Bei den Weltmeisterschaften in Peking ist ein Team aus Deutschland am Start, das diese neue Republik repräsentiert. Es steht für Vielfalt, Toleranz und Leistung.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Peking - Malaika Mihambo, das kann man mit Fug und Recht behaupten, ist eine deutsche Vorzeigeathletin. Die 21-Jährige studiert Politikwissenschaften und VWL, sie schreibt Bestnote um Bestnote an der Uni, sie spricht wie gedruckt – und sie ist dazu eine der sportlichen Leistungsträgerinnen dieses Landes.

 

An diesem Morgen in Peking strahlt Malaika Mihambo. Soeben hat die in Heidelberg geborene junge Frau die Weitsprung-Qualifikation überstanden, mit guten 6,84 Meter, im WM-Finale am Freitag ist sie als einzige Deutsche dabei. „Ich bin völlig zufrieden“, sagt Mihambo, deren Vater von der afrikanischen Insel Sansibar vor Tansania stammt. Sie hoffe, dass im Finale was zu holen sei – für sich, für Deutschland. Wie immer wird sie ihre Fingernägel in den Farben Schwarz-Rot-Gold lackieren.

Mihambo, die dunkelhäutige Deutsche, steht stellvertretend für die vielfältigen Lebensläufe in diesem vielfältigen Team.

Botschafter in Trainingsanzügen

Spitzensportler werden gerne als Botschafter in Trainingsanzügen bezeichnet, insofern repräsentiert auch dieses DLV-Team in Peking ein buntes, ein modernes, ein weltoffenes Deutschland, so wie es ist, auch wenn das zurzeit nicht so wirkt. Das Multikulti sei völlig normal und selbstverständlich, nichts Besonderes, hat der DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen dazu mal gesagt. Auch auf Funktionärsebene: der Vater von DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska zum Beispiel kommt aus Mali.

Die Zuwanderung hat Deutschland verändert und natürlich auch das Gesicht des Sports. Vielleicht sogar stärker als den Rest der Gesellschaft, weil die Leistungsgesellschaft Spitzensport leichter zugänglich und weniger vorurteilsbeladen ist. Sie trennt im Normalfall nicht nach Äußerlichkeiten oder anderen Faktoren, sondern kennt vor allem ein einziges Kriterium: kannste was, biste was. Deutsche Nationalmannschaften sind ohne Spieler mit Migrationshintergrund längst nicht mehr vorstellbar und auch kaum konkurrenzfähig. Das gilt im Basketball schon seit Jahren, aktuell ist neben Dirk Nowitzki vor allem der NBA-Star Dennis Schröder, dessen Mutter aus Gambia stammt, der entscheidende Akteur auf dem Parkett. Und es gilt für den Fußball, wo Spieler mit ausländischen Wurzeln elementarer Bestandteil der diversen Auswahlmannschaften sind.

Zuwanderung ist heute ein wichtiger Faktor für den deutschen Leistungssport. Er ist sogar darauf angewiesen, auf Athleten mit ausländischen Wurzeln wie Marie-Laurence Jungfleisch. Die Athletin vom LAV Stadtwerke Tübingen, die in Stuttgart wohnt, ist auch eines dieser Gesichter der neuen Leichtathletik. Am Donnerstag hat sie sich souverän für das Hochsprungfinale am Samstag qualifiziert, im Endkampf will die in Paris geborene 24-Jährige mit karibischen Wurzeln Bestleistung springen (1,97 Meter). „Beim Sport ist Diskriminierung kein Thema. Mir hat immer gefallen, wie offen der Sport ist.“

Vom Flüchtling zum Superstar

Auch andere Nationen Europas profitieren sportlich von der Zuwanderung: Großbritanniens Superstar Mo Farah, Olympiasieger und Weltmeister über 5000 und 10 000 Meter, wurde zum Beispiel in Mogadischu geboren. Die Hauptstadt Somalias gilt als einer der gefährlichsten Orte der Welt. Als er acht Jahre alt war, entschieden die Eltern, ihn und zwei seiner sechs Brüder nach England zu schicken, wo sein Vater schon lebte. Dadurch blieb ihm, anders als Abertausenden Landsleuten, eine lebensgefährliche Flucht übers Mittelmeer erspart. Sein Zwillingsbruder Hassan blieb in Somalia. Es dauerte zwölf Jahre, bis sie sich wiedersahen. Mo Farah ist heute ein Superstar in England. Der Flüchtling ist einer der erfolgreichsten Athleten aller Zeiten des Landes – und ein stolzer Brite.

Sosthene Moguenara hat keine gute Laune an diesem Donnerstagvormittag. Sie hat das Weitsprungfinale verpasst. „Das war ein scheiß Wettkampf, da gibt’s nichts zu erklären.“ Moguenara wurde im Tschad geboren, sie war neun, als sie ihre Tante in Essen besuchte, zu jener Zeit brach in ihrer Heimat der Krieg aus. Ihre Eltern entschieden, dass es dort für das Kind zu gefährlich sei. Also blieb Sosthene Moguenara in Deutschland, ihre Tante, die mit einem Deutschen verheiratet ist, adoptierte sie. Zu ihren Eltern hat sie oft Kontakt, gesehen haben sie sich seit Jahren nicht. „Mein Vater möchte nicht, dass ich ihn besuche, weil es zu gefährlich ist“, sagt sie.

Homiyu Tesfaye ist in Peking verletzungsbedingt nicht am Start. Er kam 2010 als Flüchtling nach Deutschland, seine Heimat Äthiopien bot ihm keine Zukunft. 17 Jahre war er alt, als er in Frankfurt am Main in einem Wohnheim landete, ohne Papiere, aber mit dem Ziel, diesem Land etwas zurückzugeben. Tesfaye fand schnell Anschluss in einer Trainingsgruppe. Er integrierte sich, lernte die Sprache und machte den Hauptschulabschluss. Im Juli bekam der Mittelstreckenläufer den deutschen Pass. 2013 wurde er bei der WM sensationell Fünfter über 1500 Meter. Er wolle, so hat das Ausnahmetalent gesagt, Deutschland mit Medaillen glücklich machen.