Der Spitzenkandidat der Linken, Dietmar Bartsch, will mit klarer Zuspitzung die Wähler gewinnen und spricht über obszönen Reichtum, Umverteilung und Steuerflucht. Doch zu rot-rot-grünen Optionen schweigt er in seinen Wahlreden.

Berlin - Diese Woche beginnt mit einem Schrecken für den Wahlkämpfer. In den frühen Morgenstunden durchsuchen Beamte der Bundespolizei Wohnungen und Geschäftsräume zweier Männer, die verdächtig werden, Anschläge auf Personen des linken politischen Spektrums geplant zu haben. Auch die GSG 9 ist beteiligt. Angeblich sollen Listen mit potenziellen Anschlagsopfern erstellt worden seien. Einer der Verdächtigen ist ein Rostocker Anwalt.

 

Rostock – das ist der Wahlkreis von Dietmar Bartsch, dem Spitzenkandidaten der Linken für die Bundestagswahl. An diesem Montag hat seine Partei zu einer großen Kundgebung auf dem Platz am Neuen Markt aufgerufen. Um 16 Uhr soll Bartsch dort reden, Sahra Wagenknecht, die zweite Spitze des linken Wahlkampfs, ebenfalls. Das ist in einer halben Stunde, und Bartsch nimmt sich noch Zeit zum kleinen Plausch mit dem Journalisten.

Andersdenkende zur Linken herüberziehen – diesen Ehrgeiz hat Bartsch nicht

Wenn er beunruhigt ist, zeigt er es jedenfalls nicht. Aber das sagt er dann doch: „Ich will wissen, wer auf der Liste steht.“ Gerüchte kursieren, auch sein Name könnte darauf sein. Niemand hat sie ihm bestätigt. Wer in diesen Tagen um Wählerstimmen wirbt, muss sich ins Getümmel stürzen, vor großen Menschengruppen reden. Wer das durchstehen will, muss sich irgendwie panzern. Bartsch lenkt alles um – vom Persönlichen zum Pragmatischen: „Wer das im Radio hört, wird sich vielleicht überlegen, ob er heute zur Kundgebung kommt.“ Das ist nicht gut.

Es kommen dann doch einige. Vielleicht 300 Menschen. Genug, um den Rednern ein gutes Gefühl zu geben. Auch wenn es viel linken Optimismus bedarf, um die Stimmung euphorisch zu nennen. Eher verschlafen geht es zu. Am Stand gibt es Popcorn und Zuckerwatte, es ist angenehm warm, eine Band spielt Retro-Pop. Keine Störer, keine Pfiffe, keine Transparente. Stattdessen freundlicher Beifall, gelegentlich sogar ziemlich begeistert. Ein bisschen wie im Freilufttheater. Man könnte es gemütlich nennen. Oder dösig. Ist das wirklich Wahlkampf? Die Menschen, die gekommen sind, braucht Dietmar Bartsch eigentlich nicht mehr zu überzeugen. Andersdenkende zur Linken herüberzuziehen – diesen Ehrgeiz hat er gar nicht wirklich. Die Linke hat ein anderes strategisches Ziel. Seine Theorie sieht so aus: „Ungefähr zwei Prozent der Wähler schwanken noch zwischen Union und Linke, drei Prozent zwischen Grüne und uns, vier Prozent entscheiden zwischen SPD und Linke.“ Wirklich entscheidend ist für seine Partei etwas anderes: „Wir müssen unsere Kundschaft erreichen und mobilisieren.“

Bartsch sagt fast kein Wort zur Zuwanderung und zur AfD

Das ist viel schwieriger, als es klingen mag. Schon altersbedingt. In Mecklenburg-Vorpommern liegt das Durchschnittsalter der Mitglieder bei 65 Jahren. Bartsch scheint die Mobilisierung nicht schlecht zu gelingen. 2013 hatte die Linkspartei bei der Bundestagswahl nur vier Direktmandate geholt. Alle in Berlin. Viel mehr werden es diesmal auch nicht. Aber die Genossen schauen genau auf die Hansestadt. Die Wahlforscher von Mandatsrechner.de geben Bartsch gewisse Chancen, Rostock direkt zu holen. Insofern ist diese Kundgebung jetzt nicht ganz unwichtig.

Was macht Bartsch also? Was sagt er? Vielleicht ist wichtiger, was er nicht sagt: Fast kein Wort über die Zuwanderung, allenfalls mal etwas zu den Fluchtursachen. Fast kein Wort zur AfD, nur die abschließende Bitte, „nicht denen zu glauben, die auf die einfachen Lösungen setzen“. Kaum direkte Attacken auf die SPD. „Das alles stärkt nur die anderen“, sagt Bartsch. Er will lieber eine glasklare Alternative zeichnen. „Merkel oder wir – darum soll es gehen.“ Klingt aus westdeutscher Sicht nach reichlich dicken Backen. Aber daraus spricht eben auch das Selbstbewusstsein einer Partei, die im Osten ein Machtfaktor ist, in Thüringen sogar mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten stellt.

In seiner kompakten Rede wimmelt es von Kontrasten

Klare Zuspitzung also, ohne Nebengeräusche. Linkspartei pur. Schwer ist das nicht. In seiner kompakten Rede – kürzer als eine halbe Stunde – wimmelt es von Kontrasten: „Obszöner Reichtum“ einiger weniger gegen Kinderarmut. 186 Milliardäre in Deutschland gegen Senioren, die Flaschen sammeln. Satte Gewinne aus Rüstungsexporten gegen Hungerkatastrophen in der Welt. Da sei „Umverteilung das Gebot der Stunde“, wohlgemerkt „von oben nach unten“. Auch Ost gegen West spielt eine Rolle. Das noch immer unterschiedliche Lohnniveau, die volle Renten-Anpassung erst im Jahre 2025. Dagegen schneidet Bartsch die Forderungen nach höherem Mindestlohn, Lebensstandard sichernde Rente, Vermögenssteuer und Spitzensteuersatz auf 53 Prozent. Das sind sichere Pointen.

