Die Staatsanwaltschaft sieht im Falle des EnBW-Deals keine Anhaltspunkte für Untreue, prüft aber weiter. Misst sie mit zweierlei Maß?

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Staatsanwältin aus Bayern war fassungslos über ihre Kollegen aus Baden-Württemberg. Schon lange wunderte sie sich darüber, dass wegen des EnBW-Deals von Exministerpräsident Stefan Mappus (CDU) einfach keine Ermittlungen aufgenommen würden. Es gebe schließlich genügend Anhaltspunkte für Untreue durch die handelnden Politiker und Beihilfe zur Untreue durch ihre Berater. Schließlich verfasste sie selbst eine umfassend begründete Strafanzeige und schickte sie im Oktober nach Stuttgart. Ihr Fazit: "Jede andere Entscheidung als die Aufnahme von Ermittlungen würde auf Unverständnis stoßen und an Strafvereitelung im Amt grenzen."

 

Mit ihrer Empörung steht die bayerische Juristin nicht alleine da. Andere Anzeigeerstatter - so ein pensionierter Polizeibeamter aus Südbaden - betrachten es inzwischen selbst als einen Fall für die Justiz, dass die Ermittler "bis heute untätig" seien. In Leserbriefen und Internetforen wird reihenweise gefragt, wie es sein könne, dass ein Ministerpräsident im Wahlkampf ungestraft mit Milliarden von Steuergeldern spekulieren dürfe, Normalbürger dagegen wegen Centbeträgen gewaltigen Ärger bekämen. Die Justiz, so ein verbreiteter Eindruck, messe da mit zweierlei Maß.

An Strafanzeigen hat es nicht gefehlt. Schon wenige Tage nach Mappus' "EnBW-Coup" am 6. Dezember 2010 liefen die ersten bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart ein. Nach dem Urteil des Staatsgerichtshofs, das den Aktienkauf am Landtag vorbei im Oktober als glatten Verfassungsbruch einstufte, kamen weitere. Insgesamt dürften es um die zwanzig sein. Darunter waren juristisch wenig gehaltvolle Schreiben, in denen Bürger einfach ihrem Unmut Luft machten, aber auch fachlich fundierte Darlegungen von Rechtsanwälten. Auch die bayerische Staatsanwältin verwies auf einschlägige BGH-Urteile.

Früherer Staatsminister Helmut Rau nicht im Visier

Adressat der Vorwürfe waren Mappus und sein Finanzminister Willi Stächele sowie deren Berater von der Investmentbank Morgan Stanley und der Anwaltskanzlei Gleiss Lutz. Den früheren Staatsminister Helmut Rau nahm hingegen niemand ins Visier - dabei stand er als Geschäftsführer der Kaufgesellschaft Neckarpri am unmittelbarsten in der Verantwortung. Fünf Anzeigen werden nach Auskunft der Staatsanwaltschaft derzeit noch geprüft, alle anderen Erstatter erhielten den Bescheid, dass es keinen Anlass für Ermittlungen gebe.

Zuständig für die Prüfung ist nicht die Abteilung für Wirtschaftskriminalität, die im Ruf steht, unerschrocken auch gegen Mächtige vorzugehen - etwa in den Fällen LBBW oder Porsche. Zum Teil waren die Anzeigen direkt dort eingelaufen, wurden aber weitergeleitet an die "politische" Abteilung von Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler; diese ist für Fälle zuständig, in denen Abgeordnete betroffen sind. Häußler, der nicht nur wegen seiner Rolle bei den (Nicht-)Ermittlungen rund um Stuttgart 21 umstritten ist, lässt den EnBW-Komplex von einer bewährten Ersten Staatsanwältin bearbeiten. Noch vor der Landtagswahl, schneller als zunächst angekündigt, entschied sie sich erstmals gegen Ermittlungen. Den Anzeigen werde "keine Folge gegeben", hieß es in einer Pressemitteilung vom 4. März.

Mappus war damit gleichsam amtlich von dem Verdacht reingewaschen, er könnte mit dem politisch, rechtlich und wirtschaftlich bereits hochumstrittenen Coup auch gegen Strafgesetze verstoßen haben. Ihre Entscheidung stützte Häußlers Ermittlerin offenbar ausschließlich auf das Vorbringen der Anzeigeerstatter und die Berichte in den Medien. Vertiefte eigene Untersuchungen - etwa das Befragen von Zeugen oder die Sicherstellung von Unterlagen - sind in der Prüfphase vor offiziellen Ermittlungen nicht zulässig.

Keinen Anfangsverdacht auf Untreue

In der ersten Verfügung, der inzwischen weitere, fast gleichlautende folgten, wird vor allem begründet, warum es keinen Anfangsverdacht auf Untreue gebe. Dazu müsse der Vertragsschluss nämlich pflichtwidrig gewesen sein, weil "die Grenzen des zulässigen Handlungsspielraums überschritten" seien. Für ein solches "treuwidriges Risikogeschäft" gebe es jedoch keine ausreichenden Anhaltspunkte: Weder das hohe Volumen des Aktiendeals noch die Eile ließen auf "wirtschaftlich unvertretbare Risiken oder eine zweifelhafte Gewinnaussicht" schließen. Es spreche auch nichts dafür, dass der Kaufpreis "nicht angemessen" gewesen sei und Mappus "die Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit eines Vermögensverlustes gebilligt" habe. Ein relevanter Vermögensschaden - strafrechtlich genügt bereits eine bloße Gefährdung - sei zudem nicht erkennbar.

