Die Staatsgalerie Stuttgart präsentiert sich mit chronologisch geordneter Sammlung und renoviertem Foyer nach der sommerlichen Schließzeit unter dem Motto „In neuem Glanz“. Christiane Lange positioniert das Haus damit wieder als erste Adresse im Land – und macht Schluss mit dem Kunstchaos.

Stuttgart - „Kommando zurück!“ So hätte Christiane Lange ihre Sammlungspräsentation auch nennen können. Das Konzept ihres Vorgängers Sean Rainbird, die gewohnte Ordnung der Dinge durcheinander zu wirbeln, Alte Meister in der Neuen Staatsgalerie zu stationieren und die moderne Kunst im Altbau, hat die neue Direktorin mit ihrer Hängung wieder rückgängig gemacht. Manchmal überraschende, oft aber brachiale Zwangskonstellationen über Epochen und Stile hinweg, von denen die – wegen angeblicher formaler Korrespondenzen herbeigeführte – Gegenüberstellung des Herrenberger Altars von Jerg Ratgeb aus dem Jahr 1519 und des 1967 entstandenen Gemäldes „Who’s Afraid of Red, Yellow and Blue II“ des amerikanischen Farbfeld-Pioniers Barnett Newman nur die krasseste war, gibt es nun nicht mehr. Vorbei auch die Vermischung der altdeutschen, niederländischen und italienischen Malerei, vorbei die einheitlich weißen Wände, mit denen Rainbird das Museum dem einst modernen, aber schon seit geraumer Zeit überholten Ideal des White Cube angenähert hatte. Lange macht aus der Staatsgalerie mit einer sehr klassisch arrangierten Schau wieder den traditionellen Kunsttempel.

 

Unter dem Motto „In neuem Glanz!“ zeigt sie einen streng chronologisch und nach Schulen geordneten Parcours durch achthundert Jahre europäische Kunstgeschichte, beginnend im Altbau bei der altschwäbischen Tafelmalerei und Gemälden des Trecento und endend bei zeitgenössischen Werken wie Bridget Rileys Wandbild „Rajasthan“, einem Ankauf des Fördervereins, das mit seinem Entstehungsjahr 2012 das jüngste Werk in der aktuellen Bestandsauswahl sein dürfte. Newman hängt jetzt wieder bei Seinesgleichen, wo er hingehört: Mark Rothkos unbetitelten roten Farbfeldern und Ad Reinhardts reinschwarzem „Abstract Painting“. Jerg Ratgebs Altar breitet seine mächtigen Flügel am Ende der Enfilade im Altbau aus, neben dem kleinen, feinen Wildensteiner Altar des Meisters von Meßkirch, der in der Blickachse als ein Glanzstück der altdeutschen Malerei zu Ehren kommt.

Die Chefin folgt dem Trend

Weiß sind nur noch die Räume der zeitgenössischen Abteilung. In allen anderen Sälen hängt die Kunst vor farbigen Wänden – wie inzwischen in nahezu allen großen Häusern der Brauch, ob im Amsterdamer Rijksmuseum, der Dresdner Gemäldegalerie oder im Kunsthistorischen Museum in Wien. Die neue Chefin folgt in Stuttgart also dem Trend. In eine Villa Kunterbunt wie das im Sommer wiedereröffnete Münchner Lenbachhaus mit seinen von Raum zu Raum wechselnden Hintergründen hat sich die Staatsgalerie aber nun nicht verwandelt. Auch das satte Grün, Blau und Gelb ihres Vorvorgängers Christian von Holst greift Lange nicht wieder auf. Ihre Farben sind eher dunkel und gedeckt, und sie dienen zugleich als Leitsystem, das dem Besucher die Orientierung in den durch keinen Zaubertrick der Welt zu einem geschlossenen Rundgang zu verbindenden Häusern erleichtern soll: Braun für die altdeutschen, Grün für die niederländischen Meister, Weinrot für die Italiener, Oliv für die Historienmaler des 19. Jahrhunderts, Rauchgrau für die Klassische Moderne, Mauve sowohl für die schwäbischen Klassizisten als auch die französischen und deutschen Impressionisten.

