Das Landesmuseum in Stuttgart zeigt von Samstag an die Schau „Ein Traum von Rom“. Doch wo lebten die Römer eigentlich seinerzeit auf dem Stuttgarter Stadtgebiet? Die StZ zeigt die Fundorte auf einer Karte.

Stuttgart - Als die Römer an den Neckar kamen, brachten sie ihren „Roman way of life“ mit. Das wirkte sich auf den Speisezettel der Menschen aus, zumindest auf jenen der Oberschicht: Die freute sich über Olivenöl und Fischsauce aus Spanien und über Wein aus Südfrankreich. Spätere Generationen fanden da und dort sogar Austernschalen. Doch für die meisten Menschen, die während der Römerzeit hierzulande lebten, war dieser Luxus unerreichbar. „Für die gab es Getreideprodukte, vielleicht ein bisschen Käse oder Wurst, das war es“ erzählt Nina Willburger. Sie entwickelte als Kuratorin im Landesmuseum jene Ausstellung mit, die von diesem Samstag an zeigt, welche Spuren die Römer im Südwesten hinterlassen haben.

 

Die Stuttgarter Zeitung beschäftigt sich mit den römischen Fundorten auf dem heutigen Gebiet von Stuttgart. Die  Karte auf Seite 3 zeigt, dass sich zwar ein Großteil der Siedlungen rund um das Römerkastell in Bad Cannstatt befand – doch tatsächlich sind die Fundorte quer über das gesamte Stadtgebiet verteilt. So wurde im Kräherwald (Fundort Nummer 14) Tafelgeschirr gefunden, das in einer Töpferei hergestellt wurde. Römische Brennöfen wurden vor allem an jenen Orten errichtet, an denen Lehm abgebaut werden konnte. Manche Töpfereien stellten schon Massenware her: „In großen Gemeinschaftsöfen wurden mehrere Tausend Töpfe gebrannt“, erzählt Nina Willburger. Die Töpferei im Kräherwald war in der Römerzeit Teil eines Big Business in der Branche. „In Bad Rheinzabern gab es eine riesige Töpferei“, erzählt die Kuratorin, „die Anlage im Kräherwald war Teil des Filialnetzes.“

Die Soldaten mussten alles neu aufbauen

Das römische Imperium kolonialisierte Schritt für Schritt den heutigen Südwesten Deutschlands. Dabei spielten zunächst das Rheintal und Rottweil eine große Rolle, bevor sich die Römer laut Nina Willburger etwa 85 n. Chr. auf dem Gebiet von Bad Cannstatt ansiedelten. Interessant ist: Es lebten damals im Südwesten nur wenige Menschen – die Kelten waren verschwunden, vielleicht aus Angst vor den Germanen, und die Römer stießen in ein fast unbesiedeltes Gebiet vor. „Die Soldaten mussten also alles neu aufbauen: Straßen, Gebäude, Wasserversorgung“, betont Andreas Thiel, der beim Landesamt für Denkmalpflege in Esslingen der Experte für provinzialrömische Archäologie ist: „Vermutlich hätten die Römer lieber gekämpft.“

So ähnlich müsste das Römerkastell in Bad Cannstatt ausgesehen haben. Es hat von etwa 90 bis  150 n. Chr. bestanden und beherbergte  500 Reiter, die den  Neckarlimes schützten.  In der Mitte sind das Wohnhaus des Kommandanten,  das  Stabsgebäude, ein Lagerhaus und das Lazarett (von links) zu sehen, darum herum gruppieren sich die Baracken für die Mannschaften. Die Reiter lebten übrigens mit ihren Pferden in den Gebäuden.Visualisierungen: Landesmuseum Württemberg, 3D-Visualisierung D.Rothacher, Archaeoskop

Ein Verkehrsknotenpunkt in Cannstatt

Einige Jahre später begannen sie mit dem Bau des Römerkastells. „Die Gegend um Bad Cannstatt war ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt“, erzählt Nina Willburger, „hier kreuzten sich große Fernstraßen.“ Einige von ihnen waren bis zu sechs Meter breit. Auf den Straßen wurde die Post transportiert und der Handel abgewickelt. Die Verkehrswege besaßen eine enorme Bedeutung, daher mussten sie gesichert werden.

Im Kastell waren 500 Reiter angesiedelt. Auch deshalb war Bad Cannstatt etwas Besonderes, weil Reiter die Eliteeinheiten Roms waren: „Die bildeten sich was drauf ein“, so Andreas Thiel. Sie patrouillierten entlang des Neckars zu den Nachbarkastellen in Benningen im Norden und Köngen im Süden. Und sie haben regelmäßig das Land jenseits des Neckars inspiziert: „Die Reiter wachten darüber, dass sich dort keine potenziellen Feinde niederließen.“

Wie erst jüngst klar geworden ist, gab es in Bad Cannstatt hintereinander mindestens drei Holzkastelle, erst dann wurde dieses Provisorium um 100 n. Chr. durch einen Steinbau ersetzt. Zur Blütezeit des Kastells dürften in der zivilen Siedlung am Kastell 3000 bis 4000 Menschen gelebt haben, einige Hundert zusätzlich auf den Gutshöfen der Umgebung. Der Hallschlag war das Zentrum des Umlands – hierher kamen die Menschen, um ihre Waren zu vertreiben und um selbst einzukaufen. Es war das Milaneo des ersten nachchristlichen Jahrhunderts.

