Task Force sollen fünf Leute gehören. Sie soll die Schlagkraft des Gremiums verbessern, könne deren Mängel aber nicht komplett besetigen, sagt ein Insider. Zwei der Stellen sind noch nicht besetzt. Einer der schon 2014 beschlossenen Kontrollaufträge zielt auf den Schutz deutscher Bürger vor Spionage.