Region: Verena Mayer (ena)

Zu seinen vielen Verfahren in Freiburg – 2005 waren es 1308 neue Fälle, 2006 bereits 1475 und 2007 schließlich 1571 – kamen schließlich noch zwei große Fälle in Offenburg. Für den Spezialeinsatz war Stephan Z. zu einem Drittel von seiner eigentlichen Arbeit freigestellt. Doch im Arbeitsalltag brachte ihm das keine Entlastung. Die Arbeit aus Offenburg kam obendrauf. Erwiesenermaßen arbeitete er ein Drittel mehr. Stephan Z. betont immer wieder, dass er seine Fehler korrigieren, die unordentlichen Verfahren ordnungsgemäß zu Ende bringen wollte. Dazu kam es nicht.

 

Die Meinungsforscher aus Allensbach haben vor zwei Jahren herausgefunden, dass ein erschreckend großer Teil der Richter und Staatsanwälte in Deutschland beklagt, zu wenig Zeit für ihre Verfahren zu haben. Fast alle der Befragten sehen die hohe Qualität der Rechtsprechung in Gefahr, sollten sie nicht mehr Kollegen bekommen. Wie zum Beleg wurden in Heilbronn kurz nach der Veröffentlichung der Zahlen fünf berüchtigte Dealer aus der Untersuchungshaft entlassen: Das Landgericht hatte keine Zeit für den Prozess gefunden. Wie sich herausstellte, mussten aus demselben Grund zwischen 2003 und 2014 in ganz Baden-Württemberg 82 Untersuchungshäftlinge auf freien Fuß gesetzt werden. Sieben von ihnen sind daraufhin untergetaucht.

Das Justizministerium analysierte (mit veralteten Zahlen) emsig, wie es um den Personaldeckungsgrad seiner ordentlichen Gerichtsbarkeit und den Staatsanwaltschaften bestellt ist und kam dann zu dem Ergebnis, dass Belastungssituationen großteils von „nicht steuerbaren Zufällen“ abhängen. Das Ministerium regte eine bessere Kommunikation zur besseren Planung an, gab die Ermittlung neuer Zahlen in Auftrag und versicherte: „Bei der Sicherheit und der schnellen und bürgernahen Rechtsgewährung werden keine Abstriche gemacht.“

Die Akten türmen sich immer höher

Und dennoch haben vor drei Monaten erst Richter aus – Achtung – Heilbronn das Ende ihrer Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit beklagt und mindestens drei neue Stellen gefordert. Und noch immer kommt Matthias Grewe, der Vorsitzende des Vereins der Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg nicht umhin, eine „unzureichende Dimension des Rechtsstaats an dieser Stelle“ zu konstatieren. Und trotzdem geißelt sogar der Oberstaatsanwalt Klaus Armbrust in Freiburg, die „ständige Überbeanspruchung“ eines Staatsanwalts: „Überstunden werden vorausgesetzt, Freizeitausgleich ist nicht vorgesehen. Nur wer das aushält, bleibt dem Beruf treu.“

Ist Stephan Z. kein Täter, sondern ein Opfer? Ein Beamter, gefressen vom System, wie sein Verteidiger Ulf Köpcke meint?

In einem normalen Wirtschaftsunternehmen wäre Stephan Z. wahrscheinlich so geräuschlos wie möglich entlassen worden. Ein Angestellter, der seine Arbeit nicht vorschriftsmäßig erledigt, schadet seiner Firma. Ein Strafverfolger jedoch, der Straftaten nicht verfolgt, schädigt das System. Wenn Delinquenten nicht zur Rechenschaft gezogen werden und Geschädigten keine Gerechtigkeit widerfährt, wozu braucht es dann die Justiz? Der Oberstaatsanwalt Klaus Armbrust sagt: „Das Verhalten des Herrn Z. erschüttert das Vertrauen der Gesellschaft in unser Rechtswesen.“

Nach allem, was in dem Prozess gesprochen wurde, kann man sagen: Stephan Z. ist ein Staatsanwalt wie aus dem Lehrbuch gewesen. Engagiert, zupackend, im Gerichtssaal souverän. Wer ihn einen „harten Knochen“ nannte, meinte das anerkennend. 8600 Fälle hat er von 2005 bis 2012 bearbeitet. Irgendwann, so scheint es, haben die Aktenberge den Beamten unter sich begraben. Stephan Z. gibt zu, dass er die strittigen Fälle nicht so behandelt hat, wie er es hätte tun müssen. Aber niemals, so versichert er wieder und wieder, weil er Strafen vereiteln wollte, sondern weil ihm die Zeit fehlte.

Überlastung durch zwei große Fälle

Zu seinen vielen Verfahren in Freiburg – 2005 waren es 1308 neue Fälle, 2006 bereits 1475 und 2007 schließlich 1571 – kamen schließlich noch zwei große Fälle in Offenburg. Für den Spezialeinsatz war Stephan Z. zu einem Drittel von seiner eigentlichen Arbeit freigestellt. Doch im Arbeitsalltag brachte ihm das keine Entlastung. Die Arbeit aus Offenburg kam obendrauf. Erwiesenermaßen arbeitete er ein Drittel mehr. Stephan Z. betont immer wieder, dass er seine Fehler korrigieren, die unordentlichen Verfahren ordnungsgemäß zu Ende bringen wollte. Dazu kam es nicht.

