Im Streit um den Flughafen Zürich kritisiert der frühere Kreischef von Waldshut Bernhard Wütz seinen Nachfolger Tilmann Bollacher.

Waldshut - Die Ratifizierung des deutsch-schweizerischen Staatsvertrags zum Fluglärm ist ein Stück schwieriger geworden, seit die 32 Städte und Gemeinden im Kreis Waldshut dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) am Mittwoch ihre einhellige Ablehnung des am 2. Juli geschlossenen Abkommens übermittelt haben. Der Regierungschef versprach den Bürgermeistern, er werde dem Vertragswerk nur zustimmen, wenn er erhebliche Verbesserungen für die vom Fluglärm betroffene Bevölkerung erbringe. „Ich habe da keine Eile“, sagte Kretschmann.

 

Der Regierungschef tut wohl gut daran. Noch vor kaum zwei Wochen hatte er bei einer Reise durch die vier Kantone Schaffhausen, Thurgau, St. Gallen und Zürich von einem „akzeptablen Kompromiss“ gesprochen und die Fluglärmgegner gegen sich aufgebracht. Nun, da er erkannt hat, wie stark der Widerstand ist, rudert Kretschmann kräftig zurück. Entsprechend beeilte sich der Grüne, deutlich zu machen, dass der Bund und nicht das Land der Verhandlungsführer des bilateralen Abkommens und die Macht des Landes somit begrenzt sei. Am 4. September hatten der deutsche Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und seine eidgenössische Amtskollegin Doris Leuthard das siebenseitige Vertragswerk unterzeichnet. Eine zusätzliche Denkschrift soll nun das Werk ausgestalten und die offenen Fragen etwa zu Flugzeiten und Flugrouten festlegen, hieß es.

Zahl der Anflüge nicht mehr begrenzt

Deutschland hatte bei den Verhandlungen zwar eine Ausweitung der Sperrzeiten erreicht. Künftig sollen werktags Anflüge über deutsches Gebiet nur von 6.30 Uhr bis 18 Uhr und an Wochenenden und Feiertagen von 9 Uhr bis 18 Uhr möglich sein. Im Gegenzug hat die deutsche Seite jedoch unter anderem darauf verzichtet, die Zahl der Anflüge über deutschem Gebiet auf maximal 80 000 zu begrenzen. Derzeit gibt es jährlich noch 105 000 Anflüge.

Die Bürgermeister und auch die Bundes- und Landtagsabgeordneten in der Region Waldshut kritisieren, dass ohne Not die sogenannte Stuttgarter Erklärung vom November 2009 unterlaufen wurde. Diese sei nun nur noch „Makulatur“, klagte Bürgermeister Martin Benz, seit 21 Jahren Bürgermeister der am stärksten überflogenen Gemeinde Hohentengen. Im März dieses Jahres hatte die grün-rote Landesregierung das Papier noch einmal bekräftigt.

Ex-Landrat Wütz attackiert Minister Ramsauer

Der Vorortbesuch des Regierungschefs hat noch eines offenbart: die Führung im Fluglärmabwehrkampf hat nun wieder Bernhard Wütz übernommen. Der 71-jährige frühere CDU-Landrat ist nach sechs Jahren im Ruhestand wort- und wirkungsmächtig in die politische Arena zurückgekehrt. Er geht in Konfrontation zu seinem Nachfolger Tilman Bollacher (CDU), der den Vertrag wie seine Amtskollegen in Konstanz und im Schwarzwald-Baar-Kreis mitträgt. Wütz aber fürchtet offenbar um sein Lebenswerk – den Schutz vor Schweizer Fluglärm. In der „Frankfurter Allgemeinen“ fällt er ein vernichtendes Urteil: „Der Vertrag ist der helle Wahnsinn, die Tourismusregion Südschwarzwald steuert auf die Katastrophe zu. 2020 ist der Tourismus kaputt.“ Ramsauers Vorgehen erinnere ihn „an einen absolutistischen Fürsten“.

Der Jurist Wütz hat den Vertrag genau gelesen und findet, die Schweiz könne bald „machen, was sie will“. Zum Beispiel den Flughafen niedriger anfliegen lassen als bisher, weil die Flughöhen gesenkt worden sind. Die Sperrzeiten, so Wütz, seien auch nur für die Pisten 14 und 16 festgeschrieben. „Wenn die Schweizer wollen, können sie über die anderen Pisten künftig Tag und Nacht fliegen.“ Die Denkschrift habe keinerlei rechtliche Bindungskraft. Entscheidend sei allein, was im Staatsvertrag stehe.

Waldshuter Landrat Bollacher wehrt sich

Tilman Bollacher wehrt sich gegen die Kritik. Am 17. Oktober will der Waldshuter Kreistag eine Resolution mit der Ablehnung des Staatsvertrags verabschieden. „Diese Entscheidung werde ich umsetzen und mittragen, das ist doch klar“, sagt er. Auch der 48-Jährige findet noch vieles in dem Abkommen unklar. Aber manches werde auch verkürzt oder gar nicht dargestellt. So werde der künftige Luftraum eben gemeinsam von der Schweizer Skyguide und der Deutschen Flugsicherung überwacht. „Das ist ein Generalschlüssel für unseren Einfluss“, glaubt Bollacher.

Ebenfalls im Oktober will der Bundesverkehrsminister an den Hochrhein kommen. Die Fluglärmgegner sind der Ansicht, Ramsauer sollen sich dann in einer Podiumsdiskussion der Kritik stellen.

Proteste seit den 1960er Jahren

Der größte schweizerische Flughafen Zürich-Kloten liegt 15 Kilometer südlich der schweizerisch-deutschen Grenze. Seit 1948 wird geflogen. Seit den 1960er Jahren nimmt der Fluglärm zu. Entsprechend kam es zu immer stärkeren Protesten in und außerhalb der Schweiz.

Als Folge der Proteste und einiger Gerichtsverfahren trafen die Schweiz und Deutschland 1984 eine lose Verwaltungsvereinbarung zum grenzüberschreitenden Flugverkehr. Erst als diese im Jahr 2000 gekündigt wurde, kam das Thema auf die höchste politische Ebene.

2001 wurde ein Staatsvertrag unterschrieben, der aber nicht ratifiziert wurde. Deutschland erließ Verordnungen zu Routen und Flugzeiten sowie Mindestflughöhen. Im Juli 2012 wurde erneut ein Staatsvertrag ausgehandelt und im September 2012 unterzeichnet.