Die Sportgemeinschaft Stuttgart-West ist nach 70 Jahren eine Institution im Quartier. Das Jubiläumsjahr 2016 war kein Zuckerschlecken. Aufgeben kommt aber nicht in Frage.

S-West -

 

Es ist ein diesiger Samstagnachmittag. Auch auf dem Kunstrasenplatz der Sportgemeinschaft Stuttgart-West sieht es eher trüb aus: Die erste Herrenmannschaft liegt im Heimspiel gegen die Spielvereinigung Stetten mit 0:2 zurück. „Ein klarer Torwartfehler und ein verschossener Elfmeter – was will man da noch machen?“, seufzt Thomas Mader, der 1. Vorsitzende des Vereins. Aber er lächelt.

Der 58-Jährige, der seit 1992 Mitglied ist, hat mit den Jahren einen gewissen Galgenhumor entwickelt. Das ist allemal besser, als sich den Spaß am Sport und am Miteinander mit Gleichgesinnten vermiesen zu lassen. Im Moment steht es eher schlecht um das ehrenamtliche Engagement fürs Vereinsleben. „Wir müssen zusehen, dass wir alles mit einer Hand voll Leute stemmen“, stellt Mader fest. „Entsprechend müssen wir unsere Aktivitäten von vornherein einschränken.“ So fiel das 70. Jubiläum des 1946 gegründeten Vereins komplett unter den Tisch. „Wir feiern dann in fünf Jahren, wenn wir 75 werden“, sagt der Vorsitzende hoffnungsvoll.

Ansprüche steigen

Ein hausgemachtes Problem des Vereins mit Sitz am Herderplatz ist seine Spezialisierung auf den Fußball: „Es war nicht unbedingt schlau, sich ganz auf diesen Sport zu konzentrieren“, sinniert Thomas Mader. „Junge Mütter, die einmal die Woche Gymnastik machen wollen, können wir schlicht nicht ansprechen. Dabei rekrutiert man normalerweise gerade über die Eltern von jungen Sportlern auch Leute, die sich aktiv in die Vereinsarbeit einbringen.“

Eine Halle, die sich für alternative Angebote nutzen ließe, gibt es nicht. Der Platz für einen Neubau auf dem Gelände, das zwischen VVS-Gleisen und Wohngebiet eingekeilt ist, fehlt und die Nutzung anderer, bereits vorhandener Sporteinrichtungen im Westen ist praktisch unmöglich, weil sie bereits rund um die Uhr belegt sind. Trotzdem war der Sportplatz der Spielgemeinschaft einmal Austragungsort für groß Veranstaltungen.

„In den 70er- und 80er-Jahren gab es hier immer ein großes Pfingstturnier, sogar mit Mannschaften aus dem Ausland, etwa aus Italien oder der Tschechoslowakei“, sagt der Jugendleiter Frank Ramminger. „Das ist aber nicht mehr zu leisten.“ Die letzten Versuche, die Tradition am Leben zu halten, endeten im finanziellen Minus. Neben der personellen Situation stehen einer Neuauflage auch die veränderten Ansprüche der Besucher entgegen. „Früher haben die angereisten Teams in Turnhallen übernachtet“, so Ramminger: „Heute wollen sie, dass man ein Hotel bucht. Das können wir einfach nicht leisten.“

Ja, früher war die „SSW“, wie sie im Westen genannt wird, sogar eine Talentschmiede, die einen Profi hervorgebracht hat. Thomas Stickroth (unter anderem VfB, VfL Bochum, Bayer Uerdingen, 1. FC Saarbrücken) hat seine ersten Tore in der E-Jugend für die Westler geschossen. Heute ist der Sportler, der in der Seyfferstraße aufgewachsen ist, im Übrigen Co-Trainer beim Drittligisten FSV Frankfurt.

Von solchen Fußballern und Ligen kann die SG Stuttgart West nur noch träumen. Aber es gibt aber auch Grund zur Hoffnung: Nach einer längeren Phase der Kooperation mit dem MTV Stuttgart gibt es seit drei Jahren wieder eine eigenständige Jugendarbeit. 236 Kinder treten das Leder unter den Fittichen des Vereins. Seit 2013 gibt es zudem einen Austausch mit den Kollegen von Croatia Stuttgart. Der Nachwuchs wird teilweise von den Trainern der Sportgemeinschaft mitbetreut. Die Herrenmannschaft der Kroaten nutzt den Platz an der Vogelsangstraße ebenfalls. „Wir fühlen uns diesem Stadtteil zugehörig“, kommentiert der 1. Vorsitzende die Gastfreundschaft. „Da ist es selbstverständlich, dass man sich zusammentut und gemeinsam nach Lösungen sucht. Ich denke auch, dass wir hier immer noch eine wichtige soziale Rolle übernehmen. Was würden die Kinder und Jugendlichen machen, wenn sie nicht bei uns kicken könnten? Der Sport beschäftigt sie sinnvoll und bringt sie zusammen. Egal welcher sozialen Schicht sie angehören.“

Hemmschwellen überwinden

Das schließt auch einige Ballsportler ein, die im vergangenen Jahr als Flüchtlinge in den Stuttgarter Westen gekommen sind. „Es waren weniger, als wir erwartet hatten“, sagt Frank Ramminger nach wie vor verwundert. „Irgendwie gab es da eine Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Uns wurde mehrfach gesagt, dass es sehr viele Interessenten gebe und wir hatten fest damit gerechnet, dass die irgendwann hier auftauchen würden.“ Es kamen nur einzelne Jugendliche. Die aber blieben dafür und sind inzwischen gut integriert, wie der Jugendleiter versichert. „Ich denke, das Problem war einfach, dass niemand den anderen Interessierten geholfen hat, ihre Hemmschwelle zu überwinden und sie ein paar Mal hierher begleitet hat, ehe sie sich allein auf den Weg machen konnten.“

Der Wille, sich in die Vereinsarbeit einzubringen ist bei Ramminger, Mader und dem Rest des harten Vereinskerns ungebrochen. „Unser Technischer Leiter ist 79 Jahre alt und immer noch aktiv. Da können wir uns nicht zurückziehen“, bemerkt der Vorsitzende lachend. „Im Moment wächst hier zudem nach längerer Pause wieder eine Generation nach, die sich wirklich mit dem Verein identifiziert.“ Das könnte zum Ausgangspunkt für bessere Zeiten werden und die kann man der Sportgemeinschaft Stuttgart-West nur wünschen. Wenn der Verein seine Angebote einschränken müsste, wäre das weit schmerzhafter als die 1:5 Niederlage gegen die SpVgg Stetten. Auch für das Quartier.