Die Meinungsforscher aus Allensbach haben vor zwei Jahren herausgefunden, dass ein erschreckend großer Teil der Richter und Staatsanwälte in Deutschland beklagt, zu wenig Zeit für ihre Verfahren zu haben. Fast alle der Befragten sehen die hohe Qualität der Rechtsprechung in Gefahr, sollten sie nicht mehr Kollegen bekommen. Wie zum Beleg wurden in Heilbronn kurz nach der Veröffentlichung der Zahlen fünf berüchtigte Dealer aus der Untersuchungshaft entlassen: Das Landgericht hatte keine Zeit für den Prozess gefunden. Wie sich herausstellte, mussten aus demselben Grund zwischen 2003 und 2014 in ganz Baden-Württemberg 82 Untersuchungshäftlinge auf freien Fuß gesetzt werden. Sieben von ihnen sind daraufhin untergetaucht.

Das Justizministerium analysierte (mit veralteten Zahlen) emsig, wie es um den Personaldeckungsgrad seiner ordentlichen Gerichtsbarkeit und den Staatsanwaltschaften bestellt ist und kam dann zu dem Ergebnis, dass Belastungssituationen großteils von „nicht steuerbaren Zufällen“ abhängen. Das Ministerium regte eine bessere Kommunikation zur besseren Planung an, gab die Ermittlung neuer Zahlen in Auftrag und versicherte: „Bei der Sicherheit und der schnellen und bürgernahen Rechtsgewährung werden keine Abstriche gemacht.“

Die Akten türmen sich immer höher

Und dennoch haben vor drei Monaten erst Richter aus – Achtung – Heilbronn das Ende ihrer Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit beklagt und mindestens drei neue Stellen gefordert. Und noch immer kommt Matthias Grewe, der Vorsitzende des Vereins der Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg nicht umhin, eine „unzureichende Dimension des Rechtsstaats an dieser Stelle“ zu konstatieren. Und trotzdem geißelt sogar der Oberstaatsanwalt Klaus Armbrust in Freiburg, die „ständige Überbeanspruchung“ eines Staatsanwalts: „Überstunden werden vorausgesetzt, Freizeitausgleich ist nicht vorgesehen. Nur wer das aushält, bleibt dem Beruf treu.“

Ist Stephan Z. kein Täter, sondern ein Opfer? Ein Beamter, gefressen vom System, wie sein Verteidiger Ulf Köpcke meint?

Die Akten im Büro von Stephan Z. türmen sich im Laufe der Jahre zu so unübersichtlichen Gebirgen, dass ihn sein Vorgesetzter mehrfach ermahnt aufzuräumen. Doch das tut Stephan Z. nicht. Er braucht die Schriftbündel, wie er sagt, um sie irgendwann tatsächlich abarbeiten zu können. Bis dahin sorgt Stephan Z. nur im Computersystem für Ordnung. Mal gibt er darin vor, Anklage erhoben zu haben, mal stellt er zum Schein ein Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts ein, mal aus anderen Gründen. Damit gelten die Verfahren als erledigt. Sie werden aus dem elektronischen Register ausgetragen, und Stephan Z. muss sich nicht schriftlich rechtfertigen, warum er mit seinen Verfahren nicht hinterher kommt. Tatsächlich schlummern sie auf seinem Schreibtisch weiter. Und die Geschädigten sowie die Beschuldigten warten und warten und warten. Bis sich im Juni 2012 dann der Anwalt der missbrauchten Stieftochter meldet.

„Warum hat er sich nicht helfen lassen?“

„Warum hat er sich nicht helfen lassen?“, fragt der spürbar ratlose Oberstaatsanwalt in seinem Plädoyer. Nach elf Verhandlungstagen fordert Klaus Armbrust eine eineinhalbjährige Haftstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt werden soll, sowie eine Geldauflage von 6000 Euro. „Gibt man seine Überlastung zu, wenn man so angesehen ist wie Herr Z. es war?“, erwidert sein Verteidiger Ulf Köpcke. Er fordert einen Freispruch. Stephan Z. habe seine Fehler korrigieren wollen, die in keinem Fall eine öffentliche Wirkung gezeitigt hätten. Stephan Z. habe gerade nicht gehandelt, um Recht zu beugen.

Tag zwölf des Prozesses, 14.15 Uhr. In Saal römisch vier verkündet der Vorsitzende Richter der Zweiten Großen Strafkammer das Urteil: Schuldig! Stephan Z. wird zu einer Haftstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt.

Stephan Z., so erklärt der Richter Alexander Schöpsdau, sei vom Jahr 2008 an nicht mehr so belastet gewesen, als dass er die offenen Fälle nicht hätte bearbeiten können. Dass er es nicht getan hat, habe sich in allen Fällen zu Gunsten der Beschuldigten ausgewirkt. Hinzu komme, dass Stephan Z. die Akten nicht einfach nicht bearbeitet, sondern aktiv manipuliert habe. „Der Kammer“, schließt ihr Vorsitzender nach seiner mehr als einstündigen Urteilsbegründung, „erschlossen sich keine rational nachvollziehbaren Gründe für das Verhalten von Stephan Z.“

Stephan Z. muss – wenn das Urteil rechtskräftig wird – nicht ins Gefängnis, seine Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Aber er verliert seinen Beamtenstatus. Sein Gehalt, das während seiner Suspendierung weiter bezahlt wurde, fällt weg. Er muss die Kosten des Verfahrens bezahlen, er verliert große Teile seiner Altersvorsorge und er hat eine sehr ungewisse berufliche Zukunft vor sich. Das alles hat das Gericht bei seinem Urteil berücksichtigt. Der Fall bleibt, was er war: eine Tragödie.