Kein Wunder: damals, Anfang März, lag der Aktienkurs noch wie festgenagelt auf dem Niveau der Übernahmeangebots von 41,50 Euro. Erst später sackte er so stark ab, dass dem Land zeitweise ein Buchverlust von einer Milliarde Euro entstand. Nach der Katstrophe von Fukushima wurde die Verfügung nur um einen Satz erweitert: der in der Folge eingeleitete Kurswechsel in der Atompolitik sei "nicht vorhersehbar" gewesen. Dass eine Verfassungsklage gegen die längeren Laufzeiten anhängig war, der allgemein gute Erfolgsaussichten bescheinigt wurden, dass Analysten etwa der LBBW oder sogar von Morgan Stanley vor der politischen Unsicherheit für Energieaktien gewarnt hatten, spielte in der Begründung keine Rolle. Ebenso wenig wurde erwähnt, dass es zur Wertermittlung keine vertiefte Prüfung gab - eine sogenannte Due Diligence -, die bei Transaktionen dieser Größenordnung üblich ist. Allein deren Fehlen, sagte ein erfahrener Wirtschaftsjurist der StZ, könne schon ein Indiz für Untreue sein.

Direkten Vorsatz unterstellt Mappus und seinen Mitakteuren wohl niemand; bedingter Vorsatz - das billigende Inkaufnehmen - würde für eine strafrechtliche Relevanz indes schon reichen. Im Kern geht es mithin darum, ob die "Regeln der kaufmännischen Sorgfalt" verletzt wurden. Was bei Mappus bis jetzt verneint wird, registrieren erfahrene Ermittler mit Verwunderung, sei in ähnlich gelagert Fällen durchaus bejaht worden - und zwar von der gleichen Staatsanwaltschaft. Die seit zwei Jahren laufenden Ermittlungen gegen die LBBW-Vorstände etwa begründete die Wirtschaftsabteilung damit, sie hätten es unterlassen, sich vor dem Eingehen eines Risikogeschäfts "vollständig über dessen Chancen und Risiken zu informieren". "Mangelnder Überblick" über die verbrieften Kreditforderungen wird als Indiz für eine mögliche Strafbarkeit genannt. Nur aufgrund "sorgfältig erhobener, geprüfter und analysierter Informationen" hätte der Vorstand die Risiken eingehen dürfen.

Wirtschaftsexperten wurden nicht hinzugezogen

Ob diese Maßstäbe beim EnBW-Deal erfüllt wurden, erscheint zumindest zweifelhaft. Die Wirtschaftsexperten der Staatsanwaltschaft wurden bei der Prüfung, so weit bekannt, allerdings nicht hinzugezogen. Die bei ihnen eingehenden Hinweise mussten sie umgehend an die politische Abteilung abgeben. Nur einer der Anzeigeerstatter legte übrigens Beschwerde ein, die von der Generalstaatsanwaltschaft zurückgewiesen wurde.

Die Entscheidung, keine Ermittlungen aufzunehmen, ist indes stets eine vorläufige; neue Erkenntnisse können jederzeit doch noch zu einem Verfahren führen. Solche liefert möglicherweise die von der Regierung geplante Prüfung durch eine Anwaltskanzlei, bei der zwar die Frage von Schadenersatz im Vordergrund steht. Zivil- und strafrechtliche Aspekte, sagen erfahrene Wirtschaftsjuristen, hingen jedoch eng mitenander zusammen.

Auch die Münchner Staatsanwältin hätte von sich aus Ermittlungen einleiten können - und diese dann umgehend an die zuständige Behörde abgeben müssen. Sie hätte sich sogar verpflichtet sehen können, von Amts wegen unverzüglich tätig zu werden. Doch ihre Anzeige erstattete sie ausdrücklich als Privatperson.

EnBW-Akten: Fall für die Justiz?

Verdacht: Auch der Umgang mit den Akten zum EnBW-Deal könnte zum Thema für die Justiz werden. Die grün-rote Regierung hatte beklagt, dass kaum Unterlagen aus der Zeit vor dem Vertragsschluss vorhanden seien. Exministerpräsident Stefan Mappus war dem Verdacht, es seien Akten verschwunden, scharf entgegengetreten. Im Staatsministerium müssten mindestens zehn Ordner existieren, sagte er – womit offenbar die Zeit nach dem 6. Dezember gemeint war. In Hinweisen an die Staatsanwaltschaft und die StZ werden zwei mögliche Tatbestände genannt, um die es gehen könnte.

Paragrafen: In Betracht käme zum einen Verwahrungsbruch (Paragraf 133 Strafgesetzbuch). Danach macht sich strafbar, wer Schriftstücke, die sich in dienstlicher Verwahrung befinden, „zerstört, beschädigt, unbrauchbar macht oder der dienstlichen Verfügung entzieht“. Amtsträger werden besonders hart bestraft. Die andere Möglichkeit wäre Paragraf 274, Urkundenunterdrückung. Er stellt es unter Strafe, wenn jemand eine Urkunde, die ihm nicht oder nicht alleine gehört, „vernichtet, beschädigt oder unterdrückt“. Zum Umgang mit der Akte liegt der Staatsanwaltschaft mindestens eine Anzeige vor, die jedoch noch nicht geprüft wurde.