Kisasa arbeitet seit Juni 2015 in Taipeh in einem Sprachenzentrum für indigene Sprachen. Dass es ein solches Zentrum überhaupt gibt, ist ein kleiner Schritt zu mehr Gleichberechtigung der Ureinwohner. Von den fünfziger bis in die achtziger Jahre sei es der Urbevölkerung verboten gewesen, im öffentlichen Raum, wie in Schulen, ihre eigene Sprache zu sprechen, erklärt Haisul Palalavi, ein Kollege von Kisasa von der Gruppe der Bunun. Zu dieser Zeit war nur Hochchinesisch zugelassen; selbst Taiwanisch, das sich unter den frühen Einwanderern aus China herausgebildet hatte, war verboten. Das erklärt auch die Angst von Kisasas Mutter, ihrer Tochter die Sprache der Paiwan beizubringen.

 

Erst in den achtziger Jahren, als Taiwan das Kriegsrecht abschaffte und eine starke Demokratiebewegung das Land rasant veränderte, wagten die Ureinwohner, mehr Rechte einzufordern. In den Neunzigern begann die Regierung diese zu unterstützen. Sie richtete zum Beispiel eine eigene Behörde für die Urbevölkerung ein. Im Jahr 2000 schaffte es ein Vertreter der Bunun aus dem zentralen Bergland Taiwans erstmals auf einen Ministerposten. „Dieser war maßgeblich daran beteiligt, die Lage der indigenen Gruppen zu verbessern“, sagt Palalavi.

Mehr Rechte für die Ureinwohner

Ein weiterer Schritt vorwärts war ein einschlägiges Grundlagengesetz 2005. Dieses regelt zum Beispiel, dass der Staat nicht mehr einfach Grundstücke beschlagnahmen darf. Früher hatte das unter anderem dazu geführt, dass auf Lanyu, auf Deutsch Orchideeninsel, vor der Ostküste Taiwans 1982 eine Deponie für Atommüll gebaut wurde – auf dem Gebiet der indigenen Tao. Deren Proteste waren damals fruchtlos verhallt. Heute muss der Staat bei neuen Projekten die Erlaubnis einholen.

Außerdem sind Schulen mit indigenen Schülern nun gesetzlich verpflichtet, wenn auch nur in geringem Maße, Unterricht in Ureinwohnersprachen zu geben. Die Zeit drängt: Laut dem Atlas der gefährdeten Sprachen der Unesco gehören die meisten Sprachen der taiwanischen Ureinwohner zu denen, die in einer Generation aussterben könnten. Für zehn Sprachen ist es bereits zu spät, weitere sind stark gefährdet. Bei einer der kleinsten Gruppen, den Hla’lua, gibt es nur noch einen einzigen aktiven Sprecher, bei einer weiteren noch drei Lehrer, alle Senioren.