Der Bundesnachrichtendienst soll aufklären, was er selbst vertuscht hat. Präsident Gerhard Schindler kommt nicht aus der Schusslinie. Die Regierung verteidigt unterdessen die Kooperation mit der NSA.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Steffen Seibert ist ein freundlicher, wenn auch nicht immer auskunftsfreudiger Mensch. An diesem Freitag gibt sich der Regierungssprecher besonders wortkarg. Eigentlich würde er die neuerliche Spionageaffäre um den Bundesnachrichtendienst (BND) am liebsten totschweigen. Schließlich seien „nachrichtendienstliche Vorgänge berührt“.

 

Ungeachtet des heiklen Metiers hat Seiberts Chefin, die Bundeskanzlerin, tags zuvor bereits Klartext gesprochen. Sie ließ eine Erklärung verbreiten, in der von „technischen und organisatorischen Defiziten“ die Rede war und davon, dass „unverzüglich“ Aufklärung zu schaffen sei. Es geht um den Umstand, dass der BND offenbar jahrelang für den amerikanischen Geheimdienst NSA Spionage betrieben hat. Beim Durchforsten der Telekommunikation ließ er sich von den US-Kollegen Suchkriterien unterjubeln, die auf deutsche und europäische Personen sowie Unternehmen abzielten. Welches Ausmaß das angenommen hat und in welchem Umfang dabei Grundrechte von Bundesbürgern verletzt wurden, ist noch unklar.

Regierung verteidigt Kooperation mit den USA

Mehr will Seibert am Tag nach Bekanntwerden der Affäre nicht sagen. Alle Nachfragen blockt er mit einem Verweis auf die sieben Sätze umfassende Erklärung vom Vortag ab. Nur als die Frage aufkommt, ob die US-Spionage via BND das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten belasten könne, sieht er sich zu einer Stellungnahme veranlasst: Die Zusammenarbeit mit amerikanischen Sicherheitsbehörden „bleibt von entscheidender Bedeutung“, sagt Seibert. Zudem liege sie „im Interesse unserer Bürger“. Der Regierungssprecher fügt hinzu: Deutschland könne „bei der Wahrung unserer Sicherheitsinteressen keinen besseren Partner finden".

Dieser angeblich ideale Partner hat über Jahre Daten abgefischt, die dem BND bei der Überwachung der Telekommunikation ins Netz gingen. Dabei hat die deutsche Behörde Technik und Computerprogramme benutzt, die ihr die Amerikaner zur Verfügung gestellt haben. Diese besondere Art der Zusammenarbeit versucht ein Untersuchungsausschuss des Bundestags seit einem Jahr auszuleuchten. Immer wieder haben Zeugen aus dem BND dort erklärt, dass sie sich bei ihrer Arbeit strikt an das deutsche Recht gehalten hätten.

Widersprüche zu Aussagen im Untersuchungsausschuss

Dem deutschen Nachrichtendienst ist es untersagt, Daten über Bundesbürger an die USA zu liefern. „Recht ging vor Nutzen“, behauptete zum Beispiel der pensionierte Brigadegeneral Reinhard Breitfelder, der von 2003 bis 2006 Chef der technischen Aufklärung beim BND war. Seine Abhörexperten hätten Informationen über Deutsche mit Hilfe von Filtertechnik und durch persönliche Kontrolle effizient aussortiert – und schon gar nicht an die Amerikaner weitergeleitet. Deshalb habe sich die NSA auch immer wieder über das „magere Ergebnis“ der Spitzelkooperation mit dem BND beklagt. Ein anderer BND-Mann versicherte, man habe „keinerlei Daten, zu keinem Zeitpunkt, nie“ an die US-Kollegen übermittelt, sofern „Grundrechtsträger“ betroffen waren. Der Leiter des Spionageprogramms „Eikonal“, von 2004 bis 2008 gemeinsam von NSA und BND betrieben, versicherte im Ausschuss, das Projekt sei auf Seiten der Amerikaner „von hohen Erwartungen geprägt“ gewesen, „die wir jedoch nicht erfüllen konnten“.

Die Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss stehen in krassem Widerspruch zu den jetzt bekannt gewordenen Umständen, wonach der deutsche Auslandsgeheimdienst Inlandsspionage zum Nutzen der NSA betrieben haben soll. Noch steht nicht fest, wann ihm das selbst bewusst geworden ist. Unklar ist auch, ob die eigene Chefetage Bescheid wusste. Die oberste Aufsichtsbehörde, das Bundeskanzleramt, soll jedenfalls erst nach Jahren davon erfahren haben. Diese Geheimniskrämerei straft auch die Bekenntnisse des seit 2012 amtierenden BND-Chefs Gerhard Schindler Lügen. Er hatte nach Bekanntwerden des NSA-Skandals 2013 eine Transparenzoffensive angekündigt. Alle Vorwürfe gegen seine Behörde hätten sich „in Schall und Rauch aufgelöst“, ließ Schindler gelegentlich vernehmen.

Nun muss er um seinen Job bangen. Die Missbilligung des Kanzleramts richtet sich vor allem an seine Adresse. Der BND habe offensichtlich „ein Eigenleben entwickelt, das wir nicht akzeptieren können“, rügt auch die SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Sie schließt personelle Konsequenzen nicht aus, meint damit aber nicht nur Schindler. Dem Kanzleramt, so die Sozialdemokratin gegenüber der „Berliner Zeitung“, scheine die Aufsicht über den BND völlig entglitten zu sein.