Jeder dritte Grundschüler kann nicht schwimmen. Der neue Sportbürgermeister Martin Schairer will deshalb Eltern, Vereine und Schulen für eine konzertierte Aktion gewinnen.

Stuttgart - Die Bäderstadt Stuttgart ist auf dem besten Weg, eine Stadt der Nichtschwimmer zu werden“, ärgert sich Martin Schairer (CDU). Das dürften Politik und Gesellschaft nicht zulassen. Dass sich ein Drittel der Kinder im Grundschulalter nicht allein über Wasser halten und jedes sechste Kind nach der vierten Klasse immer noch nicht schwimmen könne, sei inakzeptabel, sagt der Ordnungsbürgermeister, der seit wenigen Wochen auch für den Sport zuständig ist. „Jedes Kind muss schwimmen können“, sei das große Ziel im neuen Amt. Dafür wolle er alle Kräfte bündeln, in Vereinen, Organisationen und Schulen Unterstützung suchen sowie auch mit Hilfe Prominenter bei jenen Eltern werben, die keine Notwendigkeit sehen, ihren Kindern das Schwimmen beizubringen. Das nötige Geld werde er bereitstellen, notfalls kürze er andere Budgets, so Schairer.

 

Die Bildungsgewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat ermittelt, in welchen Briefkästen Schairers Flugblätter landen sollen. Die Landesvorsitzende Doro Moritz sagt, dass „ähnlich wie beim Bildungserfolg auch die Schwimmfähigkeit von der sozialen Herkunft der Eltern abhängt“. Eine weitere Herausforderung erwächst durch die hohe Zahl an Flüchtlingen, von denen nicht nur die meisten nicht schwimmen könnten. Die meistern ignorierten sogar die Gefahr.

Nur wenige Grundschulen sind interessiert

Schairer fand bei Amtsantritt einen „Runden Tisch zur Bewegungsförderung von Kindern“ vor, dessen Teilnehmer ihm über ein Projekt des Schwimmverbands und der Sportkreisjugend berichteten, das die Unterstützung von Grundschulen durch Übungsleiter vorsieht. 72 Schulen waren angeschrieben worden. Mit der Rücklaufquote ist Schairer unzufrieden: Nur zehn antworteten. Diese kooperieren nun mit dem VfL Stuttgart, dem TB und dem SV Cannstatt und bieten Kurse an.

Auch wenn in Stuttgart immer wieder Bäder geschlossen seien – kurzfristig ist jetzt das in Vaihingen wegen Sanierungsmaßnahmen gesperrt worden – hält Schairer die Wasserfläche für ausreichend. Die freien Kapazitäten müssten nur geschickter verteilt und durch längere Öffnungszeiten erweitert werden. Dann wären auch mehr Schwimmkurse durch die Vereine möglich. Die Wartezeiten sind sehr lang.

Die Gewerkschaft ist der Ansicht, die Verantwortung dafür, dass Kinder schwimmen lernen, würde „zu oft von den Schulen auf die Eltern übertragen“. Viele von ihnen könnten selbst nicht schwimmen, wohnten zu weit vom Bad entfernt oder könnten nicht das Geld für Badbesuche und Schwimmkurse aufbringen. Bedauerlichweise seien aber die Grundschulen oft nicht in der Lage, ausreichend Unterricht im Wasser anzubieten, weil es zu wenig ausgebildete Lehrer, zu wenig Sportstunden und zu lange An- und Abfahrten gebe.

Schwimmunterricht ist Mangelware

„An vielen Grundschulen ist Schwimmunterricht Mangelware“, bedauert Schairer. Die Stunden sind aber auch nicht dafür da, Kindern das Schwimmen beizubringen. Der Bildungsplan setzt das Ziel, alle Schüler bis zum Ende der Grundschule zu sicheren Schwimmern zu machen. In den „Standards für inhaltsbezogene Kompetenzen“ der Klassen 1 und 2 heißt es, die Schüler sollen „grundlegende schwimmerische Fertigkeiten erproben und anwenden“. Das Ministerium, geleitet von Schairers Vorgängerin Susanne Eisenmann (CDU), macht deutlich: Um etwas erproben zu können, müsse man zuvor bereits etwas gelernt haben.

Es gibt Grundschulen, denen die Theorie weniger wichtig ist als das praktische Bemühen, aus Nichtschwimmern Schwimmer zu machen und deshalb zwei Lehrer ins Bad schicken. Dadurch fällt womöglich anderer Unterricht aus. Abhilfe vor allem für Ganztagsschulen könnte das Angebot „Schwimmfix“ schaffen, weil das Land da zusätzliche Fachkräfte zur Verfügung stellt. Es setzt auf kleine Lerngruppen, spielerische Pädagogik und positive Erfahrungen. Die Kinder erlernen zu Beginn keine spezielle Schwimmart, sondern Teilbewegungen.

Lehrkräfte müssen „rettungsfähig“ sein

Im Alltag steht freilich nur eine „rettungsfähige“ Lehrkraft am Beckenrand, der man nur wünschen kann, im Ernstfall „verunfallte Personen unter den höchsten Stressbedingungen an jeder Stelle und aus jeder Tiefe des Beckens an die Wasseroberfläche zu bringen“ und lebensrettende Sofortmaßnahmen zu ergreifen, heißt es in einem Merkblatt des Kultusministeriums für Lehrer. Andernfalls laufen die Pädagogen Gefahr, dass der Unfallversicherungsträger nach einem Unglück die Möglichkeit nutzt, „auf die Lehrkraft zurückzugreifen“. Schwimmer bei Laune zu halten und Nichtschwimmer zu fördern sei schwierig, räumt das Ministerium ein. Es gebe aber auch im Nichtschwimmerbecken genügend methodische Wege, Schwimmer und Nichtschwimmer zusammen zu unterrichten.