Während des Abstiegsendspiels in Paderborn platzen in Stuttgart manche Kneipen aus allen Nähten. Lange Zeit leiden die Fans, im Stuttgarter Westen schaut das Abstiegsgespenst persönlich vorbei. Dann gibt es doch noch Grund zu jubeln.

Stuttgart - Und es ist doch ein Heimspiel: Weil die Mannschaft in Ostwestfalen spielt, wo nur ein Bruchteil der VfB-Fans Platz im Gästeblock finden, kommt es am Samstagmittag vor vielen Stuttgarter Kneipen zu Staus – schon Stunden vor dem Anpfiff sind in der Stadt Menschen in weiß-roten Trikots zu sehen gewesen, aber unmittelbar vor dem Beginn der entscheidenden Partie gegen Paderborn müssen die Anhänger schnell sein.

 

So wie in der Kneipe Wohnzimmer im Stuttgarter Westen, wo sich Alex, Christoph und Jochen getroffen haben, um mit zu zittern. Noch rollt der Ball in Paderborn nicht, da melden die Wirte im Wohnzimmer bereits: Ausverkauft. Die Stimmung unter den drei Freunden: verhalten optimistisch. „Spielerisch war es zu Jahresbeginn noch eine Katastrophe“, erzählt Jochen, „da war ich als Fan auch lethargisch geworden. Es war schwer, sich mit der Mannschaft, mit der Art, wie sie Fußball gespielt hat und überhaupt mit dem ganzen Verein zu identifizieren.“

Verzweiflung nach dem Rückstand

Aber seitdem hat sich der VfB berappelt, in den vergangenen Wochen sind die Kneipen an den Spieltagen immer voller geworden und an diesem 23. Mai erreicht das große Mitzittern schließlich seinen Höhepunkt. Vor der Kneipe werden die ersten Beruhigungszigaretten geraucht, in Paderborn raucht es gewaltig aus dem VfB-Fanblock, aber dann kommt schon kurz nach Spielbeginn jener Moment, in dem im Wohnzimmer und in vielen anderen Stuttgarter Kneipen das Mobiliar wackelt, weil Paderborn in Führung geht und in Stuttgart die Fäuste auf den Tischen trommeln.

Ein Stoßseufzer dringt durch das Wohnzimmer. Fans, die es nicht mehr hinein geschafft haben, spähen durch die Seitenfenster auf die Großleinwand, es erinnert ein wenig an die WM 1954: Zu wenige Fernsehgeräte für zu viel Publikum. Aus dem Hintergrund müsste jetzt Didavi schießen, Didavi schießt auch – Ausgleich! Wieder wackelt das Wohnzimmer.

Halbzeit. Alex, Christoph und Jochen sitzen zusammen und wissen nicht, ob ihr Bier jetzt halb voll oder halb leer ist. „Es kann doch nicht sein, dass eine Region mit einem solchen Potenzial wie unserer künftig keinen Erstligaverein mehr hat“, sagt Alex. „Ich frage mich manchmal, was in den Jahren seit der Meisterschaft 2007 mit diesem Verein passiert ist, dass wir in diese Lage gekommen sind.“ Die Frage wirft am Tisch viele weitere Fragen auf, bei denen es um das Management und den Präsidenten geht und darum, warum sich manche Großunternehmen immer noch zögerlich zum VfB bekennen.

Mitleiden bis zum Schluss

In Paderborn steht es 1 : 1, wenn die Partie so ausgehen würde, wäre der VfB nächstes Jahr in der Zweiten Liga. Vor der Tür wird nervös geraucht, aber das hilft auch nicht, als in der zweiten Halbzeit das Abstiegsgespenst für zwei Minuten im Wohnzimmer vorbeischaut. Während dieser zwei Minuten bleibt die Leinwand schwarz. Dann kehrt das Bild zurück, aber Martin Harnik treibt die Fans in Stuttgart jetzt in den Wahnsinn, weil er Großchancen vergibt. Haareraufen im Wohnzimmer, vielleicht auch stille Stoßgebete.

Und dann plötzlich ein Erdbeben. Der VfB geht in Führung, Jochen steht auf dem Stuhl, und auch Christoph vergisst in diesem Moment, dass er eben noch darüber orakelt hat, wie schwer es für den VfB werden könnte, aus der Zweiten Liga wieder aufzusteigen, weil dort ambitionierte Clubs wie Rasenball Leipzig spielen.

Die Zeit bis zum Schlusspfiff plagt die drei Freunde, weil jedes Tor von Paderborn verhängnisvoll sein könnte. Im Wohnzimmer ist es nun kaum mehr auszuhalten, auch für den fünfjährigen Jonathan nicht, der im VfB-Trikot und in Begleitung seines Vaters die ersten wirklich harten Stunden im Leben eines Stuttgarter Fußball-Anhängers erlebt. Dann der Schlusspfiff. Ein Brüllen hebt in der Kneipe an, man liegt sich in den Armen, die Sache ist gerade noch mal gut gegangen. Eine halbe Stunde später kommt es zu einem winzigen Autokorso in der Stadt. Gefeiert wird der 14. Tabellenplatz.