Gerade diesen matten, ins Gräuliche spielenden Fliederton wird mancher Betrachter gewöhnungsbedürftig finden. Der seit 2008 erstmals wieder vollständig zu sehende Perseus-Zyklus des britischen Präraffaeliten Edward Burne-Jones scheint elegischer denn je in Lila zu versinken, während die gleiche Wandfarbe zusammen mit der von den neuen LED-Leuchten erzeugten Tageslichtstimmung sowohl der Plein-Air-Malerei eines Monet oder Pissarro als auch den romantischen Landschaften von Caspar David Friedrich und Carl Gustav Carus hervorragend bekommt.

Technisch aufpoliert

Denn das bedeutet die Überschrift „In neuem Glanz!“ ja auch: dass die Schließzeit über die Sommermonate genutzt wurde, um fällige Reparaturen zu erledigen und das Museum technisch aufzupolieren. Strahlende Leuchtkraft entfalten speziell die Altmeister unter den neuen Spots. Herumgesprochen hat sich insbesondere auch, dass der nach dreißig Jahren abgetretene Noppenboden erneuert wurde. Jetzt glänzt er wieder so quietschgrün wie vor dreißig Jahren, als James Stirling die Museumsarchitektur revolutionierte. Im Foyer des Neubaus befinden sich nun auch das Café und der an eine Ladenkette vermietete Museumsshop, für den Stirlings Partner Michael Wilford eigens neue Regale und Verkaufstische designt hat.

Für die Alte Staatsgalerie hat diese Aufwertung des zuvor halbverwaisten Stirling-Foyers zur Folge, dass sie raumorganisatorisch ihre Eigenständigkeit leider verliert und wieder zum Nebentrakt wird, den man nur über den Neubau betreten kann. Zwei Eingänge wie zu Zeiten von Sean Rainbird findet die Nachfolgerin jedoch nicht nur überflüssig, sondern wegen des zusätzlichen Personalaufwands auch zu teuer. Vor allem aber dient diese Entscheidung ihrem Hauptanliegen, in den Sammlungssälen wieder eine kunstgeschichtliche Chronologie erlebbar zu machen.

Keine kuratorischen Eskapaten

Langes Absage an das Museum als Experimentierfeld kuratorischer Eskapaden mag da und dort als rückwärtsgewandt empfunden werden. In Wahrheit dient sie einer klugen Neulegitimation der Institution, die in einer stark veränderten, von privaten Sammlern und astronomischen Preissteigerungen bestimmten Museumslandschaft an Boden zu verlieren schien. Vor allem auch die Staatsgalerie wurde in den letzten Jahren nicht selten als angestaubt und langweilig belächelt: kein wirklich konkurrenzfähiger Betrieb mehr im Event-Zirkus.

Paradox genug, dass der Ausweg nun gerade nicht in dem Versuch bestehen soll, im Originalitätswettbewerb mitzuhalten, sondern in der Rückbesinnung auf den Kanon, den nur die öffentliche Sammlung in dieser Breite und Qualität bieten kann. Einen Kanon im Übrigen, der allen gehört, die als steuerzahlende Bürger diese öffentliche Sammlung mittragen. Langes Inszenierung des Museums als Schatzhaus bewirkt, dass die Kostbarkeit, die Gültigkeit dieses öffentlichen Kunstbesitzes zur Geltung kommt: Sie positioniert damit die Staatsgalerie an der Spitze der Museen im Land.

Keineswegs überraschungsfrei

Es ist auch keineswegs so, dass die Neuhängung völlig überraschungsfrei daherkäme. Unter der Überschrift „Die dunkle Seite des Rokoko“ trifft man etwa auf drei Gemälde eines Alessandro Magnasco, die Mönche, Bänkelsänger und Soldaten bei albtraumhaft-finsteren Gelagen zeigen und nichts mit dem Bild von marzipanfarbenen Schönheiten auf der Schaukel zu tun haben, die man sonst immer mit der Rokoko-Kunst in Verbindung bringt.

Ein Manko sind bisher die Beschriftungen. Erklärende Täfelchen, wie die früheren Direktoren sie zu fast jedem Bild hatten anbringen lassen, hat Lange wieder kassiert. Stattdessen führt nun in jedem Raum eine Textfahne in die Materie ein. Die Kommentare bleiben jedoch zu allgemein, und das hochgestochene Kunsthistoriker-Deutsch wird auch nicht jeder verstehen.