Die Suche nach dem entscheidenden Puzzlestück

Andreas Thiel ist sich sicher, dass Bad Cannstatt eine Siedlung mit Stadtrecht, also eine Civitas gewesen sein muss – einen schriftlichen Nachweis gibt es allerdings nicht, auch ist bisher kein Forum und keine Basilika gefunden worden. Gerade deshalb ist das Landesdenkmalamt sehr erpicht darauf, bei jedem Bauvorhaben im Hallschlag dabei zu sein: „Wir suchen noch den Beweis für die Civitas, vielleicht taucht irgendwann das entscheidende Tontäfelchen auf.“ Im Übrigen fahnden die Archäologen auch noch nach dem Namen, den die Römer der Siedlung gegeben hatten – bislang ist er unbekannt. Bad Cannstatt sei jedenfalls keine unbedeutende Siedlung gewesen und werde auch heute noch eher unterschätzt.

Darauf deuteten auch die erst vor wenigen Wochen entdeckten Brennöfen am Hauptbahnhof hin. Dort hätten Menschen über hundert Jahre hinweg ausschließlich Dachziegel gebrannt: „Das weist auf eine rege Bautätigkeit hin – und auf Luxusbauten, denn normale Häuser waren mit Schindeln gedeckt“, so Andreas Thiel.

Rund um das Römerkastell im heutigen Bad Cannstatt ließen sich Zivilisten nieder. Viele von ihnen waren mit der römischen Armee aus Gallien an den Neckar gekommen, unter ihnen befanden sich Handwerker und Händler. Die  Visualisierung zeigt die Rekonstruktion eines typischen Streifenhauses aus dieser Zeit. Dabei stand ein rechteckiges Gebäude auf einer lang gestreckten Parzelle.  Manchmal gab es im vorderen Teil ein Ladenlokal, neben dem Wohnbereich befand sich oft eine Werkstatt, an das Haus grenzte ein Garten an. In aufwendiger gestalteten Häusern aus jener Zeit sind später sogar Wandgemälde entdeckt worden. Visualisierungen: Landesmuseum Württemberg, 3D-Visualisierung D.Rothacher, Archaeoskop

Roms Stern sinkt

Nina Willburger vom Landesmuseum spricht dagegen von Bad Cannstatt als einer Kleinstadt. Die Bevölkerung wurde von den Gutshöfen (Villae rusticae) versorgt. Bauern bauten Getreide an, einige betrieben auch Milch- oder Viehwirtschaft. Überreste solcher Gutshöfe fanden sich auch in Stuttgart – unter anderem in Münster, Hofen und Zazenhausen (siehe Karte).

Um etwa 150 n. Chr. wurde der Limes weiter nach Osten verlegt – Bad Cannstatt war nun befriedetes Hinterland. Der Schutz des Höhenkastells war nicht mehr notwendig, weshalb Thiel vermutet, dass das Zentrum der römischen Siedlung nach unten an den Neckar verlegt wurde – ein Beweis steht aber ebenfalls noch aus. Dass im aufgegebenen Kastell aber keine öffentlichen Gebäude entdeckt wurden, sei ein Indiz für eine solche Verlagerung.

Allein in Bad Cannstatt sind zudem zwei römische Gräberfelder gefunden worden, mehrere Grabsteine sind heute im Besitz des Landesmuseums. In der Seelbergstraße wurde ein Grabstein zweier gepanzerter Reiter gefunden, die in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts nach Christus im Einsatz gefallen waren. Der Fund stammt aus einer Zeit des historischen Umbruchs im Südwesten. „Ab dem Jahr 233 brachen germanische Stammesverbände über den Limes herein“, sagt Nina Willburger. „Sie plünderten und brandschatzten.“ Der Stern Roms begann zu sinken. Etwa um 260/ 270 nach Christus verließ die Bevölkerung das heutige Stadtgebiet von Stuttgart und zog weiter ins sichere Gallien. Die Römerzeit in Stuttgart war Geschichte.

Ausstellung – Die Schau „Ein Traum von Rom – römisches Stadtleben in Südwestdeutschland“ läuft vom 25. Oktober an bis zum 12. April 2015 im Landesmuseum im Alten Schloss. Geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr. Die Tickets kosten neun Euro, ermäßigt 3,50 Euro. Im Eintrittspreis ist der Audioguide enthalten. Mehr im Netz: www.rom-stuttgart.de