Nach der Rede kommen die Kamerateams. Und wieder die Frage nach der rot-rot-grünen Option. Natürlich fände Bartsch sie gut. „Wenn die Zahlen stimmen, sind wir kompromissbereit“, sagt er. Später, als er in Richtung Schwerin im Auto sitzt, erklärt er, warum er in den Wahlreden darüber so laut schweigt. „Immer verärgert man die, die in dieser Frage anders ticken“, also entweder die linken Realos oder die Hüter der reinen Lehre.

Die Teamarbeit mit Sahra Wagenknecht läuft problemlos

Eigentlich hatte man ja gedacht, genau an dieser Linie verlaufe auch die Bruchkante zwischen ihm und Sahra Wagenknecht und mache den linken Wahlkampf zum Hochrisiko-Projekt. So ist es nicht. Nicht mehr. Die trostlose Wahlkampagne des Martin Schulz hat die Dringlichkeit des Themas heruntergedämmt. „Er ist von der Kanzlerschaft so weit entfernt wie Rhenania Würselen von der deutschen Meisterschaft“, stänkert Bartsch. Das macht die Teamarbeit mit Wagenknecht problemlos.

In Rostock kreuzen sich ihre Wege. Wagenknecht kommt von Schwerin aus zum Zwischenstopp nach Rostock. Sie redet ein bisschen schärfer, länger sowieso, arbeitet sich mit größerem Genuss an der SPD ab, attackiert auch Merkel frontaler und heftiger als Bartsch. Aber Widersprüche gibt es nicht. Ohnehin glauben die linken Realos, dass ein rot-rot-grünes Bündnis an Wagenknecht nicht scheitern würde, wenn damit tatsächlich ein Politikwechsel verbunden wäre. In der Mitgliedschaft ist die Sache ohnehin klar. Sagt jedenfalls Bartsch. „80 Prozent unserer Mitglieder, eher mehr, wollen, dass wir regieren.“

Die Linke ist im Westen angreifbar

Abends in Schwerin kann der Kandidat Zuspruch tanken. Die Landes-Linke feiert zehn Jahre Vereinigung von PDS und WASG zur Linken. Vielleicht ganz gut, dass keine Kameras dabei sind. Der Saal ist, nun ja, vollgepackt mit Geschichte. Hans Wandt ist zum Beispiel gekommen, Zweiter Sekretär der Bezirksleitung der SED, oder Solveig Leo, eine linke Ikone – die jüngste LPG-Leiterin der DDR, mit 24 Jahren. Für ihren kommunalpolitischen und ehrenamtlichen Einsatz hat sie 2001 das Bundesverdienstkreuz erhalten. Was ihr das bedeutet, wird sie von der Moderatorin gefragt. Doch, doch, das habe sie schon gut gefunden. Aber „emotionaler“ sei doch 1969 die Auszeichnung zur Heldin der Arbeit gewesen „im Kreise der roten Freunde“. Lotte Ulbricht habe damals mit ihr geschimpft. Mit solchen Schuhen könne man doch nicht zu diesem Anlass auftauchen. Später habe sie ein Päckchen von ihr erhalten. Keine Schuhe, wie vermutet – sondern Reden und Aufsätze. Da lacht die Runde, nicht verlegen, eher erinnerungsselig.

Es sind solche Szenen, die die Linke im Westen so leicht angreifbar machen. Das Gestern vergeht nicht so leicht. Heidrun Bluhm weiß das. Sie ist die Landesvorsitzende. Sie weiß, dass der Fortschritt eine Schnecke sein kann. Ihre Analyse: „Wir dürfen heute in der Partei offen sagen: Die DDR war kein demokratischer Rechtsstaat. Dass sie ein Unrechtsstaat war, dürfen wir nicht sagen. Aber schon diese Veränderung war ein 20-jähriger Prozess.“

Der Strand in Kühlungsborn lockt mehr als die Politik

Nur erfasst die heutige Partei nicht, wer sie auf die Vergangenheit reduziert: Am nächsten Tag ist Bartsch im Ostseebad Kühlungsborn. Zuerst spricht der örtliche Direktkandidat, Horst Krumpen. Er war Generalsekretär der bayerischen – FDP. Kein Witz. Landesgeschäftsführer in Berlin, vier Jahre im FDP-Bundesvorstand. Zur Linken sei er gekommen, weil er sich über die Sprüche von der „spatrömischen Dekadenz“ geärgert hatte, über die Art, wie die Liberalen über die soziale Frage hinweggegangen seien. Wenn er die Anekdoten aus SED-Tagen hört, gruselt es ihn. Auch das ist die Linke im Wahljahr 2017.

Die Sonne brennt. Der Strand lockt mehr als die Politik. Ein paar Kurgäste setzen sich auf die Bänke der Promenade und hören Bartsch zu. Manche in Badehose. Auch hier ist keiner laut, keiner böse, keiner pfeift. Das Popcorn bleibt ein Ladenhüter. Man möchte lächeln, wenn man daran denkt, dass Bartsch hier „mobilisieren“ soll. Er sagt, was er immer sagt, wenn er auf der Wahlkampf-Bühne steht, spricht tapfer vom obszönen Reichtum, Umverteilung und Steuerflucht. Manchmal wird sogar geklatscht. Aber so viel ist klar: Die Linke wird die Wahl nicht in Kühlungsborn gewinnen. Vielleicht in Dierhagen. Dahin führt der nächste Stopp der Wahlkampagne. Aber heiß ist es auch dort.