Das Leitungsteam des Stuttgarter Staatstheaters schlägt Alarm: Ob das Schauspielhaus  Mitte Februar tatsächlich wiedereröffnet werden kann, ist fraglich.

Stuttgart - Montag am späten Nachmittag, 17.30 Uhr, Ortstermin im Schauspielhaus am Eckensee: Auf der Baustelle wird gehämmert, gesägt und gebohrt, Schreiner stehen auf Gerüsten und schrauben Deckenplatten an, Schlosser knien am Boden und schleifen Eisenrohre ab. Die Arbeiten gehen unter Hochdruck voran, was auch Marc-Oliver Hendriks mit einer Genugtuung zur Kenntnis nimmt, die man freilich als sehr verbittert bezeichnen muss. „So viele Bautätigkeiten wie in der vergangenen Woche habe ich in der ganzen Zeit davor nicht beobachtet“, sagt der geschäftsführende Intendant des Staatstheaters – und diese Worte sind so klar, dass sie nur einen Schluss zulassen: in der Vergangenheit, das insinuiert der Chef des Dreispartenhauses, ist die Baustelle von der Bauleitung sträflich vernachlässigt worden.

 

Und als wäre das noch nicht schlimm genug, sind zu den Mängeln beim Baufortschritt ganz offensichtlich noch Mängel bei der Bauplanung gekommen, was Folgen für die Eröffnung des Schauspielhauses hat. Geplant war, das 1962 eröffnete, jetzt für – vorerst – rund 25 Millionen Euro sanierte Haus am Eckensee im Februar mit einem Doppelschlag zu eröffnen: Am Wochenende des 17./18. Februar sollten Schillers „Don Karlos“ und Sartres „Das Spiel ist aus“ über die Bühne gehen. Und – vorerst – festzuhalten bleibt: noch hat Hasko Weber, der zusammen mit Hendriks zum staubigen Ortstermin geladen hat, diesen Plan nicht begraben.

"Ein Provisorium"

„Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt der Intendant des Schauspielhauses, während jetzt hinter ihm wie zur Beglaubigung des Satzes eine Säge munter aufheult. Er wolle alles daran setzen, dass der Eröffnungstermin gehalten werden kann, auch wenn schon klar sei, was da – wenn überhaupt – eröffnet werden könne: „Ein Provisorium“, meinen Weber und Hendriks unisono, „das nachgebessert werden muss.“

Diese Bauprobleme also sind der Grund, weshalb die beiden Herren Alarm geschlagen haben – eben auch im Verwaltungsrat des Theaters, der unmittelbar vor der Baustellenbesichtigung zu einer Sondersitzung zusammenkam, auf der Weber & Hendriks von den Schwierigkeiten bei der Sanierung berichteten. Denn wenn jemand Druck auf den Bauherrn ausüben kann, ist es dieses gemeinsam von Stadt und Land beschickte Kontrollgremium. Der Bauherr selbst aber ist das Finanzministerium. In dessen Zuständigkeit fällt die Sanierung des Hauses – und eben auch die Verantwortung für den langsamen Baufortschritt und die eklatanten Baumängel.

Alle Zeitpuffer aufgebraucht

Die Bauverzögerung, so Weber, habe dazu geführt, dass alle Zeitpuffer aufgebraucht seien. Um die neue Bühnenmaschinerie in Gang zu setzen, bräuchte man seriöserweise mindestens vier Wochen. Weil aber wegen des Staubs auf der Baustelle einzelne Technikteile noch gar nicht eingebaut werden konnten, sei an diesen Vorlauf nicht zu denken. Wolle man den Februartermin halten, könnte die Maschinerie höchstens zwei Wochen eingefahren werden – ein technisches und künstlerisches Risiko, das die geplante Eröffnung durchaus noch zum Wackeln bringen könnte.

Das ist das eine Problem. Das andere: die gravierenden Baumängel, die sich darin ausdrücken, dass es im neuen Zuschauerraum – aufgepasst – jetzt Sitze mit Sichtbehinderung gibt. Auf jeder Parkettseite stehen zehn bis fünfzehn Sessel, die nur einen eingeschränkten Blick auf die Bühne ermöglichen. Das muss man sich mal vorstellen: ein runderneuertes Theater – und dann sieht man nichts! Pfusch am Bau, würde der Laie sagen. Hasko Weber und Marc-Oliver Hendriks aber verkneifen sich drastische Urteile, obwohl ihnen der Ärger anzumerken ist. Stattdessen verweisen sie darauf, dass sie mehrfach die Initiative ergriffen und die Bauleitung auf die offenkundigen Mängel hingewiesen haben.

"Ich bin nicht hier, um Frust abzulassen"

Eine Folge hatte diese Erkenntnis ja: Ursprünglich sollte das Schauspielhaus nach einjähriger Sanierung mit Beginn der laufenden Spielzeit eröffnet werden. Doch als die Theaterleute ahnten, dass bei den Arbeiten nicht alles rund lief, intervenierten sie und legten die Eröffnung nolens volens ein halbes Jahr nach hinten, auf den Februar. Und abgesehen davon, dass sich die Bauzeit damit schon jetzt um die Hälfte verlängert hat, scheinen sich Weber & Hendriks auch noch über etwas anderes zu ärgern: Ihre Warnungen sind von der Bauleitung immer wieder ignoriert worden.

Trotzdem bewahren die Intendanten, während sie im neuen Zuschauerraum mit der Sichtbehinderung stehen, äußerlich ihre Fassung. „Ich bin nicht hier, um Frust abzulassen“, sagt Weber, „ich will die Öffentlichkeit sensibilisieren für das, was noch auf sie zukommen könnte.“ Doch was auf die Bürger, sofern ihnen das Theater am Herzen liegt, noch zukommt, entscheidet sich wohl definitiv erst in der zweiten Januarwoche. Dann tritt der Verwaltungsrat abermals zu einer Sondersitzung zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten.

Ein Zurück in die Türlenstraße gibt es nicht

Sollten Weber & Hendriks bis dahin zu dem Schluss kommen, dass die Baufortschritte eine Theater-Eröffnung im Februar noch nicht ermöglichen, würde sich diese Eröffnung – horribile dictu – wohl bis nach der Sommerpause verschieben, freilich mit einer ganzen Reihe neuer Folgeprobleme. Denn eines steht fest: Ein Zurück in die Türlenstraße gibt es nicht. Die Immobilie, seit anderthalb Jahren das Ausweichquartier des Weber-Teams, ist zum 31. Januar gekündigt. Und fest steht auch noch etwas anderes: Wegen der längeren Bauzeit wird die Schauspielhaus-Sanierung teurer als geplant – bedauerlicherweise zu Lasten des ebenfalls vor der Sanierung stehenden Opernhauses. Aber das ist eine andere traurige Geschichte