Kein S-Bahn-Anschluss, zu wenig urban und deshalb das Schlusslicht in der Region? Zumindest für Familien, die bauen oder eine Wohnung kaufen wollen, sind die vermeintlichen Standortnachteile wohl eher ein Segen.

Göppingen - Im Kreis Böblingen hat man Daimler und Porsche, in Ludwigsburg die Barockstadt und Bosch, in Esslingen die mittelalterlichen Gassen der Kreisstadt und Festo sowie im Rems-Murr-Kreis Weinbauern und – wie in Böblingen, Ludwigsburg und Esslingen auch – dank der S-Bahn eine gute Anbindung an Stuttgart. Und was hat man im Kreis Göppingen? Von Weltfirmen wie Märklin, Schuler, WMF und Teamviewer mal abgesehen, die meisten Bürger, die nicht zur Miete wohnen.

 

Das Pestel-Institut in Hannover hat jetzt festgestellt, dass die sogenannte Eigenheimquote im Kreis Göppingen die höchste in der Region Stuttgart ist und weit über dem Bundesschnitt liegt. Beim Thema Wohnen profitiert der Kreis offensichtlich auch und gerade von den Punkten, die ihm sonst als Schwächen ausgelegt werden: der ländlichen Prägung und dem fehlenden S-Bahn-Anschluss.

Mehr Bauland und ein guter Arbeitsmarkt locken Familien

Jedenfalls erklärt der Göppinger Landrat Edgar Wolff den Spitzenplatz bei der Eigenheimquote mit der traditionell eher durch kleinere Gemeinden geprägten Struktur des Kreises auf der einen und den guten wirtschaftlichen Bedingungen auf der anderen Seite. Neben den großen Städten Göppingen und Geislingen und den Zentren entlang der Filstalachse gebe es „viele Gemeinden mit einer Einwohnerzahl um 3000 und darunter. Hier ist die Eigentümerquote schon immer höher, als in städtischen Regionen.“

Im Vergleich mit der restlichen Region seien die Bodenpreise noch eher erschwinglich, und es gebe auch noch mehr Bauland als in den angrenzenden Kreisen, berichtet Wolff. Andererseits profitiert der Kreis im Gegensatz zu den rein ländlich geprägten Regionen, etwa auf der Schwäbischen Alb, wirtschaftlich von seiner Nähe zu Stuttgart – so ist man mit der Bahn von Göppingen normalerweise in 30 bis 45 Minuten in Stuttgart, wenn man vom derzeitigen Chaos auf der Strecke absieht.

Große Unterschiede innerhalb des Kreises

Außerdem sei die Beschäftigungssituation vor Ort gut, sagt der Landrat. Dazu habe natürlich auch die Ansiedlung von sehr vielen mittelständischen Betrieben in den vergangenen Jahren beigetragen, die in die Gewerbegebiete im Kreis zogen. All das führt dazu, dass in den vergangenen Jahren immer mehr Familien aus der Stuttgarter Gegend in Richtung Göppingen gezogen sind. „Gerade junge Familien erkennen inzwischen die Vorteile, die der Kreis Göppingen bietet, und suchen hier nach Angeboten“, sagt Wolff. Für Fachkräfte seien die örtlichen Firmen attraktiv, weil sie durch die günstigen Bauland- und Wohnungspreise mehr von ihrem Einkommen hätten – „bei einer insgesamt gleichen, wenn nicht gar höheren Lebensqualität“.

Was Wolff nicht erwähnt, ist, dass es auch im Kreis Göppingen Unterschiede gibt. In den Kommunen entlang der Filstalbahn sind Immobilien deutlich teurer, je näher sie an der Kreisgrenze in Richtung Stuttgart liegen. Viele Gemeinden suchen mittlerweile verzweifelt nach neuen Flächen für weitere Baugebiete, denn die Nachfrage ist ungebrochen. Doch im Gegensatz zu vielen Kommunen in anderen Landkreisen bleibt ihnen noch etwas mehr Spielraum, weil sie sich eher auf das Umland ausdehnen können.

Der Landrat geht davon aus, dass der Kreis auch in Zukunft noch viele Häuslebauer anziehen wird. Auch wenn es nicht einfach sein dürfte, das Niveau zu halten. Denn, so Wolff, einerseits sei es wichtig, auch künftig genügend Bauland anbieten zu können, andererseits dürfe man das nicht überstrapazieren. Schließlich soll der Kreis auch künftig mit Freizeitangeboten in der Natur punkten können. Zudem wird der Regionalverband bei der Genehmigung neuer Baugebiete restriktiver. Wolff ist es deshalb wichtig, dass die Kommunen ihre Innenentwicklung voranbringen.

Im Regionalvergleich spitze

Wer in Stuttgart oder der Region ein Haus oder eine Wohnung kaufen will, braucht viel Geld, oder er muss lange suchen. Die Preise schießen seit einigen Jahren vor allem in den Städten durch die Decke. Im Auftrag der Initiative „Wohn-Perspektive Eigentum“ hat das Pestel-Institut in Hannover kürzlich untersucht, wie viele Menschen in Deutschland in den eigenen vier Wänden wohnen und wie viele zur Miete. Dabei hat sich herausgestellt, dass der Kreis Göppingen in der Region Stuttgart bei der Eigenheimquote spitze ist.

Denn im Kreis Göppingen liegt die Eigenheimquote bei 59 Prozent, es gibt dort rund 65 900 Wohnungen. Betrachtet man die Stadt Göppingen allein, sinkt die Quote auf 48 Prozent. Im Landkreis Esslingen beträgt die Eigenheimquote dagegen nur 53 Prozent, im Kreis Ludwigsburg, im Rems-Murr-Kreis und im Kreis Böblingen jeweils rund 56 Prozent. In den Kreisstädten selbst ist die Quote niedriger als im Kreisdurchschnitt. So beträgt sie in Esslingen nur 40 Prozent, in Ludwigsburg 43, in Böblingen 48 und in Waiblingen 53 Prozent. In der Landeshauptstadt Stuttgart wohnen nur knapp 32 Prozent der Einwohner in ihren eigenen vier Wänden. Im Bundesdurchschnitt liegt die Eigenheimquote bei knapp 45 Prozent. Im europäischen Vergleich ist diese Quote nur in Schweden und der Schweiz geringer.

Besonders Menschen im Alter von 25 bis 40 haben gemäß der Studie trotz der boomenden Wirtschaft Schwierigkeiten, ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen. „Oft hapert es an den Bedingungen für eine solide Finanzierung. Daran ist oft die unsichere berufliche Perspektive Schuld: Häufig werden gerade jungen Menschen nur Zeitverträge angeboten“, erläutert der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther.